Die Dolmetscherin
(The Interpreter)
Großbritannien, USA, Frankreich 2005, 128 Minuten
Regie: Sydney Pollack

Drehbuch: Martin Stellman, Brian Ward, Charles Randolph, Scott Frank, Steven Zaillian
Musik: James Newton Howard
Director of Photography: Darius Khondji
Montage: William Steinkamp
Produktionsdesign: Jon Hutman

Darsteller: Nicole Kidman (Silvia Broome), Sean Penn (Tobin Keller), Catherine Keener (Dot Woods), Jesper Christensen (Nils Lud), Yvan Attal (Philippe),Earl Cameron (Zuwanie), George Harris (Kuman-Kuman), Hugo Speer (Simon Broome), Curtis Cooke (Ajene Xola), Byron Utley (Jean Gamba)

Trouble in der UNO

Es gibt leicht zählbare Nachfolger jenes Genres des Suspense-Thrillers, die Altmeister Hitchcock begründete. Ein anderer Altmeister, Sydney Pollack („Der elektrische Reiter”, 1979; „Tootsie”, 1982; „Jenseits von Afrika”, 1985), versuchte sich 2005 in diesem Genre und stellte eine UN-Dolmetscherin namens Silvia Broome (Nicole Kidman) und den bei den Vereinten Nationen tätigen Sicherheitsbeamten Tobin Keller (Sean Penn) ins Zentrum einer Geschichte, die um das UN-Gebäude und die Aufgaben der UNO – Sicherheitsrat wie Generalversammlung – kreist. Zum ersten Mal in der Geschichte der UNO erlaubte ein UN-Generalsekretär, Kofi Annan, einem Filmteam, in den Räumen der UNO zu filmen, was nach entsprechenden Regelungen der Organisation eigentlich verboten ist (die Räume dürfen nicht für kommerzielle Veranstaltungen zur Verfügung gestellt werden).

Auslöser der Geschichte ist die menschenrechtswidrige Lage und Politik eines (erfundenen) afrikanischen Staates namens Matobo. Der dortige Regierungschef Dr. Zuwanie (Earl Cameron), der einmal als Humanist angetreten war, verfolgt seine politischen Gegner – repräsentiert durch Kuman-Kuman (George Harris) und Xola (Curtis Cooke) – nicht nur mit eiserner Härte. Er überzieht das ganze Land mit Mord und Totschlag.

Eines Tages wird die UN-Dolmetscherin Broome zufällig – als sie spät abends noch ihre Sachen aus dem Gebäude der UN holt – Zeugin eines Gesprächs Unbekannter, dem sie entnimmt, dass die ein Attentat planen. Sie erkennt die Personen im Dunkeln nicht, flüchtet aus Angst, dass sie erkannt wird und berichtet tags darauf den Sicherheitskräften der UNO von dem Vorfall. Der Sicherheitsbeamte Keller glaubt Broome zunächst nicht, denn er hat Informationen, dass sie nicht nur in Matobo aufgewachsen ist, sondern auch dass ihre Eltern und ihre Schwester durch eine Landmine vor Jahren ums Leben gekommen sind. Keller verdächtigt Broome, das mitgehörte Gespräch nur erfunden zu haben.

Während die Generalversammlung über die Menschenrechtsverletzungen in Matobo diskutiert, kündigt Dr. Zuwanie seinen Besuch vor dem Gremium an. Er will dort seine Politik verteidigen und schickt seinen Sicherheitschef, einen Niederländer namens Nils Lud (Jesper Christensen), voraus, um mit den Sicherheitsleuten von der UNO die Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um die Sicherheit Zuwanies zu gewährleisten.

Inzwischen stellt Broome mit Erschrecken fest, dass sie beobachtet und verfolgt wird. Ein Unbekannter hat ihre Wohnung betreten und sie furchtbar erschreckt. Sie wird von einer schwarzen Limousine verfolgt usw. Die Dolmetscherin versucht, mit einem Fotojournalisten namens Philippe (Yvan Attal) Kontakt aufzunehmen, der mit ihrem Bruder Simon (Hug Speer) in Matobo zusammenarbeitet. Doch Philippe meldet sich nicht. Und Silvia weiß auch nicht, wo ihr Bruder sich aufhält.

Inzwischen versucht Keller verzweifelt, Gründe und Gruppen für ein mögliches Attentat auf Zuwanie zu ermitteln. Steckt Silvia doch hinter einem Komplott? Oder sind es die Oppositionspolitiker Kunan-Kunan und Xola, die Zuwanie ans Leben wollen? Und welche Rolle spielt Nils Lud und die Männer von der Botschaft von Matobo?

Getragen wird diese Geschichte in allererster Linie von den beiden Hauptdarstellern Kidman und Penn. Alle anderen Darsteller, auch Catherine Keener in der Rolle der Kollegin Kellers, die afrikanischen Politiker und Jesper Christensen als Nils Lud sind im Grunde nur supporting characters. Die Haupthandlung besteht vor allem aus einer kritischen Annäherung zwischen Keller und Broome im Zug der zeitlich beengten Ermittlungen. Während Keller nach und nach der Geschichte Silvias zu glauben beginnt, betreibt Silvia allerdings ihr eigenes Spiel. Die Szenen zwischen Kidman und Penn gehören sicherlich zu den besten des Films. Sie erzählen sich von ihren Schicksalsschlägen – Keller hat seine Frau, die ihn mit einem anderen Mann verlassen hat, durch einen Autounfall verloren; Broome hat ihre Eltern und ihre Schwester durch eine Landmine, die Zuwanies Soldaten gelegt hatten, verloren –, versuchen, gemeinsam hinter die dunklen Machenschaften zu kommen usw.

Zu den spannendsten Szenen gehören u.a. die, die sich im Dunkeln des UN-Gebäudes abspielen, solche, in denen Silvia verfolgt und bedroht wird und nicht zuletzt die Ereignisse, die schließlich zur Explosion eines voll besetzten Busses durch eine Bombe führen. Auch die Undurchsichtigkeit des Sicherheitschefs Zuwanies, Nils Lud, trägt zur Spannung des Films sicherlich bei.

Andererseits ist die Geschichte selbst doch in vielerlei Hinsicht unglaubwürdig. Allein schon die Einstellung einer aus Matobo stammenden, weißen Afrikanerin als Dolmetscherin erweist sich am Schluss des Films und angesichts der Biografie Silvias als zumindest äußerst unwahrscheinlich gemessen an den wirklichen Verhältnissen. Nicht nur das: das ganze Komplott, das hinter dem anfangs von Silvia gehörten Flüstern zweier Personen in dem Raum der Generalversammlung stecken (soll), ist weitgehend an den Haaren herbeigezogen angesichts der tatsächlichen Sicherheitsvorkehrungen bei den Vereinten Nationen – insbesondere seit Ground Zero.

Was dem Film zudem fehlt, sind realistische Schilderungen der Verhältnisse in einem – wenn auch erfundenen – afrikanischen Staat. Sowohl der amtierende Zuwanie, als auch sein Gegner Kuman-Kuman erscheinen im Film eher als Klischee-Afrikaner, die aus dem Bilderbuch der US-Geheimdienst-Schreckensszenarien entnommen wurden. Damit man mich nicht falsch versteht: Es gibt in Afrika derartige Unmenschen, wie nicht nur die Ereignisse in Ruanda oder der berüchtigte Idi Amin mehr als deutlich bewiesen haben. Im Film allerdings tauchen solche Leute und ihre innerstaatlichen Gegner eben doch nur als klischeebeladene Charaktermasken auf. Die Zuspitzung des Films auf die Reibereien und dann die Annäherung zwischen Keller und Broome trägt sicherlich dazu bei, derartiges zu vernachlässigen.

Auch die (doppelte) Auflösung des Falls, auf die ich hier aus verständlichen Gründen nicht eingehen will, scheint mir weitgehend an den Haaren herbeigezogen. Wenn das alles möglich wäre, was am Schluss gezeigt wird, hätten sicherlich schon etliche Anschläge auf das UNO-Gebäude und einzelne Politiker stattgefunden.

Abstrahiert man von diesen Ungereimtheiten bleibt ein trotzdem weitgehend spannender Thriller, der in einigen wenigen Momenten zwar Hitchcock-Qualität erreichen kann, durch die Mängel und logischen Ungereimtheiten des Drehbuchs allerdings diese Qualität nicht durchhalten kann, obwohl Penn und Kidman ihre Sache sicherlich gut machen.

DVD
Format: Dolby, PAL, Surround Sound
Sprache: Deutsch, Englisch
Region: Region 2
Bildseitenformat: 16:9
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Studio: Universal/DVD
DVD-Erscheinungstermin: 25. August 2005
Untertitel: Deutsch, Englisch, Türkisch

Die von Universal International Pictures editierte DVD enthält neben dem Film, der auch mit einem Audiokommentar des Regisseurs gesehen werden kann, einige Specials:

Alternativer Schluss (2 Min. 55 Sek.):
In diesem Schluss endet der Film nicht mit einer Szene zwischen Kidman und Penn, sondern mit einer Rede Zuwanies vor der Generalversammlung, in dem dieser eine Liste der Opfer seiner Politik vorliest.

Unveröffentlichte Szenen (2 Min, 19 Sek.):
Zum Glück wurden einige dieser Szenen aus dem Film geschnitten, weil sie zu frühzeitig eine Lösung der Geschichte präsentieren.

Sidney Pollack bei der Arbeit (10 Min.):
Pollack berichtet über das Zustandekommen des Films, seine Bemühungen bei Kofi Annan, die Räume der UNO benutzen zu dürfen und allgemein zu seiner Arbeit als Regisseur.

Pan & Scan oder Widescreen (5 Min. 7 Sek.):
Pollack begründet, warum er das Widescreen-Verfahren dem Pan & Scan-Verfahren vorzieht.

Die ultimative Kulisse: die Vereinten Nationen (7 Min. 59 Sekunden):
Darstellung der Dreharbeiten in den Räumen der UNO und dabei auftretender Probleme.

Ein Tag im Leben echter Dolmetscher (8 Min. 16 Sek.):
Zwei Dolmetscherinnen der UNO berichten über ihre Arbeit.

© Bilder: Universal International Pictures.
Screenshots von der DVD.