Blair Witch Project
(The Blair Witch Project)
USA 1999, 86 Minuten
Regie: Daniel Myrick, Eduardo Sánchez

Drehbuch: Daniel Myrick, Eduardo Sànchez
Musik: Tony Cora
Director of Photography: Neal Fredericks
Montage: Daniel Myrick, Eduardo Sánchez
Produktionsdesign: Ben Rock, Richard Moreno

Darsteller: Heather Donahue (Heather Donahue), Joshua Leonard (Joshua Leonard), Michael C. Williams (Michael C. Williams), Bob Griffin (kleinwüchsiger Angler), Ed Swanson (Angler mit Brille), Patricia DeCou (Mary Brown), Jim King, Sandra Sànchez, Mark Mason, Jackie Hallex

Horror hautnah

Was ist Horror? Michael Myers aus „Halloween“? Jack Torrance aus Kubricks „Shining“? Der Creeper aus „Jeepers Creepers“? Der Leibhaftige aus „Rosemary’s Baby“? Sicher, all diese Figuren erzeugen Schrecken. Aber WAS IST Horror? Oder anders gefragt: Was erschreckt uns? Ein Merkmal aller Filme, in denen der Schrecken sein Unwesen treibt, ist das Unerklärbare, das Nicht-Erklärte, das Verborgene, Mysteriöse, dem nicht auf den Grund gegangen wird, das nicht rationalisiert wird oder werden kann. Das Schreckliche enthält etwas Unumstößliches, Unausweichliches, etwas, um das man nicht herumkommt. Wenn Roger Thornhill in Hitchcocks „North by Northwest“ (1959) einsam auf der Straße nahe einem Maisfeld auf einen Unbekannten wartet, in trügerischer Stille, dann ist der Schrecken fühlbar, der Horror nähert sich in Gestalt eines Flugzeugs. Dieser Schrecken allerdings wird rationalisiert. Es ist klar, wer Thornhill beschießen lässt. Das Maisfeld ist der inszenierte, vorausgesetzte, eingeplante Rettungsanker. Das Rätsel löst sich. Thornhill überlebt und am Schluss wird der Schrecken in Gestalt des Mr. Vandamm und seiner Gesinnungsgenossen auf einer realistischen Ebene dingfest gemacht. Entlastung macht sich breit.

Ganz anders zum Beispiel „Rosemary’s Baby“. Gott und der Leibhaftige sind eine Frage des Glaubens, aber eben auch Verkörperung von „Gut“ und „Böse“. Polanski stellt Luzifer als das Böse schlechthin dar (geboren von einem Menschen), dem niemand habhaft werden kann, gleichwohl eben auch Produkt des Menschen – das Böse, an dem die Aufklärung, die Rationalität, der Realitätssinn und so weiter scheitern müssen, ins Zentrum eines Films in einer Zeit – 1968 –, in der eine der Aufklärung verpflichtete rebellische Jugend in Europa und Amerika Rationalität – bis zu dem Punkt, an dem sogar die Gefühlswelt rationalisiert werden sollte – eine Rekonstruktion der Aufklärung erkämpfen wollte. Polanski tat damit etwas, was in gewisser Weise dem Verhältnis von Aufklärung und Romantik entspricht. Die Romantik als Gegenbewegung zur Aufklärung pochte auf das Emotionale und Unergründliche, die „Dinge“, die der Wissenschaft und Rationalität nicht zugänglich sind.

Die Hexe von Blair (jetzt: Burkittsville) soll seit dem 18. Jahrhundert in Wäldern von Maryland – Black Hills Forest – ihr Unwesen getrieben haben und wird für etliche Morde und das Verschwinden von Kindern und Erwachsenen verantwortlich gemacht. Drei Studenten der Filmwissenschaften wollen im Oktober 1994 den Geschichten auf den Grund gehen, eine Dokumentation erstellen, Leute interviewen, was sie von der mysteriösen Hexe halten. Kurz darauf sind sie spurlos verschwunden. Ein Jahr später findet man zwei Kameras, eine 16-Millimeter-Schwarz-Weiß-Kamera und eine 8-Millimeter-Farbkamera, auf der das Schicksal der drei dokumentiert ist. Die Geschichte, die Daniel Myrick und Eduardo Sánchez erzählen, funktioniert natürlich nur unter der Voraussetzung, dass beide Kameras oder zumindest eine fast ständig in Betrieb waren und alles dokumentieren, was für das Schicksal der drei Studenten wesentlich war. Man mag das für unrealistisch halten, insbesondere in Situationen, in denen die Angst die drei überkommt oder Streit aufkommt. Für die Wirkung des Films ist dies allerdings unwesentlich; man kann sich mit dieser Voraussetzung anfreunden.

„Blair Witch Project“ stellt uns Heather Donahue, eine junge Frau, die besonders vehement das Projekt verfolgt und die 8-mm-Kamera bedient, Joshua Leonard mit der Schwarz-Weiß-Kamera und Michael Williams, der für den Ton sorgt, vor. Die Figuren tragen dieselben Namen wie die Schauspieler. Myrick und Sánchez inszenierten den Film als Dokumentarfilm im Dokumentarfilm. Authentizität beherrscht die Szenerie, allerdings nicht in dem Sinne, dass von der unüberbrückbaren Diskrepanz zwischen Fiktion und Realität behauptet wird, sie sei auflösbar. Das Unverfälschte, Echte, „Reine“, Realistische, Verbürgte der Geschichte bleibt immer als ein In-Szene-Gesetzes erkennbar; und gerade dadurch – das klingt paradox –, dass etwas Gespieltes durch die Art und Weise, wie es gespielt wird, erkennbar bleibt, ist der Schrecken, der langsam, aber unaufhaltsam wachsende Horror der Erzählung umso vehementer.

Nachdem Heather, Josh und Mike zunächst Leute in Burkittsville zum Treiben der Hexe interviewt haben, eine Mutter mit Kind, eine etwas skurrile Dame, zwei Angler und einige andere, begeben sie sich in die Wälder, in denen die Hexe ihr Unwesen getrieben haben soll bzw. – wie manche meinen – noch immer treibt. Ausgestattet mit den beiden Kameras, etlichem Gepäck und einem Zelt stapfen sie los, um nach Spuren zu suchen. Die drei Schauspieler sind exzellent. Als wenn sie „sich selbst“ spielen würden, gibt es keine Künstlichkeit in ihrer Mimik und Gestik; ihre steigende Angst, aus diesem Wald nicht mehr herauszukommen, wirkt echt, so echt, dass man selbst irgendwann davon überzeugt ist, etwas Übernatürliches würde ihr Schick-sal bestimmen.

Die drei stoßen auf merkwürdige Zeichen, zusammengeschnürte Reisigbündel, hören des nachts in nicht allzu großer Entfernung geheimnisvolle Geräusche, Stimmen – und verlaufen sich – trotz Karte und Kompass. Als Mike aus Verzweiflung die Karte wegwirft, die ihnen sowieso nichts genutzt habe, sind Heather und vor allem Josh fast am Ende ihrer Nerven. Es kommt zu Streit, aber trotzdem halten die drei dann wieder zusammen. Der Kompass scheint nicht zu funktionieren, die nächtlichen Stimmen werden zunehmend furchterregender, Josh ist plötzlich verschwunden, die beiden anderen finden ihn nicht – bis sie zu einem verlassenen Haus kommen ...

Der Schrecken kommt aus dem Alltäglichen, sagt man. In „Blair Witch Project“ entsteigt er in einem einsamen Wald der Todesangst dreier junger Menschen, die ihr Schicksal selbst filmen. Das Bedrohliche ist nicht fassbar ist, äußert sich nur in Symbolen und Stimmen. Die Diskrepanz zwischen visueller Fiktion und Realität scheint für knapp eineinhalb Stunden aufgehoben. Die wackeligen Bilder der Handkamera, der Wechsel zwischen Schwarz-Weiß- und Farbkamera, all das dokumentiert geradezu Schicksale hautnah. Besonders eindrücklich ist eine Szene, in der sich Heather in Todesangst selbst filmt, weint, an ihre Eltern denkt.

Man nimmt teil, anders als bei „offensichtlichen“ Spiel-Filmen, scheint hier nichts Spiel, sondern blutiger Ernst. Die Form des Dokumentarfilms im Dokumentarfilm verschafft eine Nähe zu den Figuren, die frappant ist. Durch diese Form werden sowohl das Übernatürliche, als auch die psychologische Entwicklung der drei Studenten in einer Spannungsatmosphäre aufgehoben, die den Film zu einem der besten Horrorfilme aller Zeiten werden lässt.