Der Baader Meinhof Komplex
Deutschland 2008, 150 Minuten
Regie: Uli Edel

Drehbuch: Bernd Eichinger, Uli Edel, nach dem gleichnamigen Buch von Stefan Aust
Musik: Peter Hinterthür, Florian Tessloff
Director of Photography: Rainer Klausmann
Montage: Alexander Berner
Produktionsdesign: Bernd Lepel

Darsteller: Martina Gedeck (Ulrike Meinhof), Moritz Bleibtreu (Andreas Baader), Johanna Wokalek (Gudrun Ensslin), Nadja Uhl (Brigitte Mohnhaupt), Stipe Erceg (Holger Meins), Niels-Bruno Schmitt (Jan Carl Raspe), Vinzenz Kiefer (Peter-Jürgen Boock), Simon Licht (Horst Mahler), Daniel Lommatzsch (Christian Klar), Sebastian Blomberg (Rudi Dutschke), Jan Josef Liefers (Peter Homann), Bruno Ganz (Horst Herold), Hans Werner Meyer (Klaus-Rainer Röhl)

Nebel statt Aufklärung

"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner
selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist
das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung
eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese
Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am
Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und
des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen
zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth dich deines eigenen
Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der
Aufklärung. [...] Daß der bei weitem größte Theil der
Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den
Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist,
auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene
Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich
genommen haben."
(Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist
Aufklärung?, in: Berlinische Monatsschrift 1784)

Ist es abgeschlossen, das Projekt Aufklärung? Nein, Aufklärung ist ein immer währender Prozess. Sind die Vormünder und Aufseher verschwunden, von denen Kant sprach? Ja, aber an ihre Stelle traten neue. Ist die Angst verschwunden, sich von diesen Aufsehern zu befreien und den eigenen Kopf dazu zu gebrauchen, wozu er da ist? Nein. Die Angst ist überall spürbar. Millionen von Lesern eines allzu bekannten Blattes aus Hamburg sitzt sie tagtäglich im Nacken. Es scheint befriedigend, sich an diejenigen halten zu können, die die "Wahrheit" gepachtet haben. Aber man täusche sich nicht. Auch diejenigen, die keine Hetzblätter in sich aufsaugen, lassen sich nur allzu gern geistig einseifen – bei vollem Bewusstsein. Oder sie gehören zu den Einseifern, den Oberlehrern, den falschen Propheten, den Aufsehern, die schon immer alles besser wussten als das gewöhnliche Volk, dem "kleinen Mann", wie sie geringschätzig diejenigen bezeichnen, denen man sowieso erst einmal "alles erklären" muss, was unserer ideologieüberfrachteten Zeit so leicht abzugehen scheint. Wirtschaft, Politik, Kultur ... alles muss man dem "kleinen Mann" (und der "kleinen Frau") erst einmal erklären. Was dabei auf der Strecke bleibt ... ist eben: Aufklärung, der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.

Ich ärgere mich nicht mehr darüber.
Ich ärgere mich wieder darüber.

Gegenaufklärung

Ich ärgere mich über einen Film, der alles mögliche vorgibt zu sein ... und dabei genau das Gegenteil (ich unterstelle: bewusst!) bewirkt. Über die RAF und vieles, was zum Thema gehört, mehr scheint nach dem Konsum von "Der Baader Meinhof Komplex" alles gesagt. Das Volk weiß jetzt Bescheid. Punkt. Der Film ist das, was man einen Blockbuster nennt. Das macht ihn noch nicht schlecht. Es gibt gute und aufklärende Blockbuster, z.B. "Terminator" und "Terminator 2" von James Cameron. Was den von Eichinger produzierten und geschriebenen Streifen zu einem Gegenaufklärungsprojekt macht, ist etwas anderes. Er verklärt und übertüncht einen Zeitraum von 1967 bis 1977, weil er alle bisherigen aufklärerischen Projekte zu dieser Zeit und zur RAF nicht nur hinter sich lässt, sondern gleichsam – u.a. auch durch die Art und Weise, die Methode der Dramaturgie – mit einem Schleier des Vergessens belegt.

Man stelle sich vor: Es dreht einer einen Film über Hitler, in dem der Nationalsozialismus als Tat und Verbrechen einer kleinen Clique von Verrückten dargestellt wird, die irgendwann aus dem Nichts auftauchen und dann wieder im Nichts verschwinden. Es gab solche Meinungen über den NS. Sie sind Teil jener Gegenaufklärung, die es immer wieder gab und gibt.

Fakten, Fakten ! ... Erkenntnis?

Eichinger und Regisseur Edel beginnen ihre Antiaufklärung mit Szenen vom Strand in Sylt, wo Ulrike Meinhof und ihr damaliger Lebensgefährte Klaus-Rainer Röhl, Herausgeber des linken Magazins "Konkret" mit ihren Kindern Urlaub "von der Revolution" machen. Janis Joplin singt. Und nun folgt Fakt auf Fakt. In kurzen und kürzesten Szenen haut man uns ein Ereignis nach dem anderen um die Ohren: Der Schah in Berlin, die Meinhof schreibt einen offenen Brief an Farah Diba (Pahlavi), friedliche Schahgegner werden von Schlägern des iranischen Geheimdienstes Savak, die Polizei schaut zu – dann drischt sie selbst auf die Schahgegner ein. Benno Ohnesorg wird erschossen, die Ensslin nennt den Staat faschistisch und fordert zur Bewaffnung auf, die Meinhof verlässt Röhl, der es mit anderen Frauen treibt, Brandanschlag auf ein Kaufhaus, Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg, Dutschke will die permanente Revolution, Dutschke wird angeschossen und schwer verletzt, Springer-Boykott, Boock stößt zu Ensslin und Baader, die Ensslin liest Trotzki, Baader, im Pop-Rausch, schießt mit seiner Kanone nachts beim Autofahren aus dem Fenster. Brandt will mehr Demokratie wagen, Herold vom Bundeskriminalamt sieht weiterhin die Gefahr des Terrorismus, solange die Ursachen für den Protest von der Politik nicht wahrgenommen werden, Gefangenenbefreiung Baaders. Die Meinhof stößt zur Gruppe. Ausbildung der RAF bei El Fatah in Jordanien, Homann, der Lebensgefährte der Meinhof, sucht das Weite und nimmt die Kinder der Meinhof mit ... und ... und ... und.

Fakt reiht sich an Fakt, Szene an Szene, durchsetzt von Pop und schnellen Schnitten – bis hin zum Ende, dem Selbstmord der Gefangenen in Stammheim. Was sonst noch hängen bleibt? Baader nennt Frauen "Votzen", Italiener "Spaghettifresser" und Palästinenser "Kameltreiber". Die Meinhof scheint ab und an zu zweifeln, aber an was genau? Die Ensslin ist das gnadenlose Pfarrerstöchterchen, die kein Pardon vor nichts zu kennen scheint. Der Raspe fällt im Film fast hinten runter. Der Vorsitzende Richter Prinzing im Prozess scheint unfähig, diesen zu führen, und wird von den Angeklagten mehrfach als Schwein und Faschist beleidigt. Der hungerstreikende Holger Meins hält bis zu seinem Freitod an seinen Überzeugungen fest. Dazwischen hechelt ein Anwalt namens Horst Mahler durch die Szenen. Herold erfindet die Rasterfahndung und warnt bestimmt viermal davor, zu denken, man könne den Terrorismus und sein Umfeld nur durch den Polizeiknüppel etc. bekämpfen.

Und so weiter und so fort – bis zum bitteren Ende ... nein, nicht nur der RAF, sondern auch dieses Films.

Nebel

"Cäsar schlug die Gallier. Hatte
er nicht wenigstens einen Koch bei sich?"
(Bertolt Brecht: Fragen eines lesenden
Arbeiters, 1935)

Diese Art, Nebel zu erzeugen (über sage und schreibe 150 Minuten), schlägt (gegenüber allem bisherigen, was über die RAF und die damalige Zeit geschrieben und gezeigt wurde) dem Fass den Boden aus. Die "Fakten" für sich – mögen sie im einzelnen nun immer korrekt sein oder nicht (Frau Ponto hatte die Darstellung der Ermordung ihres Mannes kritisiert) – sind sattsam bekannt. Alle, die sich mit dieser Zeit schon einmal beschäftigt haben, kennen sie zur Genüge. Alle, die sich noch wenig damit beschäftigt haben, könnten sie ohne Probleme in vielen Büchern und Filmen, im Internet usw. recherchieren. In diesem Sinn ähnelt der Film dem Führerbunkerdrama Eichingers "Der Untergang": Hitler im Bunker – null Erkenntnis.

Die "Fakten" in ihrer, dieser Zusammenstellung vernebeln die Fragen, die wirklich bedeutend sind: Was war die RAF, was trieb die Meinhof und die anderen und was geschah hier eigentlich? Welchen Stellenwert hatte diese Zeit in der Geschichte der Republik? Was sind die entscheidenden Momente, Kriterien, Ereignisse usw., die Menschen die Schwelle zur Inhumanität überschreiten ließ?

Alles scheint gehetzt, vieles scheint Pop (wie Baader), der Sauseschritt ersetzt die Aufklärung. Was bleibt ist Ideologie á la: Aus der gerechtfertigten Kritik an Missständen zogen einige Dutzend Leute falsche Schlüsse und begaben sich in den Terrorismus – Kapitel abgeschlossen. Ideologie ist dies deshalb, weil es nichts, aber auch gar nichts klärt, sondern intendiert, man könne aus einer Aneinanderreihung von Fakten Erkenntnisse ziehen. Das entspricht dem, was ich als "horizontale" Denkweise bezeichnen würde. Der Film presst in 150 Minuten zehn Jahre durch "schnelle" Fakten zusammen. Das hat nichts Historisches ("vertikale" Denkweise), sondern täuscht die Genese von Ereignissen, die Kausalität von Denken und Handeln, und vor allem das Aufklärerische nur vor. Der Satz "Aus der gerechtfertigten Kritik an Missständen zogen einige Dutzend Leute falsche Schlüsse und begaben sich in den Terrorismus" ist richtig und falsch zugleich. Er ist richtig, weil er einen Aspekt der Zeitgeschichte wiedergibt. Er ist falsch, weil sich diese Zeit zum einen darin nicht erschöpft und zum anderen andere Aspekte negiert, unsichtbar zu machen versucht.

Im Film selbst erscheinen aus diesem Grund einige Zitate nicht als Ansatzpunkt, um das Projekt Aufklärung weiterzutreiben, sondern als kalten Fakten neben anderen kalten Fakten.

Zwei Beispiele:

"... die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in
der Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch,
und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen.
Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es
ist falsch überhaupt mit diesen Leuten zu reden,
und natürlich kann geschossen werden."
(Ulrike Meinhof: Natürlich kann geschossen
werden, in: Der Spiegel 25/1970)

"Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir
nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass
das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht.
Protest ist, wenn ich sage, ich mache nicht mehr mit.
Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass alle
andern auch nicht mehr mitmachen."
(Ulrike Meinhof, in: konkret 1968)

Auch wenn das erste Zitat (so jedenfalls Jutta Ditfurth in ihrer Meinhof-Biografie) nicht autorisiert gewesen sein soll, entspricht es doch dem Denken und Handeln der RAF. Die beiden Äußerungen sind in den Film eingereiht in die Flut der Einzelfakten. Was für ein Denken sich hinter diesen Worten verbirgt, ist dem Film letztlich genauso gleichgültig wie die Frage, warum Menschen in dieser Zeit diesen Schritt in die Inhumanität gingen.

Doch bereits in dem früheren Zitat aus "konkret" wird diese Inhumanität schon deutlich. Die Worte über den Sinn des Widerstands bedeuten nämlich, sich auf die gleiche Ebene zu stellen wie (vermeintlich oder tatsächlich) diejenigen, die man bekämpfen will. Das Denken, das hier vermittelt wird, war keineswegs ausschließlich das Denken von ein paar Dutzend RAF-Mitgliedern. Während der 68er-Bewegung entstanden z.B. etliche kommunistische Organisationen (KPD/ML, KPD Rote Fahne, KBW und viele andere), in denen sich Anfang der 70er Jahre Tausende von Studierenden und Schülern, aber auch andere Leute tummelten. Aus eigener Erfahrung (ich war Ende der 70er Jahre Mitglied des KBW) weiß ich zur Genüge, dass diese Menschen, dass wir damals haarscharf genauso dachten – wenn auch den Terrorismus als "kleinbürgerliche" und "massenfeindliche" Ideologie ablehnten.

Totalitäres Denken

Ein wichtiger Aspekt in diesem Kontext ist, dass dieses Denken und Handeln keineswegs neu war – nein, die ganze Geschichte des Marxismus-Leninismus, Stalinismus und Maoismus, aber auch des linken Terrorismus seit Ende des 19. Jahrhunderts war voll dieser Denk- und Handlungsweisen. Und nun tritt Mitte der 60er Jahre eine – allerdings durchaus schillernde und keineswegs im Denken einheitliche – Bewegung auf, die zu großen Teilen das im Kopf und auch in der Praxis ohne jegliche Kritik rekapituliert und rekonstruiert, was sich in den stalinistischen Systemen längst als inhuman und verbrecherisch herausgestellt hatte. Warum??? War uns damals nichts von stalinistischen Schauprozessen, von den durch Stalin initiierten "Bevölkerungsverschiebungen", die Millionen Menschen das Leben kostete, bekannt??? Sahen wir nicht, wie in der sog. "Kulturrevolution" in China Menschen in erbärmlicher Weise an den Pranger gestellt und ermordet worden waren?? Doch, wir sahen es, und wir standen dazu! Warum????

Hier kommt ein zweiter wichtiger Aspekt ins Spiel, der zumindest bei einem Teil der Nachkriegsgenerationen in Deutschland eine wesentliche Rolle spielte. Ich würde ihn bezeichnen mit: Totalitäres Denken hier kann totalitäres Denken auf der anderen Seite generieren.

Man weiß aus der Psychologie, dass aus misshandelten Kindern misshandelnde Erwachsene werden können (nicht unbedingt müssen). Ich selbst hatte einen Großvater, der als Kind furchtbar geschlagen worden war und als Vater selbst zum Schläger wurde. Diese Entwicklung ist kein Automatismus. Aber wir wissen aus der "Kritischen Theorie" Adornos und Horkheimers vieles über die Entstehung dessen, was beide "autoritären Charakter" genannt haben. Ich will das hier nicht vertiefen. Meine Vermutung ist, dass wir einen Teil der 68er-Bewegung tatsächlich in diesem Kontext sehen müssen. Was auf individueller Ebene immer geschehen kann, entwickelte Ende der 60er Jahre eine Art kollektiven Rausch, dem doch einige Tausend Menschen nachgaben. Das Denken (und auch das Handeln) der RAF wie anderer Gruppierungen des linken Terrorismus und der kommunistischen Gruppen jener Zeit war im Kern totalitär und damit zwar nicht von ihrer Entstehung und ihren Vorstellungen her dem Faschismus gleichzusetzen, aber in seinen Strukturen vergleichbar.

Wenn damals etliche Professoren an den Universitäten, die massiv behindert und auch körperlich angegriffen wurden, von "Linksfaschismus" in Bezug auf die protestierenden Studenten sprachen, so ist dies in einem sozialwissenschaftlichen Sinn sicherlich Unsinn. Was damit aber zum Ausdruck gebracht wurde, war die denkstrukturelle Gleichheit zwischen stalinistischen und terroristischem Denken hier, faschistischen Überzeugungen dort.

Wie funktionierte das, was der Film von Eichinger und Edel "sauber" nicht anspricht, geschweige denn vertieft? Nun, die entscheidenden Momente waren klar: der Umgang breiter Gesellschaftsschichten mit der NS-Vergangenheit, das muffige Adenauer-Regime, der Vietnam-Krieg, die überfälligen Reformen nicht nur im Bildungssektor und vieles mehr. Dazu kam die völlig hilflose und oftmals rein repressive Reaktion der Politik auf die Proteste selbst.

Der Übergang zum totalitären und damit inhuman Denken (und Handeln) angesichts dieser Missstände in der Gesellschaft hat nun aber mit diesen selbst wenig zu tun. Es ist die Deutung dieser Missstände, die den Übergang (wie gesagt: nicht bei allen 68ern, aber eben bei vielen) zum Totalitarismus bewirken. Eine Deutung, die in etwa so formuliert werden kann. Erstens: All das, was in dieser Gesellschaft schlecht, miserabel, inhuman ist, deutet (!) auf die Notwendigkeit der prinzipiellen Ablehnung dieser Gesellschaftsordnung. Zweitens: All das, was wir demgegenüber für human, gerecht usw. halten, ist so rein, hehr, gerechtfertigt, unbezweifelbar, dass jedes Mittel recht ist, ja recht sein muss, um es durchzusetzen.

Das erinnert nicht nur, das leitet mich schnurstracks zu der Losung der Jakobiner während der Französischen Revolution "Tugend durch Terror". Das "Alte", das "Überkommene" wird in seiner Gänze (eben total) negativ, das "Neue" in seiner Gänze positiv stilisiert, dass der Terror selbst (sei er nun individuell wie bei der RAF oder kollektiv wie etwa in der Oktoberrevolution) zu einem tugendhaften Mittel des Kampfes hochgejubelt wird. Dass dadurch die möglicherweise in der Entstehung politischer Bewegungen und Parteien gerechtfertigten und humanen Ziele selbst ab absurdum geführt werden und sich in ihr Gegenteil verkehren, ist eine logische Konsequenz.

Es scheint nicht nur so, dass ein Teil der Nachkriegsgenerationen sich in einem teilweise kollektiven Prozess eben nicht von der autoritären Eltern- und Großelterngenerationen lösen konnte, sondern genau diesen Prozess unter anderen Vorzeichen bei sich selbst reproduziert haben. Der autoritäre Charakter schlägt auf die (vermeintlichen oder tatsächlichen) Opfer zurück. Götz Aly ("Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück", 2008, dem ich nicht in allen Thesen folgen kann) formulierte das in einem Interview folgendermaßen:

"Der merkwürdige politische Radikalismus
des Alles oder Nichts, der Wille, den neuen
Menschen zu schaffen und die ganze Welt
neu zu erfinden, schließlich das Antibürgerliche
und die Versuche, Elite und Volk zu versöhnen
– in all diesen Punkten bestehen Ähnlichkeiten
zwischen den 33er-Vätern und ihren 68er-Kindern."
(Interview mit dem Börsenblatt vom 17.1.2008)

Ein wichtiger Punkt kommt hinzu: Vieles von dem, was heute ursächlich der 68er-Bewegung zugeschrieben wird, war in Wirklichkeit längst im Gange. Die erste sozialliberale Regierung, die 1969 ihre Arbeit aufgenommen hatte, handelte nicht primär wegen der Proteste. Sie handelte (und das gilt vor allem auch für Willy Brandt) aus eigenem Antrieb und eigener Überzeugung bezüglich der Notwendigkeit tiefgreifender gesellschaftlicher Reformen.

Fazit

All dies verkleistert Eichingers Film durch die beschriebene inflatorische Aneinanderreihung einzelner Fakten, aus denen sich angeblich Erkenntnis gewinnen lasse. Das ist Gegenaufklärung. Es trägt nichts dazu bei, die Arroganz etlicher linker Protagonisten und ihren Weg in die Inhumanität aufzuklären. Es trägt auch nichts dazu bei aufzudecken, dass diese Menschen Kinder aus der Mitte unserer Gesellschaft waren.

Wertung: 3 von 10 Punkten.

© Ulrich Behrens 2009
(21. Dezember 2009)