Der Frauenmörder von Boston
(The Boston Strangler)
USA 1968, 116 Minuten (DVD: 111 Minuten)
Regie: Richard Fleischer

Drehbuch: Edward Anhalt, nach dem Buch von Gerold Frank
Musik: Lionel Newman, John Philip Sousa
Director of Photography: Richard H. Kline
Montage: Marion Rothman
Produktionsdesign: Richard Day, Jack Martin Smith, Stuart A. Reiss, Walter M. Scott, Raphael Bretton

Darsteller: Tony Curtis (Albert De Salvo), Henry Fonda (John S. Bottomly), George Kennedy (Det. Phil Di Natale), Hurd Hatfield (Terence Huntley), William Marshall (Edward W. Brooke), George Voskovec (Peter Hurkos), Leora Dana (Mary Bottomly), Carolyn Conwell (Irmgard De Salvo), William Hickey (Eugene T. O’Rourke), Shelley Button (David Parker), Austin Willis (Dr. Nagy), George Furth (Lyonel Brumley), Richard X. Slattery (Capt. Ed Willis)

Hysterie und Angst in Boston

In einem 1968 von Richard Fleischer („20.000 Meilen unter dem Meer“, 1954, „Die Wikinger“, 1958, „Die Phantastische Reise“, 1966, „Conan der Zerstörer“, 1984) gedrehten Film erzählt der Regisseur eine wahre Geschichte, die des als erster Serienkiller in die Geschichte der USA eingegangenen Albert De Salvo, dem 13 Morde an Frauen zwischen 1962 und 1964 zur Last gelegt wurden. Obwohl De Salvo mehrere Vergewaltigungen nachgewiesen werden konnten, wurde seine Schuld für die Morde nie geklärt. 1973 wurde er in seiner Gefängniszelle ermordet aufgefunden, der Täter wurde nie gefasst.

Für die Medien waren die Frauenmorde Anfang der 60er Jahre ein gefundenes Fressen, zumal durch die Art und Weise der Morde – der Täter wählte sich allein stehende Frauen als Opfer – in der Bevölkerung von Boston Hysterie ausbrach und die Medien diese Angst eher noch schürten.

Detective Di Natale (George Kennedy) wird zu einer Wohnung gerufen, in der eine ältere Frau misshandelt und erwürgt wurde. Der Polizeiarzt stellt fest, dass das Opfer nicht vergewaltigt worden war. Kurze Zeit später entdecken zwei Frauen ein weiteres Opfer, ihre Nachbarin, die mit einem seltsam geknoteten Tuch erwürgt wurde. Ein drittes Opfer, wieder eine allein stehende ältere Frau, die ebenfalls erwürgt wurde, wurde zuvor mit dem Hals einer Flasche misshandelt. Die Polizei, Captain Willis (Richard X. Slattery), Sgt. McAfee (Murray Hamilton) und Di Natale, stehen vor einem Rätsel: Niemand hat den Täter gesehen, der zudem nicht die geringsten Spuren hinterlassen hat. Erschwerend kommt hinzu, worauf auch die Presse hinweist, dass die Taten in verschiedenen Polizeidistrikten begangen wurden und daher wegen der unterschiedlichen Zuständigkeiten eine Koordination der Ermittlungsarbeit erschwert wird.

Während die Medien über die Morde breit berichten, überprüft die Polizei – mehr hilflos, als nach einem Plan – die üblichen Verdächtigen: vorbestrafte Sexualtäter, Voyeure, Fetischisten und andere. Doch das führt zu nichts. Inzwischen ist die Zahl der Opfer auf sechs gestiegen, in der Bevölkerung breitet sich Panik aus.

Justizminister Brooke (William Marshall) will die Arbeit der Polizei koordinieren. Er plant, einem bewährten, aber seit langer Zeit nicht mehr im aktiven Polizeidienst tätigen Mitarbeiter, John S. Bottomly (Henry Fonda), diese Aufgabe zu übertragen. Bottomly ist nicht gerade begeistert, bildet dann jedoch eine Spezialeinheit, die in ganz Boston ermittelt. Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass es sich bei dem siebten Opfer nicht mehr um eine ältere allein stehende Frau, sondern um eine junge Schwarze handelt, die zudem mit zwei Freundinnen zusammenlebte. Ein Täterprofil zu erstellen, wird immer schwieriger.

In der Bevölkerung wächst die Zahl derjenigen, die aufgrund teilweise fadenscheiniger Vermutungen, teilweise dürftiger Indizien bestimmte Männer verdächtigen, mit den Morden etwas zu tun zu haben. Verdächtigt wird u.a. ein gewisser Huntley (Hurd Hatfield), den zwei Frauen beschuldigen, weil er Bücher von de Sade und Literatur über Würgepraktiken sammelt. Auch einen David Parker (Shelley Burton) verdächtigt die Polizei, weil der mit einem Messer auf seine Frau losgegangen ist. Schließlich rückt man dem Lebensmittelhändler Brumley (George Furth) zu Leibe, der sich als (falscher) Colonel innerhalb eines halben Jahres an ca. 500 Frauenherangemacht hat und dies in einem Notizbuch fein säuberlich notiert hat.

Das neunte Opfer ist eine 19jährige Frau. Der ansonsten nüchtern denkende und handelnde Bottomly engagiert in seiner Hilflosigkeit einen bekannten Wahrsager namens Hurkos (George Voskovec), der die Polizei auf die Spur von Eugene O’Rourke (William Hickey) führt, einen Mann, der Damenhandtaschen sammelt und offensichtlich seelisch krank ist.

Doch all diese Spuren führen Bottomly und seine Kollegen in Sackgassen – bis die Aussage eines Vergewaltigungsopfers zu dem Installateur Albert De Salvo (Tony Curtis) führt, einen scheinbar harmlosen Familienvater. Beim zeitlichen Abgleich seiner Arbeitseinsätze mit den Morden stellt Bottomly fest, dass De Salvo praktisch kein Alibi für die inzwischen 13 Morde hat. Nicht nur das: Der Psychiater R. Nagy (Austin Willis) stellt bei De Salvo eine bestimmte Form von Schizophrenie fest und will den vermeintlichen Täter vor Verhören durch die Polizei bewahren, weil dies möglicherweise dazu führen könnte, dass De Salvo überhaupt nicht mehr ansprechbar ist. Doch Bottomly vereinbart mit Nagy, de Salvo zu verhören, ohne die Ergebnisse seiner Gespräche dann für das Ermittlungsverfahren zu verwerten. Bottomly reicht es inzwischen aus, einigermaßen sicher zu gehen, dass er den richtigen Täter dingfest gemacht hat – selbst wenn er wegen der Morde nicht verurteilt wird, sondern den Rest seines Lebens in der Psychiatrie verbringen muss.

Das besondere an Fleischers Inszenierung ist der fast dokumentarische Charakter des Films. Dies erreichte er durch mehrere Mittel: zum einen durch die Verwendung dokumentarischen Materials – u.a. über die Beisetzung des ermordeten amerikanischen Präsidenten Kennedy –, zum anderen durch die Verwendung einer neuen Technik, die in der ersten Hälfte des Films massiv zum Einsatz kommt: das Splitscreen-Verfahren, bei dem zwei Negativstreifen auf einem Negativ in einem aufwendigen Verfahren über einen sog. Oxberry, einen optischen Printer, montiert wurden. Da sich die Qualität des Filmmaterials inzwischen wesentlich verbessert hatte, kam es bei der Montage der Negativstreifen zu praktisch keinem Qualitätsverlust (heute können solche Splitscreen-Ergebnisse mittels digitaler Techniken sozusagen in Sekundenschnelle erzielt werden). Durch die Splitscreen-Technik konnte Fleischer dem Publikum gleichzeitig zwei Szenen präsentieren. In der einen zeigte er z.B. zwei Frauen, die sich im Hausflur unterhalten, in der anderen ein dunkles Zimmer, in dem ein Opfer des Frauenmörders liegt. Oder er zeigt eine Frau an der Haustürsprechanlage und in einem anderen Streifen gleichzeitig die Klingelanlage, an der der Mörder (ungesehen) mit der Frau spricht, um sich Einlass zu verschaffen.

Auf diese Weise erhält der Film einen Grad an Authentizität, der einem Dokumentarfilm sehr nahe kommt. Verstärkt wird dies noch dadurch, dass – auch aufgrund der Abneigung vieler Regisseure in Hollywood gegen die aufkommende Bedeutung des Fernsehens und gegen die Presse – die eingeblendeten Szenen, in denen Medienvertreter zu Wort kommen, authentisch wirken. Deutlich zu spüren ist auch die medienkritische Tendenz des Films.

Der zweite Teil des Films steht dieser Art der Inszenierung zwar nicht diametral entgegen. Aber ab dem Zeitpunkt der Festnahme De Salvos wechselt Fleischer sozusagen in eine „ruhige Gangart”. Alles spitzt sich immer mehr zu auf die Verhöre De Salvos durch Bottomly in einem weiß getünchten, von grellem Licht durchfluteten Raum, in dem sich außer einem Tisch, zwei Stühlen und einem Aufnahmegerät nichts befindet. Alles konzentriert sich auf die Fragen Bottomlys, seinen Versuch, die „andere Person” De Salvos zum Vorschein zu bringen – bis Erinnerungsfetzen an begangene Verbrechen De Salvo, der von dieser „anderen Person” seiner selbst nichts ahnt, unsicher machen. In diesem letzten Abschnitt des Films montiert Fleischer mehrmals diese Erinnerungen auf die Weise, dass man De Salvo und Bottomly an den entscheidenden Orten der Verbrechen miteinander sprechen sieht.

Zu erwähnen ist auch das Ende des Films, der Moment, in dem in De Salvo die „andere Person” plötzlich zu Wort kommt. Das Bild wird immer greller, weißer, bis De Salvo in der den ganzen Bildschirm beherrschenden Weiße in einer Ecke des Raums immer kleiner wird. Hier deutet Fleischer noch einmal – wie des öfteren im Film – an, wie unsicher die Beweislage für die Polizei gegen De Salvo war, andererseits aber auch, wie unsicher sich der Verdächtigte selbst über seine Persönlichkeit zu sein schien.

Schließlich sind noch die beiden Hauptdarsteller zu erwähnen, Henry Fonda, der einen kühlen Kopf wieder einmal überzeugend spielt, und vor allem Tony Curtis in einer seiner wenigen ernsthaften Rollen, der den schizophrenen De Salvo überzeugend darbieten kann.

© Bilder: 20th Century Fox
Screenshots von der DVD.