Die Reise nach Kafiristan
(Journey to Kafiristan)
Deutschland 2001, 100 Minuten
Regie: Donatello Dubini, Fosco Dubini

Drehbuch: Donatello Dubini, Fosco Dubini, Barbara Marx
Musik: Orhan Temur, Rolf Marx, Angelika Hamm, Geo Schaller, Wolfgang Hamm
Director of Photography: Matthias Kälin
Montage: Christel Maye
Produktionsdesign: Gudrun Roscher

Darsteller: Jeanette Hain (Annemarie Schwarzenbach), Nina Petri (Ella Maillart), Katharine Schütz (Ärztin), Wolfgang Rau (Bibliothekar), Anika Unterburg (Helferin), Oliver Weichmann (Helfer), Othamann Shamayleh, Nael Abu Ayeh, Borham Alali

Befindlichkeitskino par excellence

Zwei Frauen aus der Schweiz beginnen 1939, kurz vor Beginn des deutschen Angriffs auf Polen, eine gewagte Reise. Sie wollen nach Kafiristan („Land der Ungläubigen“), einem bis dahin weitgehend unerforschten und schwer zugänglichen Hochgebirgsland in Afghanistan, das seit der Islamisierung Nuristan („Land des Lichts“) genannt wurde. Annemarie Schwarzenbach (1908-1942), Tochter aus reichem Elternhaus, Schriftstellerin, befreundet u.a. mit Erika und Klaus Mann, zugehörig zu linksliberalen, antifaschistischen Kreisen, will vor dem Krieg ebenso fliehen wie Ella Maillart (1903-1997), Tochter eines reichen Pelzhändlers aus Genf, die in den 20er Jahren als Seglerin an den Olympischen Spielen teilgenommen hatte, später zu den Mitbegründern der schweizerischen Damen-Hockeymannschaft zählte und auch der schweizerischen Ski-Nationalmannschaft angehörte. Ethnologisch interessiert will sie das Volk der Kafiri fotografieren. Beide Frauen fliehen aber nicht nur vor dem Krieg, sondern vor allem vor sich selbst. In ihren Büchern, u.a. „Alle Wege sind offen – Die Reise nach Afghanistan“ (Schwarzenbach, Neuauflage Basel 2000) und „Flüchtige Idylle“ (Maillart, Neuauflage München 2001), haben die beiden ihre Reise beschrieben.

Annemarie Schwarzenbach ist drogensüchtig. In zahllosen Reisen hatte sie schon vorher versucht, einen Weg für ihr Leben zu finden. Ihre unglücklichen lesbischen Beziehungen, u.a. auch zu Erika Mann, führten immer wieder zu Zusammenbrüchen, Entziehungskuren. Nach der Reise mit Ella Maillart folgt sie den Manns nach New York, landet dort in einer psychiatrischen Klinik, aus der sie fliehen kann, kehrt in die Schweiz zurück. Ihre Familie schickt sie ein Jahr in den Kongo. Nach ihrer Rückkehr stirbt sie 1942 an den Folgen eines Fahrradunfalls.

Ella Maillart, die 1935 mit Peter Fleming von Peking aus nach Tibet und dann bis nach Kaschmir gereist war, war die erste Frau aus der Schweiz, die einen Film drehte: auf der Reise nach Afghanistan. Nach dem Krieg lebte sie zurückgezogen in einem Bergdorf im Wallis bis zu ihrem Tod 1997.

Die beiden Frauen erreichen Kafiristian nie. Der Krieg holt auch Afghanistan ein. Mit dem Auto unterwegs meistern sie alle Schwierigkeiten, insbesondere auch bei Grenzübertritten, gelangen in die Türkei, in den Iran, nach Afghanistan. Doch dann dürfen sie sich wegen des Krieges nicht mehr frei bewegen.

Gründe und Spuren genug, um daraus einen Film zu drehen. Die schweizerischen Brüder Donatello und Fosco Dubini wollten keine filmische Nacherzählung der von Schwarzenbach und Maillart niedergeschriebenen Reiseerlebnisse, sondern ein eigenständiges Werk schaffen: „Es geht [..] mehr um Freundschaft und Beziehung und um die Erfahrung in der Fremde und mit sich selbst auf dem Hintergrund der politischen Situation 1939 in Europa und dem Orient.“ Der Film will nicht nur eine Innenansicht der psychisch desolaten Situation vor allem von Annemarie Schwarzenbach sein, sondern erkunden, welche Auswege aus dem Dilemma den beiden Frauen blieben, das sie nach Afghanistan trieb.

So weit, so gut. Nur leider verkommt der Film zu einer, ich möchte fast sagen, „typisch deutschen“ Befindlichkeitsorgie. Ohne Vorabinformationen über die beiden Frauen ist der Film schwer zu verstehen. Mit den entsprechenden Auskünften kann man sich den Film sparen. Jeanette Hain und Nina Petri dienen den Dubinis als Marionetten, sprich Informationsträgern und Statement-Lieferanten dieser Befindlichkeits-Qualen, die ich als Zuschauer jedenfalls erdulden und erleiden musste. Die aus den Büchern der Schwarzenbach im Film ab und zu zitierten Stellen sind noch das beste, was man über ihn sagen kann. Die Dialoge zwischen der Petri und der Hain sind schlichtweg katastrophal. Da werden dem Publikum Weisheiten serviert von der Sorte: Grenzen existieren nur auf den Karten, die wirklichen Grenzen sind in uns selbst. Nicht nur das. Die übrigen Dialoge klingen wie Anweisungen aus dem Off, um die Zuschauer über Stationen der Reise oder nächste Etappen zu unterrichten. Die von Matthias Kälin wunderschön gefilmten Bilder können kaum darüber hinwegtäuschen, wie gestelzt und gequält man unbedingt in das Innere der beiden Frauen hineinblicken wollte.

Dass es der Schwarzenbach und der Maillart schlecht ging, entspricht sicherlich der Wahrheit. Doch die Dubinis demonstrieren dies in allzu gewollter Absicht nach der Devise: Hat es der / die letzte von Euch jetzt auch begriffen. Endlose Kamerafahrten durch die bergigen orientalischen Landschaften, die Städte usw. unterbrechen die strapaziöse Präsentation der leidenden (nur ab und zu lachenden, ansonsten relative gleichgültig wirkenden) Gesichter der beiden Schauspielerinnen, bis auch der letzte Mensch im Kinosaal erkannt hat: Sie leiden wirklich.

Was das bewirken soll, bleibt ein Geheimnis der Regisseure. Es entsteht keine wirkliche Nähe zu beiden Figuren, sondern höchstens äußerliches Mitleid, das heißt gar keines. Besonders drastisch wird dies in einer Szene vorgeführt – überhaupt führen Petri und Hain die beiden Frauen vor! –, als die Schwarzenbach und die Maillart an einem Empfang in der deutschen Botschaft teilnehmen. Die Maillart tanzt mit der wunderschönen Tochter des türkischen Botschafters – und landet prompt mit ihr im Bett. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber die eklektizistische, hochtrabende, ja manierierte Art, wie diese Szene gefilmt wurde, verschlägt einem die Sprache. Seht her, die Schwarzenbach ist lesbisch – was wir ja schon alle wissen, und die Szene setzt dem keinerlei weiteres hinzu. Der Tanz der beiden Frauen wirkt wie die erste, misslungene Probe zu einer Szene, die sicherlich noch zehnmal hätte geübt werden müssen.

„Die Reise nach Kafiristan“ ist im wesentlichen eine Art filmischer Stillstand. Man ist hinterher nicht nur nicht klüger als vorher. Der Film besagt über die beiden gespielten Frauen im Grunde: nichts. Dafür spricht er für (oder besser gegen) die gekünstelte und manieristische Art, wie im deutschsprachigen Raum teilweise Betroffenheits- und Befindlichkeitskino realisiert wird: grauenhaft. Die gewollte, gezwungene Art, dem Publikum solcher Filme „die Wahrheit“ über „die Gefühlswelt“ zweier Menschen aufs Auge zu drücken, hat nichts von wirklicher Nähe. Nähe wird hier nicht produziert, sondern nur vorgetäuscht.

© Bilder: Movie:Relations