1900
(Novecento)
Teil I: Gewalt, Macht, Leidenschaft
Teil II: Kampf, Liebe, Hoffnung
Italien, Frankreich, Deutschland 1976, 306 Minuten
Regie: Bernardo Bertolucci

Drehbuch: Bernardo Bertolucci
Musik: Ennio Morricone
Director of Photography: Vittorio Storato
Montage: Franco Arcalli
Produktionsdesign: Ezio Frigerio, Maria Paola Maino

Darsteller: Roberto de Niro (Alfredo Berlinghieri), Gérard Depardieu (Olmo Dalcó), Dominique Sanda (Ada Fiastri Paulhan), Francesca Bertini (Schwester Desolata), Laura Betti (Regina), Werner Bruhns (Ottavio Berlinghieri), Stefania Casini (Neve), Sterling Hayden (Leo Dalcò), Anna Henkel (Anita), Ellen Schwiers (Amelia), Alida Valli (Signora Pioppi), Romolo Valli (Giovanni), Donald Sutherland (Attila Mellanchini), Burt Lancaster (Alfredos Großvater), Paolo Pavesi (Alfredo als Kind), Roberto Maccanti (Olmo als Kind), Maria Monti (Rosina Dalcò), Stefania Sandrelli (Anita Foschi)

Zwiespältig

"The film is a living epic poem, a saga,
and not just a political manifesto." (1)

In "Der Leopard" zeichnete Luchino Visconti 1963 am Beispiel einer Großgrundbesitzerfamilie den Niedergang der feudalen Strukturen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Kein anderer als Burt Lancaster spielte den Padrone Don Fabrizio Salina, der sich des unabänderlichen Untergang der alten Welt bewusst war – als einziger seiner Familie. In Bertoluccis "1900", ebenfalls einem Epos, in dem es um Aufstieg und Untergang geht, sehen wir Burt Lancaster wieder – als Padrone eines Gutes in der Emilia Romagna im Jahr 1900. Dort wurde der Film auch gedreht, v.a. in den beiden Orten Busseto (42 km nordwestlich von Parma, wo Verdi einen Großteil seines Lebens verbrachte) und Guastalla (33 km nordöstlich von Parma). Bertolucci öffnet uns in den oft üppigen Bildern des Films eine weite, meist flache Landschaft, fruchtbar, die von einer Unmenge von Landarbeitern und Tagelöhnern auf riesigen Gütern in harter Arbeit bewirtschaftet wurden. Flüsse (gedreht wurde u.a. am Po) durchziehen diese fast malerische Landschaft, in der nur wenige Hügel ab und an den Blick in die Weite versperren.

Der Padrone herrscht über dieses Gut wie es Salina in "Der Leopard" auch tat, und er verabscheut die Mittelmäßigkeit, die Dummheit und die Arroganz, vor allem auch in seiner eigenen Familie. Er gehört zu jenen Menschen, deren Verbundenheit mit dem Land, der Erde, den "vier Elementen", noch deutlich zu spüren ist, während seine beiden Söhne, Ottavio, der das Landleben verabscheut und in der Weltgeschichte herumreist, und Giovanni, der schon fast der Herr des Gutes ist, eigentlich nur am Geld und an der Macht interessiert sind – der eine, indem er es aus den Bauern, Landarbeitern und Tagelöhnern herauspresst, der andere, indem er es für Vergnügungen aller Art ausgibt.

Kontrapunkt des Padrone ist Leo Dalcò, ein etwa gleichaltriger Bauer, den eine fast ominöse Nähe über Jahrzehnte mit dem Padrone verbunden hat. Die beiden können sich mal gut, mal nur schlecht riechen. In ihrer Beziehung kündigt sich die Geschichte an, die Bertolucci im folgenden in einer Zeitspanne von 1900 bis 1945 erzählen wird – die Geschichte der beiden Enkel des Padrone und des Bauern, Alfredo und Olmo, die beide im Sommer des Jahres 1900 geboren werden, erst Olmo und Stunden später Alfredo. Und in der Reaktion der beiden Großväter kündigt sich auch an, was Alfredo und Olmo zeit ihres Lebens für eine Beziehung eingehen werden: Während der Padrone seiner Schwiegertochter vom Hof des Gutes aus vorwirft, es sei eine Schande, dass zuerst der Bauernsohn geboren worden sei, ist es Leo, der in der Geburt des Enkels ein Zeichen sieht – ein Zeichen im Kampf gegen die entwürdigende Situation der arbeitenden Menschen.

Bertolucci knüpft aber nur scheinbar an Viscontis "Der Leopard" an. Während Visconti – wie auch in anderen seiner Filme – ein starkes Interesse an gesellschaftlichen Umbruchsituationen hegte und vor allem an den Reaktionen, Verhaltensweisen und Empfindungen seiner Akteure, ist Bertoluccis "1900" der Versuch, die tragenden politischen Kräfte der ersten Hälfte des Jahrhunderts – Faschismus und Kommunismus – in einem (scheinbar) episch breit angelegten Bogen in Gestalt seiner Akteure zu demonstrieren. Alfredo und Olmo werden zu tragenden Figuren von Macht und Ohnmacht, Herrschaft und Unterdrückung, aber eben auch zu Protagonisten einer merkwürdigen, sonderbaren Beziehung zweier Menschen unterschiedlicher Herkunft, die zeit ihres Lebens trotz allem anderen so etwas wie Freundschaft verbindet, u.a. auch weil beide den Blick für "die andere Seite" über ihre Freundschaft nie ganz verlieren. Dabei ähneln sie ihren Großvätern in vielem, aber nicht in allem.

Man kann an dieser Stelle durchaus schon erwähnen, dass Bertoluccis immerhin über fünf Stunden langer Film entgegen seinen eigenen Worten deutlich so etwas ist wie eine Heroisierung des (kommunistischen) Klassenkampfs – allerdings über weite Strecken ohne heroisierende Inszenierung. "1900" ist kein Agit-Prop-Film, keiner jener realsozialistischen Propagandamachwerke, die nicht erzählen, sondern nur propagieren, kein Lehrfilm, sondern (zumindest) der Versuch, die Geschichte zweier Menschen in der Tiefe der Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verankern. Ob das gelungen ist?

Der Film beginnt mit dem Ende – dem Ende des Faschismus in Italien, als Bauern und Bäuerinnen einen jener mordenden Faschisten und seine Frau über die Felder jagen, mit Mistgabeln traktieren und abführen. Die Wut und der Hass sitzen tief. Sodann zeigt Bertolucci das Jahr 1900, in dem Alfredo und Olmo geboren werden, wie der Padrone Wein an die Landarbeiter verteilen will, damit sie auf die Geburt von Alfredo trinken, dies aber erst dann tun, als der Großvater Olmos dazu bereit ist. 1908 zeigt er uns Olmo und Alfredo und Regina, die Cousine Alfredos, beim Spielen am Fluss, wie Olmo Frösche fängt und sich an den Hut mit weiter Krempe steckt, wie beide schon in diesem Alter sich befreunden und gleichzeitig bekämpfen, wie Olmo eine Mutprobe absolviert (er legt sich zwischen die Gleise, ein Zug fährt über ihn hinweg) und wie Alfredo später diese Mutprobe "nachholt". Er zeigt uns, wie der Padrone spürt, dass sein Leben – vor allem in dieser Familie – keinen Sinn mehr macht, wie er ein junges Bauernmädchen in den Stall zu den Kühen lockt und ihr sagt:

"Kühe voller Scheiße und Milch.
Es lastet wie ein Fluch auf uns.
Wir sind dazu verdammt. Es ist
in uns. Das wird immer schlimmer
mit den Jahren. Der schlimmste Fluch,
weißt du welcher das ist?" "Ist es der Hagel?"
"Nein, mein Kind, Hagel ist kein Fluch.
Milch und Scheiße im Gehirn. Pest
und Krieg. Nicht mal die sind einer."

Nein, der schlimmste Fluch ist für ihn der, keinen mehr "hoch zu kriegen", und er lässt das Mädchen in seine Hose greifen – aber auch das nutzt nichts. Er hängt sich auf. Kurze Zeit später stirbt Leo, an einen Baum gelehnt, die arbeitenden Bauern um sich herum. Die alte Zeit scheint zu Ende, eine neue beginnt, in der Giovanni, der Vater Alfredos ein skrupelloses Regiment auf dem Gut beginnt, den Bauern die Rationen und das Geld kürzt, als ein Unwetter die Hälfte der Ernte vernichtet, während die Landarbeiter, Bauern und Tagelöhner sich immer mehr der sog. Lega zuwenden, einer Organisation zur Verteidigung ihrer Rechte, die stark sozialistisch beeinflusst ist. Und Giovanni? Er lässt ein gefälschtes Testament des alten Padrone aufsetzen, das ihn zum Erben des Gutes macht und seinem Bruder Ottavio eine lebenslange Leibrente garantiert. Der Betrug, die Gewalt, der Verrat und der Eigennutz künden von einer neuen Zeit, die nach dem ersten Weltkrieg zur unheilvollen Blüte gerät. Olmo, der Soldat war, und Alfredo, der es angeblich wollte, aber von seinem Vater davon abgehalten wurde, treffen sich wieder, sind immer noch Freunde.

Während sich die meisten Bauern, Landarbeiter und Tagelöhner inzwischen der Kommunistischen Partei zugewandt haben, schmieden Giovanni und die anderen Großgrundbesitzer Pläne zur "Verteidigung der Freiheit und Italiens", die sich im Aufstieg des italienischen Faschismus ausprägen. Giovanni hat einen neuen Verwalter eingesetzt, Attila, ein Mann, der der faschistischen Partei angehört, und er spricht von einem neuen Kreuzzug gegen den Bolschewismus.

Unterdessen lebt Alfredo mehr oder weniger in den Tag hinein, besucht seinen Onkel Ottavio und lernt dort die junge Ada kennen, eine exzentrische, schöne Frau, die mit Ottavio das Leben genießt und in die sich Alfredo verliebt. Olmo hingegen ist damit beschäftigt, die Bauern zu organisieren. Er verliebt sich in die junge Anita, eine Lehrerin und Kommunistin, die von Olmo schwanger wird und während der Geburt stirbt.

Der erste Teil des Films endet mit einem brutalen Angriff faschistischer Horden auf die kommunistische "Casa del popolo", bei dem etliche Menschen verbrennen. Die Bauern ziehen mit einem Wagen, auf dem die verkohlten Leichen liegen, durch die Stadt.

Der zweite Teil des Films – mit "Kampf, Liebe, Hoffnung" untertitelt – erzählt den Aufstieg des Faschismus und die Verfolgung der Bauern und Landarbeiter, auch Olmos, bis zum bitteren Ende 1945. Er erzählt davon, wie Alfredo, der von den Faschisten angewidert ist, vor allem, weil sie sich nicht "benehmen" können, Ada heiratet, wie Ada immer mehr dem Alkohol verfällt, weil sie die Brutalität des Regimes nicht ertragen kann, aber auch Alfredos Feigheit nicht, als man etwa Olmo beschuldigt, einen Jungen ermordet zu haben, den in Wirklichkeit Attila getötet hatte. Er erzählt von der machthungrigen Regina, der Cousine Alfredos, die diesen heiraten wollte, um dieser Macht durch Besitz des Gutes Ausdruck zu verleihen, davon, wie Regina aus Verachtung, Missgunst, gekränkter Eitelkeit und Arroganz sich immer mehr Attila und damit dem Faschismus zuwendet, wie beide die verschuldete Witwe Pioppi ermorden, um deren Villa in die Finger zu bekommen.

Und Bertolucci zeigt, wie sich Alfredo und Olmo angesichts der faschistischen Herrschaft in vielem immer weiter entfremden – und doch immer wieder zusammenkommen – bis zum bitteren Ende, das zugleich für die Bauern ein hoffnungsvoller Neuanfang zu werden scheint.

Ich erzähle dies – und es gäbe noch viel mehr zu erzählen – in dieser Breite, um einen ungefähren Eindruck von einem Film zu geben, der immerhin ein mit Ereignissen voll gestopftes halbes Jahrhundert beinhaltet und der darüber hinaus in mir sehr unterschiedliche Gefühle geweckt hat. Im Laufe der letzten 30 Jahre habe ich den Film dreimal gesehen. Und was mich daran beeindruckte, waren die unzähligen Szenen, in denen der junge Gérard Depardieu und der ebenso junge Robert de Niro die beiden Hauptfiguren des Films, Olmo und Alfredo, so überzeugend gespielt haben, so lebensnah, so hautnah, manchmal wie bei Alfredo so abstoßend, manchmal wie bei Olmo so anziehend – der eine weitgehend ein Feigling, der andere ein lebensechter Held. Und auch Burt Lancaster als Padrone und Sterling Hayden als Leo kommen der Realität einer Umbruchsituation zu Beginn des 20. Jahrhunderts so nahe, wie es anderen Akteuren nur selten gelingt.

Auch die permanente Spannung in der Beziehung zwischen Alfredo und Olmo, die man in Worte kaum fassen kann, hielt mich an diesem Mammutfilm immer wieder fest. In jeder Szene spürt man deutlich die Diskrepanz zwischen einer schier unmöglich scheinenden Freundschaft zweier so unterschiedlicher Sprosse gegensätzlicher Schichten und dem Eindringen eben jener oft diametral entgegengesetzten Denk- und Verhaltensweisen der Gutsbesitzerklasse und der Bauern in diese Freundschaft. Als die beiden beispielsweise einen Ausflug in die Stadt unternehmen, gehen sie gemeinsam zu einer armen jungen Wäscherin und steigen zusammen mit ihr ins Bett. Während Alfredo sie als Hure bezeichnet, verteidigt Olmo die junge Frau, die dies nur machen würde, weil sie nicht genug Geld zum Leben habe. In einer anderen Szene verlangt Olmo nach dem Tod von Giovanni von Alfredo, er solle Attila, diesen brutalen Knecht des Faschismus, entlassen. Doch Alfredo folgt diesem Rat nicht, obwohl er selbst Attila verachtet. Während Alfredo vor dem Hintergrund der Erhaltung der – und seiner (!) – sozialen und ökonomischen Machtstellung den neuen Machthabern nicht auf die Zehen treten will, ist Olmo in keiner Weise erpressbar. Dies alles belastet beider Verhältnis, und trotzdem spürt man bis zum Schluss eine innere Verbindung zwischen beiden, die unzertrennbar zu sein scheint.

Wenn Bertolucci am Schluss die beiden in hohem Alter zeigt, wie sie miteinander im Clinch liegen, an sich herumzerren und doch gemeinsam spazieren gehen, dann deutet dies vielleicht auch von etwas Ungelöstem, Unausgesprochenem, Ratlosem, etwas, das die Jahrzehnte vorher nicht in den Griff bekommen haben, etwas, das wie eine Bedrohung, vielleicht aber auch für die nachfolgenden Generationen wie eine Chance in der Luft liegt.

Auf der anderen Seite empfinde ich bei "1900" auch so etwas wie Ablehnung, Distanz und Kopfschütteln. Der Film – so opulent seine Bilder oft wirken – spannt seinen Bogen über fast fünf Jahrzehnte dann doch oft in einer Art darwinistischen Manier. Das heißt, er erzählt – auch wenn er nicht viel oder fast gar nichts über die politischen Ereignisse selbst berichtet – die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts allzu typisierend und prägnant als roten Faden, als etwas, was sich genauso abspielen musste, wie es geschehen ist. Der Faschismus wie die Art und Weise der Entwicklung des Kommunismus geraten so zu etwas Unabänderlichem. Was geschehen ist, musste mehr oder weniger genauso geschehen. Hier ist Bertolucci ganz der marxistischen Ideologie verhaftet. Was mich nicht daran stört, ist die Tatsache, dass er den Klassenkampf feiert. Denn in den Szenen, in denen die Bauern – übrigens überwiegend die Frauen ! – protestieren, demonstrieren oder sich in anderer Weise artikulieren, gehören zu den besten des Films. (Bertolucci beschäftigte für den Film wirkliche Bauern aus der Emilia Romagna.) Selbst die "Volksprozess"-Szene am Schluss des Films ist nicht als schauerliche Verurteilungsorgie inszeniert, sondern ganz im Sinne einer erbosten, aber nichtsdestotrotz lebenslustigen bäuerlichen Klasse, die nie aufzugeben scheint – trotz aller Unbill des Lebens. Nein, das empfand ich überhaupt nicht als störend.

Was dem Film oftmals fehlt, ist die Distanz zu seinem eigenen Gegenstand. Die Akteure erscheinen oft nur als Marionetten ihrer Klasse, ihrer Zeit usw., ohne dass gezeigt oder wenigstens angedeutet würde, dass Geschichte eben nicht nach Gesetzmäßigkeiten abläuft, denen man auf Gedeih und Verderb unterworfen wäre. Diese Tendenz des Films wird zwar – Bertolucci sei Dank – immer wieder durchbrochen, weil Alfredo und Olmo und insbesondere eben de Niro und Depardieu sich dem entziehen – bewusst oder nicht. Aber sie ist vorhanden – etwa auch in der Darstellung der Intellektuellen in Gestalt von Ada, so, als ob es nur solche gegeben hätte, die Kokain schnüffeln, belanglos durch das Leben streifen und trotz ihres Widerwillens gegen den Faschismus nur eines kennen würden: Flucht.

Die Darstellung von Attila und Regina beinhaltet ebenfalls diese Diskrepanz. Einerseits können Donald Sutherland und Laura Betti in ihren Rollen überzeugen. Solche skrupellosen und über Leichen gehenden Machtmenschen kann man sich gut vorstellen. Andererseits erscheint gerade in der Figur des Attila fast alles von vornherein so festgelegt, so unumstößlich, dass es manchmal an Unglaubwürdigkeit grenzt. Sicher, es gab solche Verbrecher, kein Zweifel. Aber dem Film fehlt manchmal dann doch das Moment der Entwicklung, der Genese, der Widersprüchlichkeit der Figuren, ihres inneren Kampfes, ihrer inneren Auseinandersetzung. Als Attila seinen Gesinnungsgenossen den "Wert" des Faschismus erläutern will, sagt er:

"Der Kommunismus ist raffiniert.
Er setzt den Hebel bei unseren
Gefühlen an, so wie es auch dieses
hübsche Kätzchen tut. Es spricht
unsere Gefühle und nützt sie aus.
Stimmt’ s? Der Kommunismus ist eine
Seuche. Er kann die Welt zerstören.
(…) Nehmen wir an diese Katze ist
von dieser Seuche befallen, dann
dürft ihr euch nicht um sie kümmern,
weil ihr, weil ihr an die Katzen auf der
ganzen Welt denken müsst. Die
müsst ihr schützen. Die müsst ihr
vor dieser Seuche bewahren. Die
Augen auf diese Katze gerichtet
müsst ihr euch sagen: das ist kein
hübsches Kätzchen; es ist vom
Kommunismus befallen und deshalb
müsst ihr es töten."

Er hat die Katze mit seinem Gürtel an die Wand geschnallt. Dann rammt er mit Wucht mit seinem Kopf auf das Tier und tötet es; an seinem Kopf rinnt das Blut der Katze herunter und er grinst.

Sicherlich ist dies keine unrealistische Szene. Doch sie drückt nur ein Ergebnis aus, nicht aber dessen Genese. Das kennzeichnet leider den ganzen Film. Besonders deutlich wird dies auch im Vergleich mit der Darstellung des alten Padrone und des Großvaters von Olmo. Bei der Darstellung dieser beiden Akteure spürt man noch den inneren Kampf zwischen grundlegenden Gefühlen – Macht und Ohnmacht, Zuneigung und Verachtung – in ihrer Beziehung zueinander. Das geht leider später im Film verloren. Selbst bei Olmo und Alfredo wirkt im zweiten Teil des Films die Diskrepanz in deren Beziehung oft eher oberflächlich, denn lebensnah. Und erst in der Schlussszene – dem "Volksprozess" gegen Alfredo – wird sie wieder spürbar.

Diese fühlbare Überzeugung Bertoluccis in Bezug auf einen darwinistischen Ablauf von Geschichte nimmt dem Film leider etwas, was man in anderen episch angelegten Tragödien der 70er Jahre nicht vermissen musste, etwa im Vergleich zu Coppolas Paten-Trilogie. Wie innerlich zerrissen sind dort doch die Akteure, wie tief geht Coppola in der Entwicklung seiner Figuren, seiner Geschichte, deutlich und überzeugend schließt sich dort der Kreis von Anfang bis Schluss – aber eben nicht in einer trivialen Überzeugung von äußerlich bleibenden Gesetzmäßigkeiten der Geschichte. Wie imposant werden dort Wege aufgezeigt und wie überzeugend wirkt dort der Zusammenhang zwischen Handlung und Folgen. Das fehlt "1900" an allen Ecken und Enden.

So bleibt ein zwiespältiges Bild von "1900", aber immerhin ein Film, der zu Diskussionen anregen kann und sollte.

Wertung Film: 8 von 10 Punkten.

(1) Bertolucci in einem Interview mit Gerald Peary am 29.10.1977 in The Real Paper, Boston.

19. Oktober 2008