Was geschah wirklich mit Baby Jane? (1962)
Der Flug des Phoenix (1965)
Wiegenlied für eine Leiche (1964)




Was geschah wirklich mit Baby Jane?
(What Ever Happened to Baby Jane?)
USA 1962, 134 Minuten
Regie: Robert Aldrich

Drehbuch: Lukas Heller, nach dem Roman von Henry Farrell
Musik: Frank de Vol
Director of Photography: Ernest Haller
Montage: Michael Luciano
Produktionsdesign: William Glasgow, George Sawley

Darsteller: Bette Davis (Baby Jane Hudson), Joan Crawford (Blanche Hudson), Victor Buono (Edwin Flagg), Marjorie Bennett (Dehlia Flagg), Maidie Norman (Elvira Stitt), Julie Allred (Jane Hudson 1917), Anne Barton (Cora Hudson), Dave Willock (Ray Hudson), Anna Lee (Mrs. Bates), Barbara Merrill (Liza Bates), Robert Cornthwaite (Dr. Shelby), Gina Gillespie (Blanche Hudson 1917)

„Du wirst dieses Haus nie verlassen”

Die eine muss leiden, die andere muss leiden.

Die eine, weil sie – wie sie es empfindet und auch sagt und auch danach handelt – von der anderen jahrzehntelang gedemütigt wurde. Die andere hat ihr das Leben zur Hölle gemacht. Die eine war ein Kinderstar, doch die andere hat später verhindert, dass sie auch als Erwachsene ein Star wurde. Die andere hat sie verdrängt, erniedrigt. Jetzt soll die andere dafür büßen, den Rest ihres Lebens soll sie Buße tun.

Die andere stand als Kind im Schatten der einen. Aber sie hatte sich geschworen, die eine, wenn sie einmal älter sein würde, in den Schatten zu stellen, erfolgreich zu sein, dass nachzuholen, was ihr als Kind verwehrt geblieben war. Und sie wurde erfolgreich. Nun ist sie an den Rollstuhl gefesselt, abhängig von der einen, die sie vor Jahren in diese Lage gebracht hatte. Aber sie macht der einen keine Vorwürfe mehr. Sie bedauert die eine, und muss unter ihr leiden, unter ihrem Hass, ihrer Verachtung.

Die Rede ist von den Schwestern Baby Jane (Bette Davis), der einen, und Blanche Hudson (Joan Crawford), der anderen. 1917 war Baby Jane Hudson ein erfolgreicher Kinderstar, gefördert und getrieben von ihrem Vater (Dave Willock), ein Kind, das verwöhnt wurde, dass angesichts des Erfolgs nicht scheu war, seine Forderungen zu stellen. Wir sehen sie nach einem Auftritt mit ihrem Vater, Fans um sich herum, vor dem Bühneneingang. Baby Jane soll schlafen, um für den abendlichen Auftritt fit zu sein. Aber sie weigert sich, droht, nicht aufzutreten, will Eis, und wenn sie es nicht bekommt, wird sie auch nicht auftreten. Der Vater gibt nach. Denn ihn interessiert nicht das Kind, sondern der Star, den er aus seiner Tochter gemacht hat. Im Hintergrund stehen die Mutter (Anne Barton) und die andere Tochter, Blanche, mit versteinerter Miene steht die Kleine dort. Nein, sie will kein Eis, obwohl Baby Jane es fordert, auch für ihre Schwester. Der Vater reagiert unwirsch. Wenn Baby Jane wolle, dass auch Blanche Eis bekommt, wie kann Blanche das nur abschlagen?

1935. Blanche ist ein Filmstar. Baby Jane ist ein Möchtegern-Filmstar. Kein Produzent will sie in einem seiner Filme sehen. Sie ist unbegabt, hysterisch, sie trinkt, sie führt sich unmöglich auf. Aber Blanche besteht bei Abschluss ihrer Verträge auf eine Klausel, in der Baby Jane eine zumindest kleine Rolle garantiert wird. Eines Nachts fährt ein Auto vor die schöne Villa der Schwestern. Es ist der Wagen von Blanche. Die Fahrerin gibt Gas, man hört einen Schrei. Seit diesem Tag ist Blanche an den Rollstuhl gefesselt.

Ungefähr 25 Jahre später sehen wir die beiden Schwestern im von Blanche gekauften Haus der Eltern. Sie sitzt in ihrem Zimmer im ersten Stock im Rollstuhl. Man kennt sie heute noch, auch ihre Nachbarin Mrs. Bates (Anna Lee) und deren Tochter Liza (Barbara Merrill); die sitzen gespannt vor dem Fernseher und sehen sich einen Film mit der berühmten Nachbarin an. Im Erdgeschoss des Hauses der Hudsons sehen wir Baby Jane. Kein Mensch kennt Baby Jane mehr. Ihre Tage als Kinderstar sind vergessen. Baby Jane ist mürrisch, verbittert, sie hat wieder angefangen zu trinken, Whiskey und Gin. Sie kümmert sich um Baby Jane, wider Willen, denn sie ist verantwortlich für den Unfall von damals, sie hat ihre Schwester zum Krüppel gefahren, obwohl sie sich daran nicht erinnern könne, sagt sie. Man fand Blanche verletzt in der Einfahrt des Hauses, Baby Jane war verschwunden. Die Polizei suchte sie und fand sie mit irgendeinem fremden Mann, völlig betrunken, in einem Hotelzimmer. Nie hat Blanche wieder von diesem Ereignis gesprochen. Seitdem aber leben die Schwestern in diesem Haus zusammen, die eine hilflos und ihrer Schwester gegenüber nachgiebig, die andere hasserfüllt. Baby Jane trägt immer noch Blond mit Locken an den Enden ihrer Haare, ist weiß, blass geschminkt, die Lippen rot. Sie sieht aus wie eine schlechte Karikatur ihrer selbst als Kind.

„Was geschah wirklich mit Baby Jane?” ist einer jener Filme aus den 60er Jahren, in denen ältere Schauspielerinnen in Horrorfilmen respektive psychologischen Thrillern auftraten. Robert Aldrich („Vera Cruz”, 1954; „Sodom und Gomorrha”, 1962; „Der Flug des Phönix”, 1965; „Das dreckige Dutzend”, 1967) initiierte mit „Was geschah ...” dieses „neue Genre”. Joan Crawford (1904-1977) war in „Berserk!” (1968) und „Die Zwangsjacke” (1964) in zwei weiteren derartigen Streifen zu sehen, Bette Davis (1908-1989) in „War es wirklich Mord?” (1965) und „Der schwarze Kreis” (1964), vor allem aber in dem unvergesslichen, ebenfalls von Aldrich inszenierten Thriller „Wiegenlied für eine Leiche” (1964) mit Olivia de Havilland und Joseph Cotton (wer erinnert sich nicht an die Titelmelodie „Hush hush, sweet Charlotte, Charlotte, don't you cry, Hush hush, sweet Charlotte, He'll love you till he dies ...”).

Zurück zu unseren beiden Schwestern. Die Haushälterin Elvira (Maidie Norman) weiß Bescheid um die psychische Disposition von Baby Jane. Sie redet auf Blanche ein, endlich die Konsequenzen zu ziehen und Baby Jane in ärztliche Obhut zu geben. Aber Blanche weicht einer solchen Entscheidung aus. Vor allem steht sie vor dem Problem, ihrer Schwester irgendwie beizubringen, dass sie das Haus verkauft hat. Sie glaubt, Baby Jane wüsste nichts davon. Doch da irrt sie sich. Baby Jane weiß über alles Bescheid. Und sie ist bereit, dies mit allen Mitteln zu verhindern. Als erstes nimmt sie Blanche das Telefon aus ihrem Zimmer weg. Sie lädt ihren ganzen Hass und ihre ganze Verzweiflung auf ihre Schwester ab, demütigt sie, wo sie nur kann, entlässt Elvira. Sie kann Blanche Stimme am Telefon imitieren, beschafft sich so den Alkohol, den Blanche abbestellt hatte.

Baby Jane ist nicht nur entschlossen, im Haus zu bleiben. Sie will wieder auftreten. Sie gibt eine Anzeige auf, sucht einen Pianisten, der sie begleitet, um ihre Kinderlieder wieder zu singen, zu tanzen. Blanche ahnt, was auf sie zukommt. Den Zettel mit einem Hilferuf, den sie aus dem Fenster wirft, findet nicht Mrs. Bates, sondern ihre Schwester. Dann erscheint Edwin Flagg (Victor Buono) bei Baby Jane, der Pianist, spielt für Baby Jane, ist erstaunt und zugleich entsetzt über die alte Frau, als sie ihre Kinderlieder singt und dazu tanzt. Aber für 100 Dollar die Woche ist ihm das egal. Nur Elvira kommt alles sehr merkwürdig vor, als Baby Jane sie wirsch entlässt. Elvira ahnt Schlimmes, und als Baby Jane mit dem Auto in die Stadt fährt, geht Elvira noch einmal in das Haus. Das Zimmer von Blanche ist verschlossen, kein Laut dringt heraus. Elvira versucht mit Hammer und Schraubenzieher die Tür zu öffnen, als Baby Jane zurückkehrt ...

Was Aldrich inszenierte, ist nicht einfach ein exzellenter psychologischer Horrorfilm, der einem guten Hitchcock in nichts nachsteht. „What Ever Happened to Baby Jane?” ist eine delikate und präzise psychologische Studie über zwei Schwestern, die sich gegenseitig das Leben zur Hölle gemacht haben, ein Film über unerfüllte Wünsche und Sehnsüchte, die sich zwanghaft in die Seelen der beiden Frauen eingeschrieben haben. Für den Zuschauer der Tragödie wechseln Sympathie und Mitgefühl, Abscheu und Verachtung zwischen den beiden Protagonisten des Dramas hin und her. Denn Blanche, die in ihrer hilflosen Situation ihrer Schwester offensichtlich gnadenlos ausgeliefert ist, ergreift nicht die Chance, über ihre Haushälterin Elvira, den einzigen Kontakt zur Außenwelt, dem Drama ein Ende zu setzen und Baby Jane, die offensichtlich psychisch krank ist, in eine Klinik einweisen zu lassen. Andererseits ist Baby Jane zwar eine hasserfüllte, offenbar zu allem entschlossene Frau, die vor nichts zurückschreckt, um ihre Schwester zu demütigen. Andererseits wirkt sie hilflos, klein und bemitleidenswert, etwa dann, als etwas Furchtbares geschehen ist. Und letztendlich liegt in der Tragödie ein Geheimnis versteckt, dass der Geschichte eine ganz andere Sichtweise aufdrängt.

Die Kooperation zwischen Bette Davis und Joan Crawford ist exzellent, unterstützt von einem damals noch unbekannten Victor Buono als Pianisten, der Komik in die Szenerie bringt. Buono, groß, gewichtig, neben Marjorie Bennett, die seine Mutter spielt, ein Riese, spielt diesen Mr. Flagg als einen Mann, der es versteht, seine wahren Gedanken vor Baby Jane zu verstecken. Seinem Gesicht ist anzusehen, was er von der alten Dame hält, aber er macht ihr Komplimente und lässt sich des Geldes wegen auf das groteske Spiel ein. Daneben agiert Maidie Norman als Haushälterin, die mit beiden Füßen im Leben steht und sich nichts vormachen lässt, die aber Baby Janes Entschlusskraft unterschätzt. Zu nennen wäre zudem Anna Lee als neugierige, aber zugleich besorgte Nachbarin der Hudsons, die neben Buono und Norman die Außenwelt repräsentiert, die der versponnenen Innenwelt der Schwestern gegenübersteht.

Der klaustrophobischen Atmosphäre im Haus der Schwestern entspricht die zwanghafte und in sich verschlossene psychische Welt der beiden Frauen, die krankhafte innere Abhängigkeit, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint.

Aldrich verzichtete auf Effekthascherei; die Dramatik ergibt sich ausschließlich aus dem Spiel der beiden großartigen Schauspielerinnen. Ernest Haller fotografierte viele Szenen, die sich vor allem natürlich im Haus abspielen, jeweils aus einer Einstellung heraus. Für den Zuschauer bedeutet dies, dass es für ihn genauso wenig ein Entrinnen vor der tragischen Handlung gibt wie für die Schwestern selbst.

Dieser Film sowie der zwei Jahre später gedrehte „Wiegenlied einer Leiche” gehören für mich zu den Klassikern des psychologischen Horrors / Thrillers.



Der Flug des Phoenix
(The Flight of the Phoenix)
USA 1965,142 Minuten
Regie: Robert Aldrich

Drehbuch: Lukas Heller, nach dem Roman von Adam Hall
Musik: Frank de Vol, Gino Paoli
Director of Photography: Joseph F. Biroc
Montage: Michael Luciano
Produktionsdesign: William Glasgow, Lucien Hafley

Darsteller: James Stewart (Frank Towns), Richard Attenborough (Lew Moran), Peter Finch (Captain Harris), Hardy Krüger (Heinrich Dorfmann), Ernest Borgnine (E. „Trucker“ Cobb), Ian Bannen („Ratbags“ Crow), Ronald Fraser (Sergeant Watson), Christian Marquand (Dr. Renaud), Dan Duryea (Standish), George Kennedy (Mike Bellamy), Gabriele Tinti (Gabriel), Alex Montoya (Carlos)

Countdown in der Wüste

Katastrophenfilme überschwemmten ab Anfang der 70-er Jahre die Kinos und das Fernsehen. Flugzeugunglücke, gepaart mit allerlei menschlichen Dramen mehr oder weniger glaubwürdiger Art, und andere technische Katastrophen waren en vogue. Aldrichs Drama „The Flight of the Phoenix“ könnte man als eine Art Vorläufer solcher Filme betrachten; doch das wäre zu einfach. Denn im Mittelpunkt dieses Films stehen ein Dutzend Männer und deren Konflikte und Auseinandersetzungen, die angesichts einer Notlandung in der Wüste aufbrechen und durchaus überzeugend dargestellt werden. Die Besetzung des Films mit hochkarätigen Schauspielern sorgt für Spannung über mehr als zwei Stunden.

Irgendwo über der Sahara fliegt Captain Frank Towns (James Stewart) mit 13 Passagieren in einen Sandsturm, der ihn dazu zwingt, eine gewagte Notlandung zu riskieren, nachdem er zuvor vergeblich versucht hatte, durch eine Kursänderung dem Sandsturm zu entkommen. So landet Towns 150 km vom Kurs entfernt im heißen Sand. Zwei Passagiere kommen während des Landeanflugs ums Leben, ein dritter, Gabriel (Gabriele Tinti) wird so schwer verletzt, dass er nur wenig Chancen hat zu überleben.

50 Grad im Schatten, Wasser für vielleicht zwölf Tage. Eine schier aussichtslose Situation. Nach fünf Tagen unter diesen Bedingungen glaubt niemand mehr, dass ein Rettungsflugzeug noch auftauchen wird. Der britische Captain Harris (Peter Finch) beschließt, mit seinem Untergebenen, Sergeant Watson (Ronald Fraser), die nächste Wasserstelle zu suchen. Fraser jedoch täuscht einen Sturz und eine Knöchelverletzung vor, um nicht in die Wüste hinausgehen zu müssen. Dem psychisch erschöpften Amerikaner Cobb (Ernest Borgnine) verbieten Towns und der französische Arzt Dr. Renaud (Christian Marquand), Harris zu begleiten. Der marschiert mit Carlos (Alex Montoya) los. Cobb folgt den beiden heimlich und wird am nächsten Tag von Towns tot aufgefunden.

Inzwischen hat der deutsche Flugzeugkonstrukteur Heinrich Dorfmann (Hardy Krüger) Lew Moran (Richard Attenborough), dem Navigator der Maschine und alten Freund von Towns, seinen Plan unterbreitet, aus den Restbeständen des Flugzeugs ein neues zu bauen. Towns hält Dorfmann für verrückt. Doch nach einem Streit zwischen beiden fangen die verbliebenen Männer, darunter noch Crow (Ian Bannen), Standish (Dan Duryea) und Bellamy (George Kennedy), in der Nacht mit den Arbeiten an. Am nächsten Morgen finden die Männer Captain Harris völlig erschöpft in der Nähe der Absturzstelle. Carlos ist tot, und wenig später nimmt sich der schwerverletzte Gabriel das Leben.

Hoffnung keimt noch einmal auf, als Araber auf Kamelen in der Nähe auftauchen. Doch Harris und Dr. Renaud müssen mit ihrem Leben bezahlen, als sie versuchen, Wasser von ihnen zu bekommen. Die letzte Hoffnung der verbliebenen sieben Männer ist der Bau des Flugzeugs ...

Ein „Katastrophenfilm“, aber mit viel Spannung und vor allem mit Charakteren, die es in sich haben, ist Aldrich gelungen. James Stewart spielt den alten Flieger-Haudegen, dem niemand etwas vormachen kann und der sich nichts sagen lassen will – schon gar nicht von dem Deutschen Dorfmann, den er als „Rechenschieber“ bezeichnet. Außerdem hat Towns mit Schuldgefühlen zu kämpfen, denn er sieht bei sich die Verantwortung für den Tod der fünf Männer. Dorfmann, kühl, pedantisch, hoch intelligent und ebenso von sich und seinen Plänen überzeugt, wird von Hardy Krüger gespielt, und zwar exzellent. Der Zusammenstoß der beiden Männer ist einer der Konflikte, die Aldrich in die Geschichte überzeugend eingebaut hat. Richard Attenborough spielt Towns alten Freund Moran, einen alkoholabhängigen Mann, der nichts mehr zu trinken hat, dem jetzt die Rolle des Vermittlers, einer Integrationsfigur zukommt. Und Attenborough spielt diese Rolle mit allem Können, das ein Schauspieler aufbringen kann. Immer wieder muss er zwischen Dorfmann und Towns vermitteln.

Ein weiterer Konflikt beherrscht die Szenerie. Sergeant Watson hat eine schon lange schwelende Wut auf sein Soldatendasein. Sein Vater hatte ihn zum Militär gesteckt, und seit diesem Zeitpunkt gefällt sich Watson in der Rolle, jeden Vorgesetzten zu hassen und zu verachten. Er entzieht sich nicht nur dem Befehl, mit Harris nach einer Wasserstelle zu suchen; er lässt ihn auch des nachts liegen, als Harris völlig am Ende die anderen wiedergefunden hat, und er verweigert den Befehl, als Harris ihn mit zu den Arabern nehmen will. Daneben trifft man auf E. Cobb, einen unter Erschöpfung leidenden Mann, für den diese Situation katastrophal ist. Ernst Borgnine spielt ihn gewohnt gut, ebenso gut wie Ian Bannen den Zyniker Crow.

Etwas unterbeschäftigt sind Christian Marquand als Arzt, Dan Duryea als Versicherungsagent von Aramco und vor allem George Kennedy, der eine krasse Nebenrolle abbekam.

Von der Bruchlandung bis zum Showdown wird man jedoch nicht nur mit diesen Konflikten konfrontiert. Der Film lebt vor allem auch von überraschenden Wendungen, von denen hier natürlich nichts verraten sei.

„Der Flug des Phoenix“ ist summa summarum ein exzellentes Drama. Und wer nicht glauben kann, dass man aus den Resten eines Flugzeugs unter extrem schwierigen Bedingungen eine Art Hilfsflugzeug bauen kann, der wird durch diesen Streifen eines besseren belehrt.



Wiegenlied für eine Leiche
(Hush ... Hush, Sweet Charlotte)
USA 1964, 133 Minuten (DVD: 127 Minuten)
Regie: Robert Aldrich

Drehbuch: Henry Farrell, Lukas Heller, nach dem Roman von Henry Farrell „Whatever Happened to Cousin Charlotte?“
Musik: Frank De Vol
Director of Photography: Joseph F. Biroc
Montage: Michael Luciano
Produktionsdesign: William Glasgow, Raphael Bretton

Darsteller: Bette Davis (Charlotte Hollis), Olivia de Havilland (Miriam Deering), Joseph Cotton (Dr. Drew Bayliss), Agnes Moorehead (Velma Cruther), Cecil Kellaway (Harry Willis), Victor Buono (Samuel Eugene „Big Sam“ Hollis), Mary Astor (Jewel Mayhew), Wesley Addy (Sheriff Luke Standish), Bruce Dern (John Mayhew)

„... He’ll love you till he dies“

„Hush hush, sweet Charlotte
Charlotte, don't you cry
Hush hush, sweet Charlotte
He'll love you till he dies.” (1)

Wie eine Art menschlicher Urknall entfacht sich eine Singularität, von der aus alles anders wird, als sich die Beteiligten es erhofften. Man könnte es auch Schicksalsschlag nennen. Aber es ist mehr. Ein patriarchalischer Vater, „Big Sam” Hollis (Victor Buono) entscheidet sich gegen einen Mann und gegen seine Tochter. Er will nicht, dass der verheiratete John Mayhew (Bruce Dern) weiterhin seine Tochter Charlotte (Bette Davis) „belästigt”. Wir schreiben das Jahr 1927. Das herrschaftliche Haus der Hollis irgendwo in den Südstaaten der USA strahlt im Glanze des künstlichen Lichts, der Kronleuchter, die aber auch genug Schatten werfen, sozusagen um das Dunkle zu repräsentieren, das sich im Verborgenen nun abspielt. Ein Fest für die ganz in Weiß gekleidete Charlotte wird für sie zum Verhängnis, bestimmt ihr weiteres Leben wie eine Krankheit, deren Folgen jemand nie überwindet: Mit einem Beil aus der Küche wird John Mayhew zuerst die Hand, dann der Kopf abgeschlagen. Und dann steht Charlotte in ihrem blütenweißen, mit Blut getränkten Kleid vor ihrem Vater und den Gästen – hilflos, ratlos. Man hört nur das Geräusch der klirrenden Glasstäbe, die von den Decken herabhängen oder am Fenster ganz leicht gegeneinander schlagen – und die Stimme des Patriarchen. „Komm Charlotte, komm mit mir.”

Entsetzen macht sich breit. Wie zu Eis erstarrt stehen alle und schauen auf die junge Frau. Wie klirrendes, zerbrechendes Eis klingt das Glas, das gegeneinander schlägt. Verdacht macht sich breit. Nicht nur Mayhews Frau Jewel (Mary Astor) scheint sich sicher, dass Charlotte ihren Mann brutal ermordet hat, nachdem der Charlotte auf Befehl ihres Vaters die Trennung erklärt hat. Die Polizei allerdings kann weder ihr, noch sonst jemandem die schreckliche Tat nachweisen.

Abgründe tun sich auf, Irrtümer werden zu Wahrheiten, Wahrheiten bleiben verborgen, Lebensläufe beginnen, ihre Richtung zu ändern. Das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Nur zwei Jahre nach der großartigen Visualisierung des Romans von Henry Farrell „Was geschah wirklich mit Baby Jane?” (1962) schickte sich Robert Aldrich an, einen weiteren Roman des Schriftstellers für das Kino aufzubereiten: „Whatever Happened to Cousin Charlotte?” Und wieder war es Bette Davis, die die Hauptrolle spielte. Und es war Bette Davis, die Aldrich riet, für die Rolle der Cousine Charlottes, Miriam, die in Melodramen geübte Olivia de Havilland zu engagieren – wie sich herausstellen sollte eine gute Wahl –, obwohl Aldrich zunächst Joan Crawford für die Rolle der Charlotte eingeplant hatte, die jedoch wegen einer Lungenentzündung ausgefallen war.

„Oh, hold him darling
Please hold him tight
And brush the tear from your eye
You weep because you had a dream last night
You dreamed that he said goodbye.“ (1)

37 Jahre später, 1964, lebt Charlotte allein in dem südstaatlichen Herrschaftshaus. Der Vater ist lange schon tot. Nur eine Nachbarin, Velma Cruther (Agnes Moorehead), versorgt die einsam lebende Frau, die noch immer ausschließlich in der Erinnerung an den toten Geliebten John lebt, ein wenig verrückt, völlig zurückgezogen und ohne jeglichen Kontakt zu anderen Menschen, außer dem Arzt Dr. Drew Bayliss (Joseph Cotton), der alle paar Wochen nach ihr und ihrer Gesundheit schaut. Eine alte Spieluhr mit dem Lied „Hush, hush, Sweet Charlotte” und das Bild ihres Vaters sind die Dinge, an denen sich die alte Dame krampfhaft festhält. Alles andere interessiert sie nicht, ja, sie hofft, ihr John würde irgendwann wieder auftauchen und sie holen.

In dieser inneren wie äußeren Zurückgezogenheit und Zurückgeworfenheit kennt Charlotte kein Pardon gegenüber denjenigen, die sie aus dem Haus werfen wollen, weil es wegen des Baus einer Brücke abgerissen werden soll. Sie schießt auf die Bauarbeiter, die das Haus dem Erdboden gleich machen wollen. Auch der Sheriff (Wesley Addy), der durchaus Mitleid mit Charlotte hat, kann ihr nicht helfen und setzt ihr eine letzte Frist von zehn Tagen, das Haus zu verlassen. In ihrer Not hat Charlotte ihre Cousine Miriam (Olivia de Havilland) angeschrieben, die in England lebt, damit diese ihr hilft. Und Miriam kommt und versucht mit Dr. Bayliss, Charlotte zum Auszug aus dem herrschaftlichen Sitz zu bewegen.

Diese Situation „spicken” Farrell und Aldrich mit allerlei Verwicklungen, falschen Fährten und falschen Verdächtigungen – und nicht zuletzt mit einer fein gesponnenen Intrige, die ihren Ausgangspunkt in dem lange Jahre zurückliegenden Mord an John Mayhew hat, sowie mit einer Racheaktion, die sich gewaschen hat. Zu diesen Unklarheiten und Verwicklungen zählt auch, dass ein Versicherungsdetektiv namens Harry Willis (Cecil Kellaway) auftaucht, um zu klären, warum eine seit Jahrzehnten zur Auszahlung bereite Versicherungssumme nicht abgeholt wurde.

„He held two roses within his hand
Two roses he gave to you
The red rose tells you of his passion
The white rose his love so true.” (1)

Für den Zuschauer stellen sich viele Fragen: Hat Charlotte ihren Geliebten getötet oder wer könnte es aus welchen Gründen sonst gewesen sein? Was will Miriam wirklich von Charlotte? Immerhin hält Velma Cruther Miriam für eine eigensüchtige Person, die alles andere wolle, als Charlotte zu helfen. Und was treibt Dr. Bayliss für ein Spiel, oder ist er nur das, was er vorgibt: der fürsorgliche Arzt?

Mehr zu verraten, wäre sicherlich eine Gemeinheit. Denn wer den Film noch nicht gesehen hat, wird sich an den spannenden und nur häppchenweise von Aldrich gelieferten Informationen, die Licht in das Dunkel der Geschichte bringen, ergötzen. In kleinen Portionen liefert der Meisterregisseur auch die entsprechenden Horrorszenen, nicht zu viele, und nicht zu wenige, darunter u.a. einen abgetrennten Kopf, ein unheimliches Spinettspiel und eine wandelnde Wasserleiche.

Getragen wird diese Handlung jedoch vor allem – neben dem exzellenten Einsatz von Licht und Schatten und der Musik, eben jenem Liebeslied – von den großartigen Schauspielern, allen voran Bette Davis, die diese Charlotte als eine gelungene Mixtur aus Mitgefühl erregendem Opfer und in der Einsamkeit sonderbar gewordener alter Frau spielt. Ihr Gegenpart, Olivia de Havilland, spielt Cousine Miriam als eine vordergründig freundliche, hilfsbereite und selbstbewusste Frau, die sich im Verlauf der Handlung als eine ganz andere Art von Mensch entpuppt. Joseph Cotton als fürsorglicher Arzt zeigt sein wahres Wesen vor allem nach dem Genuss von Alkohol. Vor allem aber zu erwähnen ist die großartige Agnes Moorehead als verschrobene, trotzige Haushälterin, die wie Pech und Schwefel zu Charlotte hält – auch wenn alles aussichtslos erscheint.

„And every night after he shall die
Yes every night when he's gone
The wind will sing to you this lullaby
Sweet Charlotte was loved by John.” (1)

Tatsächlich ist „Wiegenlied für eine Leiche” eine der besten psychologischen Thriller und Horrorfilme seiner Zeit. Und selbst vielen heutigen vergleichbaren Produktionen des Genres ist der Film haushoch überlegen. Aldrich verstand es, eine psychologisch nachvollziehbare Geschichte und ausgefeilte Charaktere in den Vordergrund zu stellen und die Horroreffekte gezielt und sparsam dieser Geschichte unterzuordnen – auch heute also noch ein sehenswerter und spannender Film.

(1) „Hush, Hush, Sweet Charlotte“: Text: Mack David; Musik: Frank De Vol, gesungen von Al Martino)

© Bilder: 20th Century Fox
Screenshots von der DVD


 

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