Cast Away
(Cast Away)
USA 2000, 143 Minuten
Regie: Robert Zemeckis

Drehbuch: William Broyles Jr.
Musik: Alan Silvestri
Director of Photography: Don Burgess
Montage: Arthur Schmidt
Produktionsdesign: Rick Carter, Jim Teegarden, Stefan Dechant, Elizabeth Lapp

Darsteller: Tom Hanks (Chuck Noland), Helen Hunt (Kelly Frears), Nick Searcy (Stan), Christopher Noth (Jerry Lovett), Lari White (Bettina Peterson), Geoffrey Blake (Maynard Graham), Jenifer Lewis (Becca Twig), Michael Forest (Jack, Pilot), Christopher Kriesa (Kevin, Pilot), Paul Sanchez (Ramon)

Reisen ins Innere

Auch in Robert Zemeckis („Contact“, 1997; „Forrest Gump“, 1994; „Zurück in die Zukunft“, I-III, 1985, 1989, 1990) Robinsonade erscheint Zeit zunächst als physikalische Zeit, als Abfolge von Ereignissen, und Menschen als der knappen Zeit und Zeiteinteilung unterworfene Wesen. Ein Federal-Express-Angestellter hat keine Zeit, seine Zeit drängt, treibt ihn von einem Ort der Erde zum nächsten; nicht einmal Weihnachten kann Chuck Noland (Tom Hanks) mit seiner geliebten Freundin Kelly (Helen Hunt) feiern. Kann nicht oder will nicht? Soll nicht oder darf nicht? Irgendwie von allem etwas. Die Uhr tickt unaufhörlich und Noland rennt von einem Flugplatz zum anderen, fliegt in aller Herren Länder und ackert ...

... bis er strandet.

Der Absturz seiner Maschine, die ihn Heiligabend nach Malaysia bringen sollte, irgendwo in den Weiten des Pazifiks reißt ihn aus einer Zeitvorstellung, die die Moderne ihm auferlegt und die er längst internalisiert hat. Zeit wird plötzlich zu einem Nullum, weil Noland nun – auf einer unbewohnten Insel, auf der nur ab und an für ihn unbekannte Geräusche aus dem Urwald zu hören sind – Zeit im Überfluss hat. Er ist allein und auch nicht. Die Taschenuhr, die Kelly ihm zu Weihnachten geschenkt hat und die er auf einen Fels stellt, enthält ihr Bild – Symbol der Erinnerung und der Zuneigung. Und den Volleyball, dem er ein Gesicht verpasst, und ein paar „Haare“, nennt er Wilson, seinen einzigen „Gesprächspartner“ in der Einsamkeit. Robinson und Freitag.

Zemeckis erzählt eine Geschichte, deren Inhalt er auf ein Minimum reduziert, die dramaturgisch in drei eindeutige Teile zerfällt – die Zeit als Fed-Ex-Angestellter bis zum Flugzeugabsturz, das Leben auf der Insel, die Zeit nach der Rettung – und die doch eine unverbrüchliche Einheit bilden. Erst als Noland aus der Hektik der Zivilisation gerissen wird, schält sich langsam heraus, was sich hinter dieser Diktatur der modernen Zeit verbirgt. Während die literarische Figur des Grafen von Monte Christo – eingekerkert in die Dunkelheit und Abgeschiedenheit irgendeines Gefängnisses – nur daran denkt, sich für die Ungerechtigkeit zu rächen, die ihm widerfahren ist, die Zeit im Gefängnis für ihn eine Art aufgezwungene Wartezeit darstellt, wird Noland in eine Situation geworfen, die – trotz aller und manchmal geradezu wegen aller Entbehrungen – für ihn eine Art Chance darstellt, eine Möglichkeit zu sich zu kommen, eine Fahrt durch die eigene Psyche, die nichts, aber auch gar nichts an Sicherheit verspricht und eben deshalb sein Menschsein, sein Hineingeworfensein in die Welt dokumentiert.

Noland steht am Strand der Insel und ist allein, sozusagen nackt, ohne jegliche Beigaben, wenn man von den paar Fed-Ex-Paketen und einigen Bruchstücken des Flugzeugs einmal absieht. Palmen und Kokosnüsse, Fische, eine Höhle und das wenige, was die Insel noch zu bieten hat, ist alles, was diesem rasenden Zeitgenossen durch die Irrwege der Zivilisation noch verblieben ist. Noland wurde gebremst durch die Geister, die diese Zivilisation selbst hervorrief. Der Drang nach vermeintlich möglicher Sicherheit entlädt sich im Crash des Flugzeugs, von dem nichts übrig bleibt – außer Chuck Noland.

Auf was er aber tatsächlich zurückgeworfen wird, das ist nicht die Notwendigkeit, Kokosnüsse zu öffnen, Fische zu fangen, sich eine Höhle einzurichten oder sich mit erheblicher Mühe und unter großen Schmerzen einen Zahn herauszuhauen und so weiter. Denn Robinson wie Noland sind keine Steinzeitmenschen; sie haben die Erfahrung der Zivilisation und können aus dem Wenigen, was ihnen geblieben ist, den Anfang von Kultur wieder „setzen“. Was Chuck wirklich am Leben hält, ist die Erinnerung an das jetzt offenbar werdende, sich enthüllende Wesentliche seines bisherigen Lebens, Kelly, die Liebe, die Zuneigung, und das, was Menschen ausmacht: mehr als nur gesellige Tiere zu sein, Kommunikation, Nähe bzw. die winzige Chance, dies wieder erleben zu können.

Wilson ist eine absolute Notwendigkeit, ein Surrogat zwar nur, aber eines, ohne dass Chuck jämmerlich zugrunde gehen würde. Wilson ist ein Phantom, eine Einbildung, aber gerade deswegen eben nicht nur ein modifizierter Volleyball. Chuck ist gestrandet. Dieses Stranden ist doppeldeutig. Er wurde gezwungen, eine Tür aufzustoßen, hinter der sich Einsamkeit verbirgt. Stranden bedeutet aber auch Ankommen. Noland ist jetzt so etwas wie eine Mischung aus Robinson und Sisyphus, einer, der ständig ackern muss, um sich biologisch am Leben zu halten, ohne dass irgendein Fortkommen in Aussicht steht, scheinbar einem immer wiederkehrenden Kreislauf ausgesetzt, den er nicht durchbrechen kann; einer der aber sofort daran geht, Kultur zu entwickeln – allerdings unter den beschränkten Möglichkeiten einer abgelegenen Insel im Pazifik. Er stattet seine Höhle aus, er nimmt den Raum ein, er findet sich zurecht. Am Ende steht eine Entscheidung, die absolut notwendig ist – die zwischen Tod und Leben – und die ihn dem Kreislauf als „erneuerter“ Mensch entreißt. Tod hieße, auf der Insel zu bleiben und damit auf das Grundlegende zu verzichten: auf andere Menschen, also vor allem auf Kelly. Das Floß, das Chuck mit viel Mühe baut und mit dem er und Wilson sich schließlich in das Unbekannte aufmachen, verspricht – wie auch sonst – keine Sicherheit, aber eine minimale Chance in der Unwägbarkeit seines Lebens.

Denn Chuck weiß jetzt, nach vier Jahren, worauf es ankommt. Und selbst die Enttäuschung, dass Kelly inzwischen geheiratet und ein Kind bekommen hat, kann ihn nicht mehr aus der Bahn werfen. Sein künftiges Leben kann er nicht von den Bedingungen der Moderne befreien, aber er ist sich jetzt dieser Bedingungen bewusst. Die Wege stehen ihm offen, als er an der Kreuzung steht und eine vorbeifahrende Frau ihm sagt, wohin jeder der vier Wege führt.

„Cast Away“ ist ein Ein-Personen-Stück. Nicht nur die Handlung, auch die Besetzung des Films ist ganz und gar auf Tom Hanks Noland reduziert. Nur Helen Hunt ragt aus der übrigen Crew heraus, aber dies alles ist kein Nachteil, kein Mangel des Films. Zemeckis verzichtet auf melodramatische Aufladungen. Statt dessen konzentriert er den Hauptteil des Films, die Szenen auf der Insel, ganz auf Hanks, ohne Rückblenden oder klischeebehaftete Dramatik. Zemeckis verzichtet hier selbst auf Musik; nur die Geräusche auf der Insel sind zu hören.

© Bilder: United International Pictures