Die untreue Frau
(La femme infidèle)
Frankreich 1969, 98 Minuten
Regie: Claude Chabrol

Drehbuch: Claude Chabrol
Musik: Pierre Jansen
Director of Photography: Jean Rabier
Montage: Jacques Gaillard
Produktionsdesign: Guy Littaye

Darsteller: Stéphane Audran (Hélène Desvallées), Michel Bouquet (Charles Desvallées), Michel Duchaussoy (Kommissar Duval), Maurice Ronet (Victor Pegala), Serge Bento (Bignon), Stéphane di Napoli (Michel Desvallées), Donatella Turri (Brigitte)

Der Schein trügt nicht

Aber kein Sex. Sie schläft ein, er liegt wach daneben und grübelt. Fassade par excellence. Er ist Anwalt. Sie ist Frau, Ehefrau, Mutter und Hausfrau, natürlich mit Dienstmädchen, also eher doch weniger Hausfrau. Die Fassade stimmt. Alles geht seinen geregelten Gang, als ob es nie anders gegangen wäre. Und wahrscheinlich ist es nie anders gegangen. Das Haus ist groß, der Garten davor noch größer. Der idyllischen Umgebung analog ist der Schein der familiären Idylle. Es herrscht Ruhe, Frieden, Freundlichkeit und eine merkwürdig formale Sympathie zwischen den Ehegatten.

Wir schreiben die Jahre des Aufbegehrens – gegen verkrustete Strukturen in Gesellschaft und Familie, 1968 pp. Chabrol stimmt ein, stimmt mit, und doch unterscheiden sich seine Filme stets von der absoluten Verurteilung des „Alten“ und der parallel dazu glorifizierenden Sicht des „Neuen”, eines unbestimmten, schwammigen und meist ideologisch überfrachteten „Neuen”. Der „neue Mensch” der alten, aufgewärmten Ideologien interessierte Chabrol nicht. Aber nicht nur das. Seine Akteure – fast ausschließlich Menschen aus dem gehobenen oder mittleren Bürgertum, die sog. „Leistungsträger” der Gesellschaft – gerieten nie in den Abgrund des filmischen Tribunals. Man kann zwar nicht gerade behaupten, Chabrol hege große Sympathie für sie. Doch indem er versucht, ihr Denken und ihr Handeln zu verstehen und bildlich zu demonstrieren, ist er „bei ihnen”.

Chabrols „Stammschauspielerin” Stéphane Audran spielt Hélène, die Frau des von Michel Bouquet einmal mehr glänzend dargestellten Charles Desvallées. Chabrol zeigt beide mit ihrem jungen Sohn Michel (Stéphane di Napoli) in einer großbürgerlichen Idylle – vom Frühstück über den Alltag der Arbeit von Charles und die Freuden einer nichtstuenden Ehefrau bis zum Abendessen und der Nachtruhe. All dies ist perfekt organisiert, abgestimmt, eingespielt, geordnet, gegen Brechungen, Abweichungen, Regelverletzungen usw. gefeit. Scheinbar.

Denn: Kein Sex. Auch wenn sich Hélène mit ihren langen schönen Beinen auf dem Bett räkelt, weil ihr zu warm ist, so ist sie nicht heiß – jedenfalls nicht auf ihren Mann. Sie sagt zwar zu Charles nach einem Treffen mit Freunden in einem Restaurant: „Vielen Dank für den schönen Abend, für Michel, für alles.” Aber kein Sex. Sie schläft, er grübelt. Und gerade in dieser fassadenreichen gutbürgerlichen (oder schlechtbürgerlichen) Sphäre kann dies eigentlich nur zweierlei bedeuten: Betrug oder Verweigerung aus anderen Gründen. Andere Gründe gibt es nicht, also Betrug. Die Flucht in die Lust ist eine aus der Enge und Formalität.


Verdacht

Es ist die Kategorie des Verdachts, des Zweifels, des Misstrauens – aber nicht jener Formen des Verdachts, die nach sich ziehen, etwas ganz offen anzusprechen, zu streiten, sich auseinander zu setzen, um vielleicht wieder etwas zusammenzusetzen oder eben es auseinander gesetzt zu lassen, sich zu trennen. Nein, diese Form des Verdachts – das ist der klammheimliche, unausgesprochene Verdacht, der an der Fassade nicht rüttelt. Charles sitzt im Büro und grübelt, nachdem er seine Frau mit nach Paris genommen und ihr nachgeschaut hat, um zu sehen, wohin sie geht. Es nagt an ihm, er will Gewissheit, er glaubt zu wissen, dass ein anderer Mann im Spiel ist – in einem Spiel, in dem es keinen anderen Mann geben darf.


Ermittlung

Doch in Charles Kreisen ist es nicht der Ehemann, der ermittelt, der Beweise sammelt – ausschließlich für sich selbst übrigens. Ein Mann namens Bignon (Serge Bento), der für Charles Kunstexpertisen und Bilder überprüft hatte, soll der untreuen Gattin nachspionieren. Und schon einige Tage später entpuppt sich der heimliche Geliebte als ein Victor Pegala (Maurice Ronet), mit dem sich Hélène ungefähr dreimal die Woche trifft – ausschließlich in dessen Bett und ausschließlich wegen Sex. Auftrag zur Ermittlung wie die Ermittlung selbst – alles läuft in der Stille ab, in einer unendlichen Ruhe, so, als ob nichts wäre, obwohl doch etwas „ist“. Ein Foto Bignons zeigt den Nebenbuhler.


Bestrafung

Kurz nachdem Charles sich selbst davon überzeugt hat, wie Hélène das Haus Pegalas betreten hat, schreitet er zur Tat. Er besucht Pegala, erzählt – immer noch im betrügerischen und trügerischen Schein der Fassade – dem Geliebten seiner Frau, er und Hélène führten eine offene Ehe; sie habe ihm von Pegala erzählt usw. usf. Dann erschlägt er Pegala mit einer Büste aus Stein und versenkt ihn in einem außerhalb von Paris gelegenen See – eingewickelt in Bettlaken, verschnürt. Minutenlang schaut er dem sinkenden Geliebten seiner Frau nach, bis dieser im See verschwunden ist und die Pflanzen auf dem See die Oberfläche wieder schließen. Das Problem scheint gelöst. Natürlich hat er seine Fingerabdrücke in Pegalas Wohnung beseitigt, das Blut penibel weggewischt – alles in einer anerzogenen Ruhe und Gelassenheit, die einem die Sprache verschlägt.


Enthüllung

Die Ordnung scheint wiederhergestellt. Das Frappierende ist, das Hélène ahnt, ja schließlich Gewissheit gewinnt, dass Pegala, der inzwischen aufgrund einer Vermisstenanzeige seiner Ex-Frau von der Polizei gesucht wird, Opfer ihres Mannes geworden ist. Auch Hélène – die nie beabsichtigte, ihr bürgerliches Idyll zu verlassen – kennt the rules of the game. Sie verbrennt das Bild von Pegala, das Charles von Bignon erhalten hatte. Nur ein paar Tage Unruhe und aggressive Stimmung – Verzweiflung auf Seiten Hélènes, Furcht auf Seiten von Charles – sind schnell vergangen, bis die Ordnung der Dinge beide eingeholt hat. Die Akzeptanz des Mordes durch Hélène ist Voraussetzung für die Wiederherstellung der Fassade.

Doch Chabrol lässt hier am Schluss etwas einbrechen – in Gestalt der beiden Polizeibeamten, die Charles und Hélène ein drittes Mal aufsuchen, nachdem sie die Adresse von Hélène im Notizbuch des Verschwundenen gefunden hatten. Im Schlussbild des Films sehen wir Hélène und Michel fast erstarrt im Garten des Hauses stehen und auf Charles blicken, der nur vielleicht zwanzig Meter entfernt bei den beiden Polizisten steht, sich umdreht und seiner Frau in die Augen schaut. Die private Ordnung der Dinge scheint durch die öffentliche Ordnung des Gesetzes eingeholt.

Aber Chabrol lässt dies offen. Wird Charles verhaftet? Haben die Polizisten Spuren gefunden, die ihn als Täter ausweisen? Charles Blick deutet dies zumindest an. Es ist wahrscheinlich.

Wesentlich ist allerdings zunächst, an welchem Punkt die rules of the game verletzt werden: Es ist die Sexualität, eigentlich eher: die Lust am Leben, auf das Leben und im Leben als solche, die hinter der Fassade, man könnte fast sagen: einer Konvenienzehe keinen Platz gefunden hat und findet. Hélène liebt die Annehmlichkeiten dieses Lebens, aber ihre Lust hat hier keinen Platz. Der Mord an Pegala wird für Charles zu einer inneren Notwendigkeit, weil die traditionellen Mittel zur „Lösung” solcher Probleme ein für allemal der Vergangenheit angehören. Auch wenn Hélènes Akt des Fremdgehens nicht unbedingt Ausdruck von Emanzipation ist, so ist er doch nur möglich, weil es Emanzipation in der Gesellschaft gibt.

Das zweite wesentliche Moment der Geschichte ist der Widerspruch zwischen der privaten Gewalt und der öffentlichen Gewalt, d.h. die Unterwerfung des Privaten unter die Regeln des Öffentlichen. Mord bleibt Mord – da helfen keine Pillen. Eine Fassade um die mörderische Fassade herum glückt nur durch Zufall. Hätte Charles das Notizbuch von Pegala verschwinden lassen, hätte er besser Spuren beseitigt, hätte er ... usw.

Beide Momente – die Erfüllung der Lust Hélènes außerhalb der Ehe wie die vermutliche Festnahme von Charles und dessen absehbare Verurteilung – weisen auf die Brüchigkeit der Konvenienzehe in einem historischen Moment, in dem von allen Seiten Angriffe auf dieses Relikt der bourgeoisen Ehe gefahren werden – selbst von den Gesetzgebern. Chabrol zeigt aber eben auch die Beschränktheit im Verhalten seiner beiden Akteure, die lieber weiterhin, trotz allem, in einer fadenscheinigen, wenn auch materiell reizvollen Struktur gelebt hätten, als sich zu trennen und Klarheit zu schaffen. Wäre der Mörder unentdeckt geblieben, wäre dies auch gelungen – und wahrscheinlich hätte sich Hélène wiederum einen Liebhaber gesucht, und wahrscheinlich hätte Charles dann ...

„Die untreue Frau” ist Teil einer Trilogie, zu der auch die Filme „Der Schlachter“ (1970) und „Das Biest muss sterben“ (1969) gehören. Zu erwähnen ist noch die zur Geschichte passende Filmmusik von Pierre Jansen, die der Atmosphäre ihren typischen Stempel aufdrückt.

Man meide übrigens das unsäglich dämliche Remake des Films („Untreu“) von Adrian Lyne aus dem Jahr 2002 mir Richard Gere und Diane Lane. Dieser dumme Film hat mit dem Chabrols nichts mehr gemein.

© Bilder: Galileo-Medien.
Screenshots von der DVD

(10. Dezember 2007)