Für eine Handvoll Dollar
(Per un pugno di dollari)
Italien, Spanien, Deutschland 1964, 99 Minuten (DVD: 97 Minuten)
Regie: Sergio Leone

Drehbuch: Victor Andrés Catena, Jaime Comas Gil, Sergio Leone, nach Motiven aus „Yojimbo“ von Akira Kurosawa
Musik: Ennio Morricone
Director of Photography: Massimo Dallamano, Federico G. Larraya
Montage: Roberto Cinquini, Alfonso Santacana
Produktionsdesign: Carlo Simi, Sigfrido Burmann

Darsteller: Clint Eastwood (Joe), Marianne Koch (Marisol), Gian Maria Volonté (Ramón Rojo), Wolfgang Lukschy (John Baxter), Sieghardt Rupp (Esteban Rojo), Joseph Egger (Piripero), Antonio Prieto (Don Miguel Rojo), José Calvo (Silvanito), Margarita Lozano (Consuelo Baxter), Daniel Martin (Julio)

Ein Genre wird neu erfunden

San Miguel, irgendwo in Mexiko an der amerikanischen Grenze. Ein Unbekannter reitet in den Ort, langsam, schweigend, einen Poncho über die Schultern gehängt, einen Stoppelbart im Gesicht, ein Zigarillo im halb geöffneten Mund, die Augen fast, aber nur fast geschlossen. Denn Joe, wie sich der fremde Americano nennt, sieht trotzdem alles. Die Sonne brennt. Heute kennen wir diesen Mann, Clint Eastwood, nur zu genau. Die Rolle des Unbekannten in „Per un pugno di dollari“ wurde zu einer Legende, seiner eigenen und der anderer. Man denke an Stallone, Willis, Schwarzenegger, Bronson und viele andere moderne Helden. Ein Held neuer Art. Ein Western neuer Art. Und der Ursprung des Italo-Western, den viele verächtlich, aber auch vergeblich „Spaghetti-Western“ titulierten, um den Vater des Genres, Sergio Leone, zu denunzieren.

Längst hatten die Helden des alten Western, voran John Wayne, inhaltlich abgedankt – zumindest bot der amerikanische Western nichts Neues mehr. Dutzende Male soll Leone Kurosawas „Yojimbo“ (1961) mit Toshirô Mifune angesehen haben. Und „Für eine Handvoll Dollar“ arbeitete Leone nach Motiven dieses Klassikers des Samurai-Films, in dem ein Ronin sich die Feindschaft zweier Familien in einem Dorf zunutze macht.

In San Miguel heißen die „Familien“ Rojo und Baxter. Ramón Rojo, exzellent gewissenlos gespielt von einem As des italienischen Kinos, Gian Maria Volonté, führt mit seinem Bruder Esteban (Sieghardt Rupp, bekannt als Zollfahnder Kressin in der „Tatort“-Reihe) die eine skrupellose Bande an, die den Ort und ihre Einwohner terrorisiert. Die andere leitet der Amerikaner John Baxter (Wolfgang Lukschy), der stark unter dem Einfluss seiner Frau Consuelo (Margarita Lozano) steht. Während die eine Bande beabsichtigt, der mexikanischen Regierung Gold zu stehlen, verkaufen die anderen Waffen an aufständische Indianer.

Rojos Männer halten die Frau eines Mexikaners, Marisol (Marianne Koch), gefangen, die Ramón für sich beansprucht, weil er sie beim Kartenspiel gegen ihren Mann „gewonnen“ hat. Joe, der von Ort und Ort ziehende Gesetzlose, erkennt rasch die Situation und bietet sich wechselweise den beiden Banden an, um sie letztendlich gegeneinander auszuspielen. Als er sieht, wie schlecht Ramón Marisol behandelt, ihren kleinen Sohn von ihr fernhält und ihren Mann verprügelt, befreit er Marisol aus dem Haus, in dem Ramóns Männer sie festhalten. Ramón aber durchschaut jetzt das Spiel des Americano und lässt ihn von seinen Männern brutal zusammenschlagen. Doch Joe kann mit Mühe entkommen, um sich auf die finale Auseinandersetzung mit der Rojo-Bande vorzubereiten. Die hat inzwischen der Bande Baxters den Garaus gemacht ...

Auch wenn „Für eine Handvoll Dollar“ nicht das Meisterwerk Leones ist, so spürt man doch von der ersten bis zur letzten Minute, was das Subgenre des Italo-Western ausmacht – und das obwohl sich Leone in bezug auf das Grundgerüst der relativ simplen Geschichte streng an Kurosawas „Yojimbo“ hält. „Für eine Handvoll Dollar“ ist ein Art Schlag gegen den amerikanischen Western – und das in jeder Hinsicht. Der Held ist ein Gesetzloser, der offensichtlich nur daran interessiert ist, durch Ausspielen der beiden Banden für sich selbst Vorteile zu ergattern. Nur in einem Moment spricht er davon, dass er Ungerechtigkeit nicht ausstehen kann: als er Marisol aus der Gefangenschaft befreit. Ansonsten kennt Joe keine Skrupel, seine Intelligenz ist darauf gerichtet, möglichst viel Geld aus San Miguel mitzunehmen. Joe will San Miguel verlassen, wie er es betreten hat: nur mit mehr Dollar in den Satteltaschen.

Joe tötet anfangs vier Bandenmitglieder, bei der Befreiung Marisols mindestens fünf und am Ende nochmals ein halbes Dutzend Rojo-Männer. Als Ramón und seine Leute den Goldtransport überfallen, sterben gut zwei Dutzende weitere mexikanische Soldaten im Kugelhagel eines Maschinengewehrs. In den USA durfte der Film wegen dieser „Gewalttätigkeit“ lange nicht im Fernsehen gezeigt werden. 1977 verpasste man dem Streifen einen ca. fünf Minuten langen Prolog, in dem ein Behördenvertreter (gespielt von Harry Dean Stanton) Joe, einem Lebenslänglichen, das Angebot macht, entweder weiter in der Zelle zu schmoren oder die gesetzlosen Zustände in San Miguel zu beenden. Eastwood hatte es abgelehnt, in diesem Prolog Joe zu spielen. So nahm man einen Schauspieler, den man im Prolog nur von hinten sieht, und blendete zweimal Eastwoods Gesicht aus Szenen des Films ein. Dieser Prolog sollte der im Film gezeigten Gewalt eine Art legalen Anstrich geben – ein zumindest aus heutiger Sicht fast schon lächerliches Vorhaben, aber auch enthüllend. Denn offenbar meinten die Verantwortlichen, dass die Skrupellosigkeit, wenn sie durch staatliche Stellen legalisiert wird, einen legitimen Anstrich bekäme.

Dabei zeigt der Film vor allem auch eine mehr oder minder versteckte Kritik an der Darstellung der amerikanischen Gesellschaft im klassischen Western. Die auf einen kleinen Ort zusammengeschrumpfte Gemeinschaft besteht aus gewalttätigen Banden, die zu allem bereit sind, einem ebensolchen Einzelkämpfer, der dabei für sich möglichst viel herausschlagen will, und einer dreiköpfige Familie, die dankbar für Joes Hilfe ist. Daneben beklatschen ein Sargmacher und ein weiterer „neutraler“ Einwohner von San Miguel Joes Pläne – insgesamt ein sehr kritischer, wenn nicht gar zynischer Blick auf eine amerikanische Gesellschaft im Mikrokosmos.

Allerdings spielt Eastwood diesen modernen Helden zwiespältig. Und so ist die Rolle auch angelegt. Denn dass die Sympathien des Publikums ganz eindeutig auf seiner Seite stehen, kann kaum daran liegen, dass er den beiden Banden-Führern Rojo und Baxter in jeder Hinsicht gleichgestellt wurde. Beileibe nicht. Joe durchschaut die Situation und ist den anderen immer einen Schritt voraus – selbst als er selbst in Lebensgefahr schwebt, behält er einen kühlen Kopf. Joe ist ein einsamer Wolf, ein intelligenter Kopf, und gerade durch die Befreiung Marisols beweist er, dass er nicht ausschließlich aus egoistischen Motiven handelt. Joe will ebenbürtige Gegner und verlangt von diesen dasselbe. Ramóns Verhalten gegenüber Marisol, ihrem Kind und ihrem Mann kann Joe nicht akzeptieren.

Diese Zwiespältigkeit in der Anlage dieses modernen Helden, die sich später in den Rollen anderer solcher Helden im amerikanischen Film wiederfindet, begründet auch die zwiespältige Haltung, die man einem solchen Helden gegenüber einnehmen muss. Denn die Methoden, die dieser Held anwendet, sind die gleichen wie die seiner Gegner nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“. Dass Leone dies in „Für eine Handvoll Dollar“ so deutlich und doppeldeutig inszeniert hat, ist ein weiterer Schlag ins Gesicht des klassischen amerikanischen Western und sozusagen das Gegenstück zu Fred Zinnemanns kritischem Western „High Noon“ (1952), in dem Gary Cooper als Marshall Kane am Schluss den US-Marshall-Stern in den Staub wirft. Dort war es die Feigheit der mikrokosmisch abgebildeten amerikanischen Gesellschaft, die den Helden dazu brachte, sich von ihr zu verabschieden. Leones Joe jedoch wird in den nächsten Ort ziehen und nach bewährter Manier weitermachen, allerdings nicht ohne ein paar „gerechte Dinge“ zu tun.

Leones Stil wird in „Für eine Handvoll Dollar“ also bereits deutlich. Und nicht zuletzt die Musik Morricones und der gezielte Einsatz von Geräuschen (das Wiehern eines Pferdes, das Geräusch des Windes, der Staub aufwirbelt, ein Schuss in der Stille, der wie das Geräusch einer Granate klingt z.B.), aber auch der fast schon paradoxe Gegensatz zwischen einer durch die brennende Sonne in jeder Hinsicht hellen Atmosphäre, die den ganzen Film durchzieht, und dem in jeder Hinsicht „dunklen“ Treiben der Figuren des Films deuten an, was Leone in „Spiel mir das Lied vom Tod“ geradezu perfekt in Szene setzen würde.

© Bilder: Paramount Pictures, Screenshots von der DVD