Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte
Österreich, Deutschland, Frankreich Italien 2009, 144 Minuten
Regie: Michael Haneke

Drehbuch: Michael Haneke
Director of Photography: Christian Berger
Montage: Monika Willi
Produktionsdesign: Christoph Kanter

Darsteller: Christian Friedel (Lehrer), Ernst Jacobi (Erzähler), Leonie Benesch (Eva), Ulrich Tukur (Baron), Ursina Lardi (Baronin), Fion Mutert (Sigi), Michael Kranz (Hauslehrer), Burghart Klaußner (Pfarrer), Steffi Kühnert (Frau des Pfarrers), Maria-Victoria Dragus (Klara), Leonard Proxauf (Martin), Levin Henning (Adolf), Johanna Busse (Margarete), Thibault Sérié (Gustav), Josef Bierbichler (Verwalter), Gabriela Maria Schmeide (Frau des Verwalters), Janina Fautz (Erna), Enno Trebs (Georg), Thero Trebs (Ferdinand), Rainer Bock (Arzt), Susanne Lothar (Hebamme), Roxane Duran (Anna), Miljan Chatelain (Rudolf), Eddy Grahl (Karli), Branko Samarovski (Bauer), Birgit Minichmayr (Frieda), Sebastian Hülk (Max), Kai-Peter Malina (Karl), Kristina Kneppek (Else), Stephanie Amarell (Sophie), Bianca Mey (Paula), Aaron Denkel (Kurti), Mika Ahrens (Willi), Detlev Buck (Evas Vater), Anne-Kathrin Gummich (Evas Mutter)

Das Unfassbare siegt

Die Enge ist gewollt. Sie war historisch und sie ist dramaturgisch gewollt. Kann man ein relativ geschlossenes System von außen beurteilen, gar nur von außen, oder muss man sich in es – zumindest geistig – hineinbegeben, um es zu verstehen? Das "Oder" scheint mir überflüssig, geradezu verfehlt. Was ist ein relativ geschlossenes System? Fragt man diejenigen, die sich mit autopoietischen Systemen befasst haben, lautet die Antwort, dass sich solche Systeme selbst strukturieren. Sie beziehen nichts von außen, sondern bilden ihre Regeln Komponenten, Strukturmerkmale aus sich selbst heraus. Oder wie Niklas Luhmann schrieb: "Autopoietische Systeme können ihre Strukturen nicht als Fertigprodukte aus ihrer Umwelt beziehen. Sie müssen sie durch eigene Operationen aufbauen und das erinnern – oder vergessen." (Soziologische Aufklärung, 6. Die Soziologie und der Mensch, 2008). Sie werden beherrscht von Selbstreferenzialität. Das zu verstehen, ist kaum schwierig. Der Blick autopoietischer Systeme auf Teile der Welt oder andere Systeme ist nicht geprägt von den Regeln und der Wirklichkeit des Beobachteten, sondern von den Regeln des Systems, das beobachtet. Der Blick eines Journalisten auf die Welt ist geprägt von den Regeln des journalistischen Feldes, der des Politikers von denen des politischen Systems usw. – nicht aber von den Regeln des Systems, das er oder sie beobachten.

Das macht es schwierig, den Wahrheitsgehalt von Aussagen zu beurteilen, die aus einem System über ein anderes getroffen werden. Einerseits. Andererseits erschwert dies die Kritik an relativ geschlossenen Systemen wie dem eines norddeutschen Dorfes am Vorabend des ersten Weltkrieges – außer man wolle sich pauschal auf den arroganten Standpunkt stellen: So viel Gewalt und Unterdrückung wie dort ... na, das ist ja wohl too much (Hintergedanke: Wie frei leben wir doch in einer freien Welt heute). Es bleibt also nichts anderes übrig, als sich in die Innereien eines geschlossenen Systems selbst zu begeben, soweit das überhaupt möglich ist, um einigermaßen fundierte Aussagen zu erhalten.

Haneke begibt sich in dieses geschlossene System des Jahres 1913 und beobachtet dezidiert und akribisch die Personen des Dorfes, das von Großgrundbesitz, fundamentalistischem Protestantismus und allerlei anderen reaktionären Attitüden geprägt ist ... aber eben nicht nur davon. Aber kann man das? 1913? Wie begibt man sich dorthin? Wir wissen aus der Geschichtswissenschaft, dass solche Aussagen nichts anderes und im besten Fall bedeuten können, sich einer solchen Situation anzunähern – wie bei einer mathematischen Kurve, die sich einem Grenzwert nähert, ihn aber nie zu "fassen" bekommt. Es wäre fatal zu glauben, dies sei die einzig mögliche Annäherung. Denn wir wissen aus der Geschichtswissenschaft und anderen Disziplinen nicht nur, wie sehr unsere Annäherung an ein historisches Phänomen sowohl eine solche bleiben muss, als auch wie sehr sie von unserer eigenen Mentalität geprägt ist. Wir wissen jedoch auch, wie sehr solche Ereignisse – wie die Situation in diesem Dorf 1913 – in die Zukunft, also unsere Gegenwart fortwirken. Hier liegt der eigentliche Schlüssel des historischen Verständnisses, das bemüht ist, ohne Vorurteile zu bewerten und zu erkunden und zu schlussfolgern.

Das genau versucht Haneke in der ihm eigenen Art einer "deutschen Kindergeschichte" – provokant, aber versteckt provokant, fast kaum sichtbar provokant, und doch so deutlich, dass es am Schluss jedem auffallen müsste.

Wir treffen auf eine geordnete Gesellschaft im Abbild eines Dorfes: Einen Baron und eine Baronesse und ihren kleinen Sohn; den Hauslehrer und das Kindermädchen in deren Anwesen; den evangelischen Pastor, seine Frau und deren fünf Kinder; den Verwalter des Gutes des Barons, seine Frau und deren drei Kinder; den verwitweten Arzt und seine Haushälterin, eine Hebamme, die zwei Kinder des Arztes und den behinderten Sohn der Hebamme; einen Bauern und seine Frau sowie deren etliche Kinder, die fast alle auf dem Gut des Barons arbeiten; sowie unzählige weitere arme Leute, auch aus Polen, die für den Baron arbeiten.

Und auf den 31jährigen Lehrer des Dorfes, der uns als alter Mann die Geschichte dieses Dorfes von Sommer 1913 bis zum Kriegsausbruch 1914 erzählt.

Alles beginnt – scheint zu beginnen, genauer gesagt – mit dem Unfall des Arztes. Er fällt vom Pferd, weil irgendwer ein Seil gespannt hat, das kurz nach dem Unfall verschwunden ist. Kurze Zeit später verunglückt die Frau des Bauern durch einen Arbeitsunfall. Zur gleichen Zeit beobachtet der Lehrer den Sohn des Pfarrers, der seine Kinder mit protestantischer Strenge und körperlicher Züchtigung erzieht, Martin, wie dieser auf dem schmalen Brückengeländer balanciert und riskiert, in den Tod zu stürzen. Angesprochen darauf erklärt Martin, da er nicht gestürzt sei, wolle Gott offenbar nicht, dass er stirbt.

Während des Erntedankfestes scheinen diese Vorfälle vergessen. Doch dann ist der Sohn des Barons plötzlich verschwunden. Man findet ihn schwer misshandelt im Sägewerk. Die Baronin reist mit dem Sohn fort nach Italien und kehrt nicht so bald zurück. Auch der Sohn der Hebamme wird Wochen später schwer misshandelt. Eine Scheune des Barons wird angezündet. Täter aber lassen sich nicht finden. Eines der Kinder aber, Erna, die Tochter des Verwalters, erzählt dem Lehrer, sie habe viele dieser Vorkommnisse vorher in Träumen gesehen ...

Die Hierarchie ist klar, die Grenzen für jeden in dieser Hierarchie ebenso, die Sanktionen für Übertretungen dieser Grenzen auch. Das, was Haneke an Hierarchie in diesem Dorf zeigt, ist bekannt oder erwiesen. Das, was sich hinter dieser Hierarchie, abseits der Regeln sozusagen, im Verborgenen, unterschwellig, nicht unbedingt sichtbar und vor allem in den Köpfen der Akteure abspielt, ist fast schon mysteriös. Es gibt sicherlich verschiedene Möglichkeiten, diesen Film zu lesen. Oft wurde geschrieben, Haneke zeige nicht nur den Vorabend des ersten Weltkrieges, sondern auch die Vorbedingungen von Faschismus und Vernichtung, einige Voraussetzungen für die Entstehung des autoritären Charakters.

Aber von so weit reichenden Spekulationen möchte ich vorerst einmal Abschied nehmen. Denn zunächst einmal blicken wir auf, ja bewegen wir uns innerhalb einer dörflichen Gemeinschaft, die durch ein klares Regelwerk geprägt ist: die Unterwürfigkeit gegenüber dem Baron ist nur eine, die Herrschaft der Religion eine andere, die Stellung von Frauen und Kindern am unteren Ende der Hierarchie eine dritte. Doch im Verborgenen werden Dinge geplant, die bis zum Schluss des Films nicht wirklich aufgeklärt werden. Was an der Oberfläche geschieht, scheint schlimm genug. Ein Pfarrer, wie der von Burghart Klaußner so glänzend gespielte, kann an nichts anderes glauben als seine eigenen Überzeugungen. Er lebt in einem dieser autopoietischen Systeme, die für äußere Einflüsse so gut wie unzugänglich sind. Er bindet seinem Sohn des nachts die Hände ans Bett, damit dieser nicht onaniert und daran, wie er ihm erklärt, vermeintlich sterbe. Er züchtigt seine Kinder mit der Peitsche – und das aus lauter Verantwortungsgefühl und Liebe, wie er tatsächlich glaubt. Er bindet ihnen ein weißes Band um, als Ausdruck ihrer Schuld und Verpflichtung zur Besserung. Seine Frau hat dazu nichts zu sagen. Sie darf, selbst wenn sie wollte, dazu nichts sagen.

Ein Arzt, nach Wochen aus dem Krankenhaus zurückgekehrt, erklärt seiner Haushälterin, mit der er schon lange heimlich sexuell verkehrt, sie ekle ihn an, sie stinke aus dem Mund, sie sei hässlich, sie solle doch lieber sterben. Dieser Arzt missbraucht auch seine Tochter.

Ein Lehrer, der, der uns diese Geschichte erzählt, erzählt uns nur so viel, wie er in seiner beschränkten Weltsicht zu sehen vermag. Er versteht das alles letztendlich nicht. Und mit seinen Gedanken ist er vor allem bei Eva, dem Kindermädchen, das der Baron entlassen hat, weil sie und der Hauslehrer auf Sigi nicht aufgepasst hätten.

Ein Bauer verachtet seinen Sohn, weil der ein Feld des Barons mit Kohlköpfen zerstört hatte – aus Rache für den Tod seiner Mutter, für den er den Baron verantwortlich macht. Der Bauer und seine Familie haben fortan keine Arbeit mehr auf dem Gut.

Es sind diese Regularien, die das Dorf beherrschen. Aber noch mehr sind es die unaufgeklärten Vorkommnisse, bei denen zwei Kinder zu erheblichem Schaden kommen. Die Leute regen sich auf, beschuldigen sich, denunzieren sich. Aber kein Täter wird gefasst, alle Beschuldigungen erweisen sich als falsch. Das Leben geht weiter. Auch für die Kinder.

Und es sind diese Kinder – diese vielen, vielen Kinder im Dorf –, die Haneke vor allem auf einer sozusagen zweiten Ebene agieren lässt. Wir sehen, was auf der Oberfläche des Dorfes passiert, wir hören die Leute reden, laufen, schlagen, züchtigen, predigen, erzählen. Auf einer zweiten Ebene sehen wir die Kinder, immer an den Brennpunkten des Geschehens, vor allem wenn wieder etwas passiert ist. Doch sie schweigen, diese Kinder. Bis auf Erna, die Tochter des Verwalters, die alles Schreckliche vorweg geträumt haben will. Und wir sehen die Früchte der Gewalt auf einer dritten Ebene, die uns scheinbar verborgen bleibt, weil wir die Täter nicht sehen, die Tat nicht beobachten (können).

Der "autoritäre Charakter" (Erich Fromm), den Haneke in "Das weiße Band" uns allen vorführt, ist geprägt von Merkmalen wie Destruktivität, Autoritarismus, Konformität, von Vorurteilen und einem ausgeprägten, verinnerlichten Habitus des Gehorsams. Diese autoritäre Persönlichkeit ist jedoch nicht etwa der ewige Duckmäuser, der Feigling, der vor allem aus Angst zurückschreckt. Es ist vielmehr jener Untertan, der das Hierarchische als etwas quasi Naturhaftes internalisiert hat, weil er selbst Teilhabe an der Macht will und auch oft bekommt – etwa so, wie Heinrich Mann ihn in seinem "Der Untertan" dezidiert beschrieben hat. Nur diese Art von "Untertan", der nicht nur nach oben gehorcht, sondern auch nach unten befiehlt, ist tauglich für eine autoritäre Gesellschaft, in der ein ausgeklügeltes, differenziertes hierarchisches System für deren Reproduktion sorgen kann. Es wäre völlig falsch, beispielsweise im Faschismus ein "reines" "Oben" und "Unten" zu sehen. Das faschistische, und insbesondere das nationalsozialistische, System waren vielmehr durch eine vielschichtige Struktur charakterisiert, in denen große und kleine Bevölkerungsgruppen in (auch rechtlich) differenzierte Befehlsempfänger und -geber unterteilt waren – sowohl innerhalb der Gesellschaft wie innerhalb der politischen Struktur selbst. Ebenso differenziert waren die Zuteilungen an Macht, Geld, Zuwendungen sonstiger Art wie das Funktionieren jedes einzelnen in der Hierarchie und ihre Aufstiegschancen.

Wesentlich dabei ist die Abwesenheit jeglicher Freiheit und das Schüren der Angst vor der Freiheit. Nur wer Angst vor Freiheit und Pluralität hat, ja deshalb das Bedürfnis nach Freiheit unterdrückt, kann dieses Bedürfnis kompensieren durch die Art und Weise der Zuteilung von Macht und Zuwendungen aller Art innerhalb des autoritären Systems. Gerade die im Film gezeigte Lustfeindlichkeit (die im übrigen der ekelerregenden Mentalität des Arztes, der die Hebamme entwürdigend behandelt und seine Tochter missbraucht; das ist der Anfang solcher Kompensation in Hierarchie) ... gerade diese Lustfeindlichkeit, die zwar in der Unterdrückung der Sexualität ihren Anfang nimmt, sich aber auf Lebenslust insgesamt bezieht, führt zu jener Verinnerlichung der Unterdrückung der Lust bereits bei Kindern als etwas quasi Naturwüchsigem. So kann es jedenfalls empfunden werden. Die Kompensation besteht dann letztendlich darin, statt eine konkrete Lust (Sexualität, Spiel, Freude an einer Arbeit, gewaltfreier Diskurs usw.) zu leben: die perverse Lust aus der Macht und der Gewalt zu beziehen. Tatsächlich gibt es einen Weg von den preußischen Untugenden hin zu 1933.

In der dörflichen Hierarchie dieses Jahres 1913 werden keine Fragen gestellt, sie dürfen nicht gestellt werden, keine Bedürfnisse geäußert, geschweige denn befriedigt, keine Lust am Leben entwickelt. Die ehernen Gesetze der Religion, der Macht und des Geldes sind alles, was zählt. Die These Hanekes ist kaum von der Hand zu weisen – trotz aller Unkenrufe in manchen Besprechungen dieses Films: Welche Kinder werden hier später welche Erwachsene sein?

Aber entgegen allen diesen Unkenrufen bezieht Haneke diese Frage weniger auf ein scholastisches Interesse in Bezug auf die Entstehung des Nationalsozialismus. Nein, er bezieht sie auf die Gegenwart, wie er dies mit allen seinen Filmen bislang getan hat. Das Schwarz-Weiß seiner grandiosen Bilder, die diese dunkle Welt einfangen, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, wie nahe er an unserer Gegenwart arbeitet – an einer Gegenwart, in der das extrem Libertäre die alten Regeln abgelöst zu haben scheint, das Libertäre, das scheinbar grenzenlose Freiheit verspricht, doch in Wirklichkeit eine neue, streng hierarchische Struktur entstehen ließ, die nicht so offenkundig unfrei scheint wie die alten Hierarchien. (Kaum zu glauben, in wie vielen Punkten sich diesbezüglich libertäre Protagonisten des Kapitalismus und Anhänger der eher anarchistischen libertären Richtung treffen, die den ursprünglichen Gedanken der Herrschaftslosigkeit schon fast vergessen zu haben scheinen!)

Libertäre Ideologien (nicht nur die des Wirtschaftsliberalismus à la von Hayek oder Friedman) versprechen unbegrenzte Freiheit und Abwesenheit von Zwang. Aber sie scheuen davor zurück, sich der Kritik ihrer Auffassungen eben vor dem Hintergrund einer hierarchischen Arbeitsteilung des gegenwärtigen Kapitalismus, die immer weiter ausufert und immer drastischere ökonomische Differenzen und soziale Unterschiede schafft, zu stellen. Gerade die Propaganda dieser libertären Ideologien aber ist es, die eben auch verstärkt Gewalttätigkeit, Orientierungslosigkeit, Verzweiflung und möglicherweise auch autoritäre Charaktere erzeugt, die dem System des globalisierten autoritären Kapitalismus zugute kommen. Die "Freiheit" des "Wenn ich etwas tun kann, darf und soll ich es auch tun" ist die neue Diktatur des 21. Jahrhunderts. Und sie hat schon Persönlichkeiten erzeugt, die auf ihrem Weg in die Unfreiheit Opfer der Gewalt en masse produziert haben. Oft schwer verdaulich und oft verklausuliert äußert sich dies in medialer Manier als "Werteverlust" oder "Verrohung" auf die einen bezogen, als Kritik an mangelhafter ethischer Ausrichtung der Wirtschaftssubjekte auf der anderen Seite. Dass das System dies selbst produziert wird oft bestritten; es bleibt aber eine tiefere Wahrheit. Das Hineingeworfenwerden in eine Welt, in der nicht nur die Ökonomie, sondern weite Teile des Lebens Marktgesetzen unterworfen sind – von Wirtschaftsliberalen wie Friedrich von Hayek als "Spiel" deklariert! – hat unterextrem arbeitsteiligen Bedingungen, wie wir sie vorfinden, nichts mit Freiheit zu tun. Dass alle alles machen dürfen, ist nicht Freiheit, sondern Zwang.

Wer die immer weitergehende Ökonomisierung menschlicher Beziehungen nicht wahrnehmen will, wird auch zu den Ursachen von Gewalt, Terror und Verrohung kaum vordringen. Er wird Exzesse und anderes ausschließlich dem Bereich individueller Verantwortung zuschieben. Klappe zu.

Hanekes Film weist auf Diskussionsbedarf, der diese Verblendungen und Verleugnungen der modernen Gesellschaft aufbrechen könnte. Darin liegt meinem Gefühl nach seine tiefere Bedeutung. Die Bilder, die er dafür produziert hat, haben oft eine beängstigende Stille, etwa wenn die Züchtigungshandlung des Priesters nicht direkt gezeigt wird, sondern dem Zuschauer der Blick durch den engen Flur des Pfarrhauses auf die Tür gewiesen wird, hinter der sich die Brutalität ereignet. Überhaupt nehmen die Akteure Gewalt, auch an den beiden Kindern, die missbraucht gefunden werden, erschreckend ruhig wahr. Hier gibt es keinen Protest, keinen wirklichen Widerstand gegen die Regularien und "absoluten Wahrheiten" der religiösen Ideologie. Hier wird Gewalt produziert – durch Gewalt. Das System reproduziert sich, fast unmerklich, fort – bis hin in die Katastrophe. Hier liegt die Warnung des Films, auf das Heute bezogen. Das Unfassbare siegt – schleichend.

© Bilder: X-Verleih
Screenshots von der DVD
Wertung: 10 von 10 Punkten.
Prädikat: Besonders wertvoll.

(8. Mai 2010)