Fleisch
(int. Titel: Spare Parts)
Deutschland 1979, 114 Minuten (DVD: 105 Minuten)
Regie: Rainer Erler

Drehbuch: Rainer Erler
Musik: Eugen Thomass
Director of Photography: Wolfgang Grasshoff
Montage: Hilwa von Boro
Produktionsdesign: Paul Kinslow

Darsteller: Jutta Speidel (Monica), Wolf Roth (Bill), Herbert Herrmann (Mike), Charlotte Kerr (Dr. Jackson), Christoph Linder (Assistent), Bob Cunningham (Sergeant), Tedi Altice (Motel-Besitzerin), Ben Zeller (Medic)

„How much is anyone worth?”

Frisch verliebt, frisch verheiratet. Albern. Glücklich. Ein aus Deutschland stammendes Paar, das in Princeton studiert, fährt durch New Mexico. Monica (Jutta Speidel) und Mike (Herbert Herrmann), die nur wenig Geld haben, genießen ihre Hochzeitsreise. Über flaches Land fahren sie die Highways entlang, vorbei an mit Leuchtreklamen übersäten Motels und Einkaufszentren. Monica möchte in einem der teuren Motels absteigen, aber Mike entscheidet sich für das „Honeymoon Inn” am Rand einer Stadt, ein nicht gerade sehr einladend wirkendes Motel, in dem sie durch die freundlich lächelnde Besitzerin (Tedi Altice) empfangen werden. Sieben Dollar fünfzig die Nacht – das ist bezahlbar. Im Appartement 2 kommen sie unter. Nacktes Fleisch. Sex. Kaffee. Sie springen aus dem Fenster und laufen über eine savannenartige Ebene hinter dem Motel.

Rainer Erler lässt seinen viel diskutierten Film, in dem es um den verbrecherische Entnahme menschlicher Organe geht, beginnen wie eine stinknormale Liebesgeschichte. Der Film, der in 129 Ländern gezeigt wurde, teilweise auch in Kinos, wurde von Erlers Produktionsfirma, die er vor Jahren mit seiner Frau gegründet hatte, und dem ZDF produziert. In einer Zeit, in der Organtransplantationen zwar schon an der Tagesordnung waren, die Diskussion über Organspenden aber noch ganz am Anfang stand, löste der Film lebhafte Diskussionen über das Für und Wider von Organspenden und die Gefahr verbrecherischen Organhandels aus.

Das Glück der beiden Studenten währt nicht lange. Eine Ambulanz nähert sich den beiden, und Monica spürt instinktiv, dass Gefahr auf das Paar zukommt. Sie rennt weg, schreit, Mike solle weglaufen. Doch Mike bleibt stehen, wird von den beiden aussteigenden Fahrern mit der Waffe bedroht und dann mit einer Spritze betäubt und in den Wagen gelegt. Monica flieht, die beiden Männer folgen ihr, schießen auf sie. Die junge Frau kann sich verstecken, rennt einige Zeit später zum Motel zurück und muss feststellen, dass sämtliche Sachen der beiden und ihr Auto verschwunden sind. Die Motelbesitzerin tut so, als ob sie Monica nicht kenne. Sie hatte die Ambulanz angerufen.

Verzweifelt und nur in Unterwäsche gekleidet rennt Monica auf die Straße und stoppt einen Truck. Der Fahrer, Bill (Wolf Roth mit der eher „amerikanisch” klingenden Stimme von Manfred Lehmann), glaubt ihre Geschichte nicht. Er vermutet, sie sei möglicherweise vor der Polizei weggelaufen. Doch an einer Tankstelle wird Bill eines besseren belehrt. Die Fahrer des Krankenwagens sind ihnen gefolgt und behaupten im Restaurant, die Polizei suche eine aus dem Gefängnis ausgebrochene Drogensüchtige. Allerdings hat Bill den ganzen Tag über keine entsprechende Polizeimeldung im Radio gehört und misstraut den Fahrern. Nun glaubt er Monica, die immer noch völlig verzweifelt ist, und nimmt sie, nachdem er seine Ladung an den Zielort gebracht hat, mit zu seinem Wohnwagen, den er sich mit einem Kollegen teilt, der wiederum sich mit ihm beim Fahren ablöst.

Sechs Tage sind vergangen. Und Bill hält es nicht für opportun, jetzt noch zur Polizei zu gehen – zumal Monica keine Papiere hat und die Polizei ihrer Geschichte kaum Glauben schenken dürfte. Man müsse an den Tatort zurück und warten, bis der Krankenwagen wieder auftaucht. Er kauft Monica eine schwarze Perücke und andere Kleider, bittet seine Kollegen in den Trucks, die Straßen zu beobachten, und wartet mit Monica auf den Krankenwagen. Die Besitzerin des „Honeymoon Inn” wird diese bestimmt informieren, spekuliert Bill. Und tatsächlich taucht der Krankenwagen kurze Zeit später auf ...

Mit „How much is anyone worth” – einem Lied, das mehrfach während des Films gesungen wird, unterlegt Erler den Film mit einem leicht sarkastischen, aber dennoch im Sinne der kriminellen Organhändler zutreffend formulierten Kommentar. „Fleisch”, ist sicherlich keine typisch deutsche Fernsehproduktion jener Jahre, aber die Inszenierung entspricht einer in den 70er Jahren durchaus gängigen, eher nüchternen, oft plakativen Art, solche Themen zu behandeln – ohne Schnörkel oder gar Pathos kommt Erler gleich zur Sache. Dazu gehört auch, dass er Bill in seinem Truck ausgerechnet Fleischhälften transportieren lässt. Fleisch auf der ganzen Linie: erst beim Sex, dann im Truck und schließlich beim Organhandel. Man mag das heutzutage für allzu plakativ halten, aber irgendwie „funktioniert” es eben doch.

Das gilt auch für den weiteren Verlauf der Geschichte, in der es um eine Ärztin (Charlotte Kerr) geht, die bei dem illegalen, aber lukrativen Geschäft mit Organen seit Jahren mitmacht, weil ein Kollege sie wegen einer legalen Organtransplantation erpresst, bei der sie einen entscheidenden Fehler gemacht hatte. Erler zeigt die kriminellen Ärzte, Schwestern und Pfleger einer nach außen legal operierenden Organisation in ihrer ganzen Gefühlskälte. In dem Krankenhaus, in dem die entführten Opfer ausgenommen werden, scheint alles normal zu laufen. Aber gerade dieser Widerspruch zwischen äußerlicher Normalität und kriminellem Hintergrund lässt die Verbrecher quasi wie Außerirdische erscheinen, die sich nur menschlicher Formen bedienen, um ihr Geschäft zu machen. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass zur Zeit der Entstehung des Films das Thema wenig diskutiert wurde und illegale Geschäfte mit Organen wie etwas Fremdartiges anmuten mussten.

Daneben aber zeigt Erler auch die Entstehung einer tiefen Freundschaft zwischen Bill und Monica. Denn Bill, der mit der Polizei nicht viel am Hut hat, mischt sich in die Geschichte ein, was er nicht müsste, selbstlos. Ohne ihn wäre Monica nicht sehr weit gekommen, ohne ihn nicht und seine Truck-Kollegen.

Erler schafft eine gutes Stück Spannung – und das mit einem Minimum an Schauspielern: vier tragende Rollen, vier unterstützende – das reicht für die Geschichte aus. Auch die Bilder von Wolfgang Grasshoff, sowohl aus New Mexico, als auch aus New York, wo der Film endet, unterstützen die teils düstere, tragische, horrormäßige, teils aber auch freundliche, helle Atmosphäre des Films.

© Bilder: EuroVideo
Screenshots von der DVD