Agora - Die Säulen des Himmels
(Agora)
Spanien 2009, 127 Minuten
Regie: Alejandro Amenábar

Drehbuch: Alejandro Amenábar, Mateo Gil
Musik: Dario Marianelli
Director of Photography: Xavi Giménez
Montage: Nacho Ruiz Capillas
Produktionsdesign: Guy Dyas

Darsteller: Rachel Weisz (Hypatia), Max Minghella (Davus), Oscar Isaac (Orestes), Ashraf Barhom (Ammonius), Michael Lonsdale (Theon), Rupert Evans (Synesius), Richard Durden (Olympius), Sami Samir (Cyril), Manuel Cauchi (Theophilus), Homayoun Ershadi (Aspasius)

Und sie bewegt uns doch ...

"Darf ich dich sehen, hören, huldige ich kniend,
das Sternenhaus vor Augen, wo die Jungfrau wohnt.
Denn auf zum Himmel weist dein Handeln und die Kunst,
mit der du sprichst, erhabene Hypatia,
du strahlendes Gestirn geistreicher Wissenschaft!"
(Palladas, Epigrammatiker, um 400 in Alexandria)

Das Blut klebt noch, auch Jahrhunderte, Jahrtausende später. Es wird nicht vergessen. Die Blutspur zieht sich bis in die Gegenwart. Die Geschichte der Kirche bis zur Reformation, dann der katholischen Kirche ist nicht nur eine Geschichte des Glaubens; sie ist eine Geschichte des Feuers, der Scheiterhaufen, des Mordes, der Verfolgung, der Anti-Aufklärung, der Frauenfeindlichkeit, der Wissenschafsfeindlichkeit, der Intoleranz, der Unterdrückung und des Schreckens. Alejandro Amenábar erzählt in "Agora" eine der vielen Geschichten dieser Tradition, die da zu erzählen wären und die erzählt wurden und immer wieder erzählt werden müssen. Es ist die Geschichte einer Frau, die von 370 bis 415 in Alexandria lebte – aus jenem Ägypten, das seit 30 v.u.Z. dem Römischen Reich einverleibt war. In diese Zeit fällt auch die Erhebung des Christentums zur Staatsreligion. Über Hypatia, ihr Leben, ihr Wirken und ihren Tod, ist nur wenig bekannt (vgl. am Schluss dieses Berichts den dortigen Auszug aus frauen-Informatik-geschichte).

Gesichert ist, dass Hypatia in vielerlei Hinsicht eine "Ausnahmeerscheinung" ihrer Zeit war. Sie interessierte sie, gelehrt von ihrem Vater für alle möglichen Zweige der Wissenschaft, insbesondere Mathematik und Astronomie. Sie lehrte als einzige Frau in der damaligen Bibliothek von Alexandria. Sie war "Heidin" und unterwarf sich nicht dem damals herrschenden Zwang, dem Christentum beizutreten. Sie weigerte sich zu heiraten, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren.

In "Agora" – ein Versammlungsplatz im Zentrum zunächst griechischer Städte, auf denen politische und juristische Treffen abgehalten wurden, also ähnlich dem römischen Forum –

nimmt sich Amenábar in vielerlei Hinsicht Freiheiten in der Interpretation der Geschichte der Hypatia. So behauptet er, Hypatia habe kurz vor ihrem Tod die Hypothese aufgestellt, die Planeten kreisten in elliptischen Bahnen um die Sonne und habe damit das kopernikanische Weltbild vorausgenommen. Diese Behauptung ist nicht belegt. Auch die Umstände der Ermordung Hypatias im Jahr 415 sind umstritten. Klar ist wohl nur, dass sie Opfer der Machtkämpfe in Alexandria wurde und von fanatischen Christen bestialisch ermordet wurde (ihr soll mit Austermuscheln das Fleisch von den Knochen gekratzt worden sein. Dann sollen ihre sterblichen Überreste verbrannt worden sein).

Doch die Freiheit der Interpretation ist die Freiheit eines jeden Regisseurs. Amenábar geht es nicht nur um Hypatia, sondern auch um die Schilderung der Umstände, die zu ihrer Ermordung geführt hatten, um Die Darstellung der Atmosphäre dieser Zeit.

391 n.u.Z. Hypatia lehrt in der Bibliothek von Alexandria Mathematik, Philosophie und Astronomie. Auch der Sklave ihres Vaters Theon, Davus, sowie Synesius und Orestes gehören zu ihren Schülern. Davus stellt sogar ein Modell des ptolemäischen Weltbildes (alle Himmelskörper bewegen sich in der "reinsten" Form, kreisförmig, um die Erde). Davus ist heimlich in Hypatia verliebt. Orestes erklärt ihr seine Liebe öffentlich in der Agora. Aber Hypatia weist ihn später zurück.

In Alexandria kommt es immer häufiger zu Auseinandersetzungen zwischen den Christen, vor allem einer Sekte unter dem Namen Parabolani, und "Heiden", also den Altgläubigen. Als einer der christlichen Fanatiker namens Ammonius den Anführer der Altgläubigen Olympius ins Feuer wirft, ruft letzterer zu einem Exzess gegen die Sekte auf. Allerdings hatte Olympius verkannt, wie viele Christen es inzwischen in Alexandria gibt. Sie belagern die Bibliothek, bis ein Dekret des Kaisers befiehlt: Man soll die Altgläubigen nicht bestrafen, doch sie sollten den Christen Zugang zu der Bibliothek gewähren. Hypatia und ihr Vater wissen, was das bedeutet. Sie retten so viele Schriftrollen wie möglich aus der Bibliothek und flüchten. Die Parabolani verbrennen alles, was sie noch finden.

Auch Davus hat sich inzwischen den Parabolani zugewandt. Als er Hypatia bedrängt, weil er sie liebt, weist sie ihn zurück, gibt ihn aber frei, d.h. er ist ab nun kein Sklave mehr.

Nach etlichen überwiegend friedlichen Jahren hat sich einiges geändert. Der fanatische Cyril ist nun Patriarch von Alexandria. Er schürt den Hass, diesmal gegen die dort wohnenden Juden. Orestes, der inzwischen zum christlichen Glauben übergetreten ist, ist nun römischer Präfekt von Alexandria. Und Hypatias ehemaliger Schüler Synesius ist Bischof von Kyrene. Die Auseinandersetzungen, hervorgerufen durch die fanatischen Anhänger Cyrils und von Ammnonius, gipfeln in Pogromen gegen die Juden. Und Orestes, der weiterhin Hypatia, die Nichtgläubige unterstützt, gerät zwischen die Fronten. Auch Davus ist hin- und hergerissen zwischen Fanatismus und seiner Sympathie für Hypatia, die weiterhin wissenschaftlich arbeitet ...

Die Fronten, die Amenábar in "Agora" aufbaut, sind eindeutig. Während Cyril und Ammonius für eine, wie man heute sagen würde, fundamentalistische Ideologie stehen, wird Orestes als Mann dargestellt, der zwischen den Fronten von Wissenschaft und Fanatismus, Religion und römischer Herrschaft, Unterwerfung unter die Kirche und Liebe zu Hypatia fast aufgerieben wird. Daneben steht Synesius für einen anderen Teil der Kirche, die den Fanatismus Cyrils nicht teilt, aber dennoch die Unterwerfung unter die Kirche fordert – auch von Hypatia. Letztere schließlich präsentiert Amenábar als nicht nur mutige, sondern ihren Überzeugungen treu bleibende Frau, die sich nur der Wissenschaft und in gewisser Weise auch der Humanität verpflichtet fühlt und mit ihrem Leben bezahlen muss.

Dabei offenbart der Film all die sattsam bekannten Mechanismen von Macht, Allmachtsphantasien und -praktiken, Verfolgung und Ideologisierung, die wir auch aus späteren Jahrhunderten immer wieder kennen. Die Verkündung der angeblich "reinen" Lehre durch die Parabolani (ursprünglich eine Sekte, die sich um die Armen kümmerte) und Cyril ist nicht nur eine Strategie des Machtgewinns und der Machterhaltung, sondern eben auch und vor allem eine der totalen Ausgrenzung Andersdenkender und -fühlender, die u.a. auf die rückschrittlichen Teile (und auch frauenfeindlichen) der Lehren von Paulus zurückgeht. So heißt es im 1. Korinther, 14: "Wie es in allen Gemeinden der Heiligen üblich ist, sollen die Frauen in der Versammlung schweigen; es ist ihnen nicht gestattet zu reden. Sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz es fordert. Wenn sie etwas wissen wollen, dann sollen sie zu Hause ihre Männer fragen; denn es gehört sich nicht für eine Frau, vor der Gemeinde zu reden." Diese Stelle zitiert Cyril ausdrücklich gegen Hypatia, die sich des öfteren in der Agora Gehör verschafft hatte.

Das Muster der Verfolgung entspricht dem der Jahrhunderte später geübten Inquisition.

Amenábar zeigt eine charismatische Frau, die bei vielen Männern enorme Sympathie genießt (was historisch belegt ist). Alle ihre wichtigen Schüler sympathisieren noch Jahre später mit ihr. Hypatia als unbeirrbare Frau in einer hierarchisch streng gegliederten Männerwelt beruft sich vor allem auf die griechische Wissenschaft und Philosophie, die bei den Fanatikern des Christentums verhasst war. Ihre Liebe gilt der Wissenschaft, nicht Männern, auf die sie verzichtet.

Insofern entwickelt Amenábar in gewisser Hinsicht auch eine klassische Tragödie, ganz im Skakespear'schen Sinn, allerdings mit einer Frau als tragische Figur. Entgegen anders lautender Besprechungen sehe ich nicht, dass dem Film insofern über weite Strecken die emotionale Komponente abhanden gekommen sei. Rachel Weisz spielt diese Hypatia doch tatsächlich als eine durchaus sehr emotionale Frau, die ihren Weg konsequent geht und dabei zusehen muss, wie Fanatismus diesen Weg immer weiter zuschüttet, bis sie selbst zum Opfer der Fanatiker wird. Auch die Rollen von Orestes und Davus sind überaus dramatisch und emotional angelegt. Ein weiterer Gesichtspunkt macht diesen Film bedeutsam: der Vergleich mit Galileo Galilei, gegen den die Inquisition im 17. Jahrhundert vorgegangen und der erst 1992 vom Papst rehabilitiert worden war. Auch damals gab es allerdings Kirchenvertreter, die eine Verurteilung Galileis abgelehnt hatten, weil sie von dessen wissenschaftlichen Erkenntnissen bereits überzeugt waren und sie nicht im Widerspruch zur kirchlichen Lehre sahen (siehe Synesius in Alexandria).

"Agora" ist ein bewegender Film, eine (nicht plakative, sondern wirklich erzählerische) Anklage gegen Fanatismus und Fundamentalismus jeglicher Art und ein Plädoyer für Vernunft und eine richtig verstandene, aufklärerische Wissenschaft. Ein wichtiger Film also.

Wertung: 10 von 10 Punkten.
© Bilder: Tobis Film.


Über das Leben von Hypatia:

"Eine der bedeutenden Naturwissenschaftlerinnen war Hypatia, die im vierten Jahrhundert nach Christus an der damals berühmten Universität von Alexandria, dem Museion, Mathematik, Astronomie und Philosophie lehrte. Obwohl ihre Werke der Nachwelt nicht erhalten geblieben sind, lassen sich anhand von Quellentexten und zeitgenössischer Enzyklopädien einige Rückschlüsse auf ihre wissenschaftlichen Leistungen und ihr Leben ziehen.

Hypatia war eine allseits bekannte Persönlichkeit. Ihre Teilhabe am öffentlichen Leben von Alexandria stellte in der damaligen Zeit eine nicht zu unterschätzende Besonderheit dar, denn das antike Weiblichkeitsideal legte den Frauen im wesentlichen Zurückgezogenheit und Bescheidenheit auf. 'Die beste Frau ist die, von der man am wenigsten spricht', lautete ein von dem antiken Historiker Thukydides verbreiteter Grundsatz. Das Leben der meisten Frauen vollzog sich somit jenseits der Öffentlichkeit im Kreis der Familie. Die den Männern zugänglichen Bildungseinrichtungen blieben ihnen versperrt. Der Unterricht durch Väter oder Ehemänner stellte für viele Frauen der Antike die einzige Möglichkeit dar, überhaupt eine fundierte Bildung zu erlangen. Hypatia hatte Glück. Ihr Vater war der griechische Mathematiker und Philosoph Theon, der seiner Tochter eine sorgfältige Ausbildung zukommen ließ.

In den historischen Quellen werden Hypatia außergewöhnliche Intelligenz und Charakterstärke nachgesagt. Socrates Scholastikus, ein Zeitgenosse, schildert sie als selbstbewusste Frau, die keine Scheu zeigte, sich in der Gesellschaft von Männern frei zu bewegen. Außerdem preist er Hypatias großes Wissen, mit dem sie sämtliche Philosophen ihrer Zeit ausstach. In einem spätantiken Gelehrtenlexikon wird darauf hingewiesen, dass sich die griechische Wissenschaftlerin vor allem mit der Philosophie von Platon und Aristoteles beschäftigte. Hypatias Begabung war jedoch äußerst vielseitig. Neben ihren bemerkenswerten Leistungen im Bereich der Philosophie, tat sie sich auf astronomischem und mathematischem Gebiet hervor.

Hypatia verfasste ein 13-bändiges Werk zu der 'Aritmetica' des Diophant, der im dritten Jahrhundert nach Christus in Alexandria gelebt hatte. Moderne Wissenschaftshistoriker bescheinigen Diophant, dem so genannten 'Vater der Algebra', die Einführung genialer mathematischer Operationsmethoden, denen erst die Zahlentheoretiker der Neuzeit Gleichwertiges an die Seite stellen konnten. Dass Hypatia sich intensiv mit der diophantschen Zahlentheorie auseinandersetzte, das heißt alternative Lösungen und neue Problemstellungen formulierte, lässt Rückschlüsse auf ihre hohe wissenschaftliche Qualifikation zu. Darüber hinaus schrieb Hypatia eine achtbändige Abhandlung zu den Kegelschnitten des Apollonius von Perga, der ein Zeitgenosse Diophants war. Die mathematischen Untersuchungen kegelförmiger Figuren dienten unter anderem dazu, den Verlauf der Planetenbahnen beschreiben zu können. Die Kegelschnitte stellten eine der Grundlagen für den Durchbruch des heliozentrischen Weltbilds dar, also der Annahme, dass die Erde um die Sonne als Mittelpunkt kreist.

Hypatia interessierte sich ebenfalls für Mechanik und angewandte Technologie. Sie soll das Astrolabium erfunden haben, mit dem die Position der Sterne, der Planeten und der Sonne bestimmt werden kann. Die Erfindung eines zweiten wissenschaftlichen Instruments, des so genannten Hydrometers, wird ihr ebenfalls zugeschrieben. Mit dem Hydrometer kann das spezifische Gewicht von Flüssigkeiten, die Dichte, gemessen werden."

(aus: http://www.frauen-informatik-geschichte.de/index.php?id=24)

(18. März 2010)