Die fetten Jahre sind vorbei
(The Edukators (englischer Titel)
Deutschland, Österreich 2004, 127 Minuten
Regie: Hans Weingartner

Drehbuch: Hans Weingartner, Katharina Held
Musik: Andreas Wodraschke
Director of Photography: Daniela Knapp, Matthias Schellenberg
Montage: Dirk Oetelshoven
Produktionsdesign: Christian M. Goldbeck

Darsteller: Daniel Brühl (Jan), Julia Jentsch (Jule), Stipe Erceg (Peter), Burghart Klaußner (Hardenberg)

A bisserl Rebellion auf der Alm

ACHTUNG ! SPOILER !

Irgendwann entließ die Revolution ihre Kinder – hieß es. Oder war es umgekehrt? Der Glaube versetzt Berge, hieß es. Und wir glaubten – nicht an einen Gott, aber an etwas ähnliches. Etwas viel Schlimmeres: an den modernen Gott des 20. Jahrhunderts: die Revolution. Lang ist es her, und ehrlich gesagt weine ich diesem Glauben keine Träne nach. Später wuchs eine neue Generation heran, die viele – auch in der Besprechung dieses Films – die attac-Generation nennen möchten. Und über diese Generation, oder besser: einen Teil der heutigen Generation, die sich attac und ähnlichen Organisationsformen zurechnen, will Weingartners Film handeln. Dabei ist schwer auszumachen, ob dieser Streifen ernst gemeint ist oder eher satirisch. Seine Protagonisten führen das Vokabular im Munde, das stark nach attac riecht. Das ist keineswegs negativ gemeint. Denn die Kritik am sog. globalisierten Kapitalismus ist keine lahme Schindmähre – auch wenn das Plakative und Simplifizierende in den Kreisen der neuen Neuen Linken einem des öfteren Kopfschmerzen bereitet. Man kennt das ja. Ich kenne es jedenfalls aus eigener Erfahrung als alter Neuer Linker.

Weingartner lässt drei junge Leute ins Bild fallen: die schöne Jule (Julia Jentsch), die ihren Job und ihre Wohnung verliert, ihren Freund Peter (Stipe Erceg) und den Sympathieträger des deutschen Films Daniel Brühl als Jan. Von Demonstrationen, Flugblättern, Schlägereien mit Bullen und den gängigen Formen des öffentlichen Protests haben die drei die Nase voll – denn sie sehen keine positiven Erfolge dieses Protestes. Kurzerhand haben die beiden jungen Männer – Jule weiß (noch) nichts davon – sich entschlossen, andere Protestformen ins Leben zu rufen. Sie brechen in die Villen reicher Leute ein, montieren deren Einrichtungsgegenstände zu Kunstwerken des Protests und lassen Sprüche zurück wie „Die fetten Jahre sind vorbei” oder „Die Erziehungsberechtigten”. Aber sie stehlen nichts – na ja, Peter lässt irgendwann einmal eine teure Armbanduhr mitgehen, die Jan prompt aus dem Fenster des Autos wirft.

Jule hat andere Probleme: Wohnung weg, Job im Restaurant weg (einem noblen, in dem reiche Leute dinieren) und fast 100.000 Euro Schulden. So kommt’s, wenn man während des Autofahrens im Handschuhfach kramt und dann einen teuren Mercedes zu Bruch fährt – und nicht Kfz-versichert ist.

Jan ist empört über den Mercedes-Fahrer, der kein Mitgefühl zu haben scheint, und so bricht er mit Jule in dessen Villa ein. Der Teufel (oder Weingartner) will es, dass Jule ihr Handy in dem teuren Anwesen vergisst, und als man es holen will, der Hausherr sie erwischt. Da er Jule wiedererkennt, bekommt er von Jan eins über den Kopf. Nach einer gewissen Zeit der Ratlosigkeit entführt man den reichen Herrn schnurstracks auf eine Hütte im schönen Tirol – Peter ist natürlich mit dabei – und macht ihm heftige Vorwürfe über sein Leben ohne Sorgen und seine Gleichgültigkeit gegenüber den Problemen der Welt. Bis man erfährt, dass der Entführte, Hardenberg (Burghart Klaußner) heißt er, selbst mal 68er war, mit Dutschke im SDS-Vorstand saß und so weiter und so fort. Man kommt sich (ein bisschen) näher – auf der Alm, da gibt’s koi Sünd: Hardenberg meint, irgendwann wolle man auch mal Sicherheit und Einkommen und Familie – und schon mache mein sein Kreuzchen bei der CDU. Die drei sind leicht verdutzt. Aber irgendwann sehen sie ein, dass sie den reichen Onkel nur entführt haben, um sich selbst zu schützen, nicht aber, um ein Zeichen gegen den übermäßigen Reichtum, den Kapitalismus, den Raubbau an der Natur oder was auch immer zu setzen.

Am Schluss sitzt der Hardenberg wieder in seiner Villa und die drei jungen Leute sind mit Hardenbergs Jacht auf Kreuzfahrt in den Süden. Das SEK-Kommando stürmt eine leere Wohnung, in der nur ein Zettel hängt: „Manche Menschen ändern sich nie.” Finito.

Was soll dieser Film? Vielleicht sollte man erst mal schreiben, was er wohl nicht soll. Er ist sicher kein Erziehungsfilm, keine Anleitung zum Handeln. Er gibt auch kein Lebensgefühl irgendeiner Generation wieder – dazu sind die Personen zu knapp und oberflächlich gezeichnet. Er ist sicherlich auch kein Agitprop-Film für die attac-Generation – dazu sind die Statements der drei jungen Leute zu plakativ und agitatorisch gehalten. Er ist sicherlich auch kein Warn-Film – denn Hardenberg geht es nur um seine Freiheit, und das, was er den drei Entführern sagt, ist kalter Kaffee (man siehe Joschkas Weg von einer roten Betriebszelle zum Außenminister, vgl. auch Trittin und andere). Vielleicht ist er aber ein: „Ihr-werdet-genauso-wie-Hardenberg”-Film. Denn schließlich deutet das Ende doch stark in diese Richtung – Jacht und so.

Ich weiß nicht.

Manche schrieben, „Die fetten Jahre sind vorbei” sei ein belustigender Film eines Mannes, der das alles eher aus der pubertär-naiven Sicht eines „poetischen Widerständlers” sehe. Auch daran mag was sein, zieht man das Selbstverständnis des Regisseurs zu Rate. Aber ist das alles?

Ich weiß nicht.

Ich weiß nur: irgendwie sind mir die drei sympathisch – jedenfalls über weite Strecken. Und doch liegt das wohl vor allem an den Schauspielern selbst, weniger an ihren Rollen. Auch der Klaußner ist mir sympathisch, seine Hardenberg-Rolle eher gleichgültig. Mein Gott! Wie viele dieser Hardenbergs gibt es? Wie viele haben 68 etliche Demonstrationen und noch mehr Matratzen frequentiert und sind später zu gut- oder grünbürgerlichen Großkopferten avanciert? Von Rot zu Grün zu Gelb oder Rosa – der Mensch ist ein Chamäleon.

Was bleibt also von dem Film? Beginnen wir noch mal. Die drei Globalisierungskritiker entführen mehr oder weniger aus einer individuellen Not (vor Entdeckung ihrer Einbrüche) heraus einen reichen Mann und versuchen mehr oder weniger – eher weniger – geschickt, ihn als das zu kritisieren, was er ist: einen, dem es wesentlich besser geht als den meisten, auf Kosten der meisten. Die gewählten Widerstandsformen selbst (Umbauten in den Wohnungen begüterter Leute) verpuffen im Tagesgeschehen. Es bleibt Ratlosigkeit auf der ganzen Strecke. Die alten Protestformen sind längst passé; sie verhallen angesichts des Ausmaßes dessen, was Globalisierung bewirkt hat (oder das, was man etwas unbeholfen damit umschreiben will). Den neuen Protestformen geht es nicht anders. Es gibt nicht nur kein Patentrezept gegen den globalen Kapitalismus; es gibt gar kein Rezept (wilder Widerspruch der attac-Generation an dieser Stelle).

So bleibt von Weingartners „poetischem Widerstand” vielleicht eines – die Einsicht, dass es eine globale Antwort auf die Herausforderung der Globalisierung nicht geben kann und darf. Lehren die verschiedenen – gescheiterten und verbrecherischen – Versuche des Stalinismus im 20. Jahrhundert denn nicht wenigstens das? Und, dass es eine überdimensional-kollektive Lösung, was Widerstand betrifft, ebensowenig geben kann und darf, weil in solchen „Lösungen” sich das Individuum letztlich bis zur Unkenntlichkeit auflöst. Am Schluss des Films – ein Ende, das manche Rätsel aufgibt – stehen jedenfalls vier Personen: ein reich gewordener Alt-68er, der die Bullen in ein leeres Haus stürmen lässt, und drei junge Freunde, die erstmal Urlaub machen. Dass die Entführung alle vier irgendwie zum Nachdenken bewegt hätte, was ihre persönliche Entwicklung und Verantwortung gegen sich selbst und gegenüber anderen betrifft, wäre das schönste Ergebnis einer solchen Geschichte – auch wenn der Film dies offen lässt.

Und ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, ob Weingartner in diese Richtung dachte. Wenn nicht, bliebe ein Film, dessen Geschichte irgendwie im Nichts verpufft. Wenn doch, na ja, dann vielleicht nicht. An irgendeiner Stelle des Films dachte ich: Das schönste Ende der Entführung wäre eine gemeinsame Erklärung von Entführtem und Entführern. Aber das wäre dann doch zu sehr Hollywood-like gewesen.

Die Antworten vieler auf die im Film angedeuteten Fragen gibt der Film nicht, und zwar keine. Eigentlich plädiert Weingartner für etwas, was uns allen am Herzen liegen sollte: Eigenverantwortung – auch in den Fragen einer Gesellschaft, deren Eliten offenbar keine Scheu davor haben, den ganzen Karren irgendwann gegen die Wand zu fahren. Warum auch nicht? Für einige werden sich immer Nischen finden, in denen es sich gut leben lässt. Die fetten Jahre sind noch lange nicht vorbei – für einige jedenfalls nicht.

Und noch etwas scheint der Film so ein bisschen zu protegieren: Überschaubarkeit. Da sind also eher die kleinen, individuellen, klein-kollektiven, übersichtlichen und wenigstens ansatzweise kontrollierbaren Perspektiven gemeint. So könnte es jedenfalls sein.

© Bilder: Universum Film.
Screenshots von der DVD.