Das fliegende Klassenzimmer (1954)
Das fliegende Klassenzimmer (2002)





Das fliegende Klassenzimmer
(USA: Flying Classroom)
Deutschland 1954, 88 Minuten
Regie: Kurt Hoffmann

Drehbuch: Erich Kästner, nach seinem gleichnamigen Roman
Musik: Hans-Martin Majewski
Director of Photography: Friedl Behn-Grund
Montage: Fritz Stapenhorst
Produktionsdesign: Robert Herlth, Kurt Herlth, Hubert Koffou, Rolf Taute

Darsteller: Paul Dahlke (Dr. Johannes Böck, gen. Justus), Heliane Bei (Schwester Beate), Paul Klinger (Dr. Uthoff, gen. Nichtraucher), Erich Ponto (Sanitätsrat Dr. Hartwig), Bruno Hübner (Prof. Kreuzkamm), Hebert Kroll (Direktor Grünkern), Rudolf Vogel (Friseur Krüger), Willy Reichert (Herr Thaler), Ruth Hausmeister (Frau Thaler), Peter Vogel (Der schöne Theodor), Peter Tost (Martin Thaler), Peter Kraus (Johnny Trotz), Bert Brandt (Matz), Knut Mahlke (Uli), Axel Arens (Sebastian), Michael Verhoeven (Ferdinand), Bernhard von der Planitz (Egerland), Michael von Welser (Kreuzkamm), Hartmut Högel (Fridolin), Horst Dieter Bauer (Wawerka), Erich Kästner (Erzähler)

Freundschaft all over the world

Kästner „postmodern“? Nein, die 2002 in den Kinos laufende dritte filmische Adaption des Romans „Das fliegende Klassenzimmer“ ist eine ganz gut gelungene Version der Geschichte – ausgelegt auf die Gegenwart und darin nicht übertrieben modernistisch. Das erstaunliche an diesem Film ist, das die Grundmotivation des Romans im wesentlichen beibehalten wurde und der Film dennoch nicht hausbacken oder altmodisch wirkt. Und trotzdem: Der Film von Kurt Hoffmann aus dem Jahr 1954 mit den alten Stars Paul Dahlke (1904-1984) und Paul Klinger, Erich Ponto (1884-1957) und dem immer mitreißenden Bruno Hübner sowie den damaligen Jungstars Peter Vogel – Sohn des ebenfalls mitspielenden Rudolf Vogel –, Peter Kraus und Michael Verhoeven (dem späteren Regisseur in seiner ersten Rolle [1]) bleibt mein Favorit unter den drei Filmen (der dritte mit Joachim Fuchsberger, Diana Körner und Hans Putz stammt aus dem Jahr 1973, Regie: Werner Jacobs). Vielleicht ist das der nostalgische Blick auf die eigene Jugend, als ich in den 60er Jahren irgendwann dieses fliegende Klassenzimmer bewunderte, vor allem weil der Autor Erich Kästner in diesem Film seine Geschichte selbst erzählt und das Drehbuch schrieb.

Ein Autor schwitzt. 38 Grad zeigt das Thermometer in der sommerlichen Kleinstadt, als er die Geschichte von ein paar Schülern und ein paar Lehrern erzählt, die im Winter spielt, kurz vor Weihnachten. Die Racker aus dem Gymnasium und Internat, das von dem alten und lebenserfahrenen Dr. Johannes Böck (Paul Dahlke), den die Schüler alle Justus nennen, und seinem etwas skurrilen Kollegen Professor Kreuzkamm (Bruno Hübner) geführt wird, freuen sich auf die Feiertage, jedenfalls einige, die dann zu ihren Eltern nach Hause fahren dürfen. Nur Martin Thaler (Peter Tost) freut sich gar nicht; denn seine Eltern (Willy Reichert und Ruth Hausmeister) haben kein Geld, um ihm die Fahrkarte zu kaufen.

Bevor es allerdings die weihnachtliche Feststimmung oder auch Missstimmung ausbricht, haben Martin und seine Freunde Johnny (Peter Kraus), Matz (Bert Brandt), Kreuzkamm junior (Michael von Welser) und der schmächtige Uli (Knut Mahlke) noch einige Schwierigkeiten zu meistern. Zum einen liegen sie im ständigen Clinch mit den Realschülern vor Ort, die ihnen eines Tages die Diktathefte klauen und Kreuzkamm junior als „Geisel“ nehmen. Ein Plan zur Befreiung muss her. Zudem hat es Uli satt, als Feigling bei den anderen zu gelten, und plant eine allzu gefährliche Mutprobe, zu der er alle Schüler einlädt. Zum Glück haben die Freunde einen erwachsenen Freund, den alle nur den Nichtraucher nennen, weil er in einem alten Eisenbahnwagon (für Nichtraucher) in der Nähe der Schule lebt. Dr. Uthoff heißt er und war früher einmal Arzt. Bei ihm finden sie das Theaterstück „Das fliegende Klassenzimmer“ und beschließen, es zu Weihnachten vor Lehrern, Eltern und Schülern aufzuführen.

Zunächst allerdings müssen sie sich, weil sie sich unerlaubt aus der Schule entfernt haben und der „schöne“ und arrogante Theodor (Peter Vogel), ein älterer Schüler, der für die jüngeren verantwortlich ist und sie erwischt hat, vor Justus rechtfertigen. Der empfängt sie mit Kaffee und Kuchen und erzählt ihnen die Geschichte einer Freundschaft aus seiner Jugend. Bald kommen die Jungen dahinter, dass es sich bei Justus Freund um ihren Nichtraucher handeln muss – und sie bringen beide, die sich aus den Augen verloren haben, wieder zusammen ...

Hoffmanns Film ist – wie sollte es anders sein – ein typischer Vertreter seiner Zeit, der frühen 50er Jahre, fernab der jüngeren Vergangenheit, fernab aber auch von der Rührseligkeit und Realitätsferne so mancher Heimatfilme und Romanzen dieser Zeit. Kästner erzählt seine Geschichte selbst, eine Geschichte über die Bedeutung von Freundschaft, Zuneigung, Nächstenliebe und vor allem Verständnis zwischen den Generationen. Manche Kritiker Kästners argumentierten, dass seine Aussagen immer richtig seien und deshalb heutzutage anachronistisch, ja lebensfremd oder gar nichtssagend seien.

Doch was zeigt Hoffmann in seinem Film? Er zeigt einen schon älteren Paul Dahlke in der Rolle des Justus, der nicht vergessen hat, dass auch er einmal jung war, der sehr auf Ordnung, Pünktlichkeit usw. bedacht ist, aus diesen Tugenden jedoch keine absoluten Werte zimmert. Jeden Abend, wenn die Schüler schon zu Bett sind, ruft er über das Haustelefon den Pedell an und erkundigt sich, ob die Türen alle abgeschlossen und die Lichter ausgeknipst seien. Justus ist jedoch kein Ordnungsfanatiker. Mit der Geschichte, die er Martin und den anderen erzählt, rechtfertigt er selbst deren Handlungsweise. Die Strafe, die er anordnet, hat mehr symbolischen Charakter. Denn sie haben aus Freundschaft und mit gutem Willen heimlich und unerlaubt das Gymnasium verlassen.

Hoffmann zeigt im wesentlichen Erwachsene, die Verständnis für die Jugendlichen und Kinder haben. Das mag realitätsfremd sein. Es ist eben eine Botschaft, und diese Botschaft manifestiert sich auch, als sich Justus und sein alter Freund Uthoff wieder treffen, einen süffigen Abend miteinander verbringen und dann mehr oder weniger angetrunken und lachend durch die dunkle, verschneite Kleinstadt ziehen – eine Szene, die mich an einen anderen Film (auch mit Dahlke) erinnert: „Drei Männer im Schnee“ [2]. Erich Ponto, einer der besten Komiker jener Zeit (man erinnere sich an „Die Feuerzangenbowle“ [3], und Bruno Hübner als Sanitätsrat sorgen für die notwendige Portion Humor. Selbst die eingearbeitete Liebesgeschichte zwischen dem Nichtraucher und der für den Sanitätsrat arbeitenden Schwester Beate (Heliane Bei) ist für die 50er Jahre jenseits des ansonsten oft verbreiteten Kitschs erstaunlich zurückhaltend, ja liebevoll inszeniert.

Die kleinstädtische Atmosphäre der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg verknüpft sich in den Figuren der Schüler noch nicht mit den damals schon sichtbaren Zeichen des Endes der 50er Jahre, einer beginnenden Jugendrevolte, die sich zunächst über Rock’n’Roll, Vespa u.a. Bahn bricht. „Das fliegende Klassenzimmer“ von 1954 verbleibt noch in einer fast idyllischen, wenn auch nicht unrealistischen Zwischenzeit des Aufatmens nach dem Krieg und der Hoffnung auf ein Leben, in dem Verständigung, Freundschaft und Nächstenliebe die entscheidende Rolle spielen sollen. Kästner, dessen Bücher von den Nazis ebenfalls verbrannt worden waren, wusste, von was er spricht und erzählt. Und in dieser Hinsicht verknüpfen sich tatsächlich die Motivation Kästners, der immer auf der Seite „seiner“ Kinder stand, in allen drei filmischen Adaptionen des Romans über die Jahrzehnte hinweg. Und es ist sicherlich nicht ausgeschlossen, dass in, sagen wir zwanzig Jahren, „Das fliegende Klassenzimmer“ einen weiteren Film nach sich zieht.

[1] Verhoeven inszenierte u.a. „MitGift“ (1976), „Die weiße Rose“ (1982) über die Geschwister Scholl und „Mutters Courage2 (1995)
[2] „Drei Männer im Schnee“ (1955, Regie: Kurt Hoffmann) basierte ebenfalls auf einem Roman Kästners. Dahlke spielte dort den Geheimrat Schlüter.
[3] „Die Feuerzangenbowle“ (1944, Regie: Helmut Weiss) basiert auf dem gleichnamigen Roman von Heinrich Spoerl. Ponto spielt dort den kauzigen Prof. Crey, genannt Schnauz.



Das fliegende Klassenzimmer
Deutschland 2002, 114 Minuten
Regie: Tomy Wigand

Drehbuch: Henriette Piper, Hermine Kunka, nach dem Roman von Erich Kästner
Musik: Niki Reiser
Director of Photography: Peter von Haller
Montage: Christian Nauheimer
Produktionsdesign: Ingrid Henn

Darsteller: Ulrich Noethen (Dr. Justus Bökh), Sebastian Koch (Bob Uthofft), Piet Klocke (Kreuzkamm senior), Anja Kling (Kathrin), Hauke Diekamp (Jonathan Trotz), Philipp Peter-Arnolds (Martin Thaler), Frederik Lau (Matz Selbmann), Hans Broich-Wuttke (Uli von Simmern), Francois Göske (Kreuzkamp junior), Theresa Vilsmaier (Mona), Nicolas Kantor (Der schöne Theo)

Kästner zum Dritten

Erich Kästners Welt war und bleibt die der „destillierten Wirklichkeit“, in der er voll und ganz auf seiten der Kinder steht, und einer zutiefst „einfachen“, weil einleuchtenden Moral: „Wie kann ein erwachsener Mensch seine Jugend so vollkommen vergessen, dass er eines Tages überhaupt nicht mehr weiß, wie traurig und unglücklich Kinder zuweilen sein können?“ Sagt uns Kästner mit solchen Worten heute noch etwas? Sind solche Sätze nicht verblasste Vergangenheit, fernab jeglicher Realität? Nun, was wir – vor allem wir Erwachsene – heutzutage, aber auch schon unsere Eltern und Großeltern zu Kästners Lebzeiten unter Realität verstehen, ist manchmal ein vertracktes Ding. Realität ist das, was ist. Punktum. Realitätssinn ist dann nichts anderes als die Maxime, das was ist, als solches anzuerkennen, zu akzeptieren, ja mitunter die Überzeugung, dass es richtig sei, sich diesem „Ist“ zu unterwerfen. Wenn wir darüber etwas intensiver nachdenken, stellt sich manches komplizierter dar.

Der globalisierende Effekt einer fast alles umspannenden harten und hartnäckigen Lebensweise mit dem Primat ökonomischer Arroganz und Hegemonie relativiert all das, was mit Phantasie, Emotionalität und biografischer Homogenität zu tun hat. Die Frage ist ja tatsächlich, warum viele Erwachsene die Erinnerung an ihre Kindheit und Jugend ausradiert zu haben scheinen. Da ist nicht einfach etwas vergessen worden. Vergessen ist ebensowenig ein rein mechanisch-biologischer Akt wie Erinnern. Vergessen und Erinnern sind subjektive, aber kulturell vermittelte Vorgänge. Und es scheint, dass wir manchmal den Zyklus des Lebens – von der Geburt über die Kindheit, die Jugend und das Alter bis zum Tod – nicht mehr als selbstbezüglichen Kreislauf, sondern als Aufeinanderfolge von Etappen empfinden, wobei nach jeder absolvierten „Strecke“ die letzte ad acta gelegt wird. Damit verschwinden Verständnis und Gefühl für die vorherige. Dieser Prozess ist brüchig, Gott sei Dank, und so gebiert jede Generation zum Beispiel auch ihre neue Kästner-Adaption. Seine Bücher, die mehr als Kinderbücher sind, bleiben in den Buchhandlungen – mal weniger, mal mehr – Verkaufserfolge. Und es nimmt kein Wunder, dass in den Jahren 1954, 1973 und 2002 „Das fliegende Klassenzimmer“ [1] in die Kinos wanderte.

Nach „Emil und die Detektive“ [2] und „Pünktchen und Anton“ [3] liefert nun Tomy Wigand eine zeitlich angepasste Adaption des wohl berühmtesten Kästner-Buchs. Und trotz aller Zeitunterschiede zwischen den drei Filmen über einen Zeitraum von fast fünfzig Jahren bleibt die Grundtendenz der Kästnerschen Destillation erhalten. Das Destillat besteht aus der Bedeutung von Freundschaft innerhalb der jeweiligen Generation und über die Generationen hinweg, aus der Bedeutung von Individualität und vor allem natürlich aus der Bedeutung der Kindheit und Jugend für die Erwachsenen.

Wir befinden uns am Thomaner-Internat in Leipzig, einige Jahre nach der Wende. Ein neuer Schüler, der wegen einiger „Vorkommnisse“ schon mehrfach das Internat wechseln musste und dessen Vater als Kapitän ständig auf Reisen ist, Jonathan Trotz (Hauke Diekamp), betritt das Internat, das unter der Leitung des skurrilen Rektors Kreuzkamp (Piet Klocke) und des Lehrers Dr. Bökh (Ulrich Noethen) steht. Schnell findet Jonathan Freunde: vor allem Martin (Philipp Peter-Arnolds), aber auch den etwas begriffsstutzigen Matz (Frederik Lau), der ständig ans Essen denkt und von einer Boxerkarriere träumt, den Sohn des Rektors, den alle nur Kreuzkamp junior nennen, der sich in der Öffentlichkeit mit seinem Vater nur siezt und äußerst gerne chemische Experimente macht, und last but not least den kleinen Uli (Hans Broich-Wuttke), den viele für einen Feigling halten. Ja, und dann ist da noch der Aufpasser vom Dienst, der schöne Theo (Nicolas Kantor), etwas devot und arrogant, aber sonst auch nicht der schlechteste.

Bökh genießt großes Ansehen bei seinen Thomanern; denn er hat nicht vergessen, was es heißt, ein junger Bursche zu sein. Er plant zu Weihnachten, das kurz vor der Tür steht, die Aufführung von Bach. Die Jungens aber haben andere Sorgen. Zum einen die so genannten Externen, Schüler, die zwar auf das Thomaner zur Schule gehen, aber nicht im Internat, sondern bei ihren Eltern leben. Mit ihnen stehen die Internatsbewohner in einem ständigen Clinch. Zu ihnen gehört auch Mona (Theresa Vilsmaier), die es bei vier Geschwistern zu Hause nicht einfach hat. Zum zweiten sollen sie zu Weihnachten ein Theaterstück aufführen – nur was? Da kommt ihnen der Zufall zu Hilfe. In einem Eisenbahnwagon, in dem sie sich des öfteren aufhalten, finden sie eine Kladde mit einem Stück, das den Titel „Das fliegende Klassenzimmer“ trägt. Sie lassen ihrer Phantasie freien Lauf und beginnen mit den Proben, basteln Dekoration und Kostüme. Und sie lernen den „Nichtraucher“ kennen, der plötzlich im Eisenbahnwagon auftaucht, Bob (Sebastian Koch), der von langen Reisen heimkehrt. Sie kommen bald dahinter, dass Bob und Justus, wie sie ihren Dr. Bökh liebevoll nennen, früher einmal eng befreundet waren.

Als Dr. Bökh die Jungen bei der Probe zu dem Theaterstück beobachtet, erkennt er den Text und verbietet die Aufführung. Die Jungen sind enttäuscht, verstehen die Welt nicht mehr. Und dann müssen sie auch noch eine Schlacht mit den Externen austragen. Die haben nämlich Kreuzkamm junior entführt und die Noten für die Bach-Aufführung verbrannt. Und Uli? Der will endlich seinen Status als Feigling los werden und plant eine nicht ganz ungefährliche Mutprobe, zu der er alle Thomaner einlädt ...

Die Drehbuchautorinnen Henriette Piper und Hermine Kunka hielten sich bei der Adaption des Romans eng an die Vorlage von Kästner. Zwar verlagerten sie das Stück in die Gegenwart, erfanden die Geschichte der Freundschaft zwischen Bökh und dem „Nichtraucher“ neu, poppten das Theaterstück mit Rap-Musik auf und verjüngten den guten Bökh – alles in allem aber blieben Charaktere und Geschichte das, was sie ursprünglich waren. Ulrich Noethen, der zuletzt in den Kinderfilmen „Bibi Blocksberg“ und „Das Sams“ zu sehen war, liefert eine überzeugende Leistung als Vertrauensperson der Schüler. Auch die Rollen der fünf Freunde Jonathan, Matz, Uli, Martin und Kreuzkamm junior sind glaubwürdig besetzt. Und Piet Klocke spielt einen Rektor mit viel Sitte und Anstand, aber auch ausreichendem Humor. Lediglich Anja Kling, die die Sportlehrerin Kathrin spielt, wurde mehr oder weniger in eine blasse Nebenrolle gedrängt.

Was ist an dieser Geschichte glaubhaft? Geht es an Internaten auch heute noch so zu, wie Wigands dritte Adaption des Romans uns weis machen will? War das überhaupt einmal Realität an Internaten? Oder haben wir es hier im wesentlichen mit einem Märchen zu tun? Natürlich ist die Geschichte märchenhaft, und selbstverständlich wird es an Internaten auch ganz anders zugehen. Aber Kästner ging es in seinen Romanen nicht um realitätsgetreue Abbildungen. Man könnte sowohl seine Bücher, als auch die Filme als moralische Dauerbrenner abtun; manche Filmkritiker haben dies anlässlich dieses Films getan. Doch das trifft nur bedingt. Der Erfolg dieser Filme und der Erfolg von Kästner basiert auf einer Hoffnung, einem unbesiegbaren Wunsch. Er schreibt über Freundschaft und Zusammenhalt von Jugendlichen vor der Pubertät. Er zeigt den Unsinn, den sie machen, die Fehler, die sie begehen, das Gespür für Ungerechtigkeit, und er zeigt Erwachsene, die vergessen haben, dass sie auch einmal Kinder waren, und daher nicht immer empfinden, was in ihren eigenen Kindern oft vorgeht. Er zeigt aber auch Erwachsene, die das nicht vergessen haben. Dr. Bökh ist so einer, sein alter Freund Bob auch.

Diese Botschaft mag man moralisch nennen, doch Kästner knüpft hier an ein Grundbedürfnis aller Generationen an: der Sehnsucht nach Zusammenhalt und Zusammenhang, Freundschaft und Zuneigung in einer Kultur der Trennungen und des Verlassenseins. In der Inszenierung des „Fliegenden Klassenzimmers“ von Kurt Hoffmann aus dem Jahre 1954 spielte Paul Dahlke den Justus, einen peniblen Lehrer, der auf Ordnung aus war, jeden Abend über das Haustelefon den Hausmeister fragte, ob die Türen verschlossen und die Lichter überall ausgeknipst seien. Für Dahlkes Justus war Ordnung das halbe Leben. Die andere Hälfte war aber nicht Unterordnung, sondern ein tiefes Verständnis für seine Schüler. In der Grundströmung unterscheiden sich Dahlke, Fuchsberger, der die Rolle 1973 spielte, und Noethen nicht.

Die Adaption von Wigand – obwohl fast zwei Stunden lang – langweilte mich nie. Sie hat Schwung, Humor und die nötige Tragik, um der Geschichte nicht das zu nehmen, was den Alltag eben auch ausmacht – auch wenn ich den ersten Film von 1954 immer noch für den besten der drei halte.

„Das fliegende Klassenzimmer“ ist ein Akt der Hoffnung und des Innehaltens in einer schnelllebigen Zeit. Auch der jetzt in den Kinos angelaufene Film wird die Gemüter der Kinder und hoffentlich auch der Erwachsenen bewegen. Der Film erdrückt den Zuschauer nicht mit einer Salve moralischer Lehrsätze, weil er auf dem Teppich bleibt. Kästner heißt Märchen, aber Märchen haben manchmal mehr Realitätsgehalt, als wir glauben, die wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.

[1] „Das fliegende Klassenzimmer“:
1954 – Regie: Kurt Hoffmann, Darsteller: Paul Dahlke, Paul Klinger, Peter Kraus, Peter Vogel, Erich Kästner
1973 – Regie: Werner Jacobs, Darsteller: Joachim Fuchsberger, Diana Körner, Hans Putz, Wolfgang Jarczyk, Alois Mittermaier, Daniel Müller
[2] „Emil und die Detektive“:
1931 – Regie: Gerhard Lamprecht
1935 (Großbritannien) – Regie: Milton Rosner
1954 – Regie: Robert A. Stemmle, Darsteller: Peter Finkbeiner, Heli Finkenzeller, Wolfgang Lukschy, Kurt Meisel
2001 – Regie: Franziska Buch, Darsteller: Tobias Retzlaff, Anja Sommavilla, Jürgen Vogel, Maria Schrader
[3]„Pünktchen und Anton“
1953 – Regie: Thomas Engel, Darsteller: Herta Feiler, Paul Klinger, Heidemarie Hatheyer
1999 – Regie: Caroline Link, Darsteller: Elea Geissler, Max Felder, Juliane Köhler, August Zirner