12 Uhr mittags (1952)
Rio Bravo (1959)




12 Uhr mittags
(High Noon)
USA 1952, 85 Minuten
Regie: Fred Zinnemann

Drehbuch: Carl Foreman, nach einer Geschichte von John W. Cunningham („The Tin Star“)

Musik: Dimitri Tiomkin, „Do not forsake me, oh my darlin’“ gesungen von Tex Ritter
Director of Photography: Floyd Crosby
Montage: Elmo Williams
Produktionsdesign: Rudolph Sternad

Darsteller: Gary Cooper (Marshal Will Kane), Thomas Mitchell (Bürgermeister Jonas Henderson), Lloyd Bridges (Deputy Sherif Harvey Pell), Kate Jurado (Helen Ramirez), Grace Kelly (Amy Kane), Otto Kruger (Richter Percy Mettrick), Lon Chaney Jr. (Martin Howe), Harry Morgan (Sam Fuller), Ian MacDonald (Frank Miller), Eve McVeagh (Mildred Fuller), Lee van Cleef (Jack Colby), Robert J. Wilke (Pierce), Sheb Wooley (Ben Miller), James Millican (Deputy Sherif Herb Baker), Jack Elam (Charlie, Betrunkener)

Hinter der Fassade

„Do not forsake me, oh my darlin'
On this, our weddin' day
Do not forsake me, oh my darlin'
Wait ... along

The noon day train will bring Frank Miller
If I'm a man I must be brave
And I must face a man who hates me
Or lie a coward, a craven coward
Or lie a coward in my grave.“ (1)

Der Blick fällt auf eine in düsteren, teilweise grellen Schwarz-Weiß-Grau-Tönen sich darbietende Landschaft. Tristesse. Drei Männer nähern sich einem unbedeutenden Nest namens Hadleyville, irgendwo. Es ist 10.35 Uhr morgens. Jack Colby (Lee van Cleef), Pierce (Robert J. Wilke) und Ben Miller (Sheb Wooley) reiten durch Hadleyville. Jeder kennt sie. Vor allem aber kennt jeder Einwohner den, der gerade nicht in die Stadt reitet, Frank Miller (Ian MacDonald), auf den die drei anderen warten. Frank Miller soll mit dem Zug um 12 Uhr in Hadleyville eintreffen. Frank Miller ist ein verurteilter Mörder, der aus unerfindlichen Gründen begnadigt wurde. Frank Miller wurde vom Marshal der Stadt, Will Kane (Gary Cooper), vor Jahren gefasst. Und Will Kane gilt der Besuch Frank Millers. Jeder in der Stadt weiß das, als die drei Ganoven auftauchen. Und jeder weiß, dass sich Miller an Kane rächen will.

Ein klassischer Western? Nein, beileibe nicht. Fred Zinnemann (1907-1997), der aus Österreich stammende Regisseur, der noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland in die USA ging, war eher ein Ausnahmeregisseur in den heiligen Hallen von Hollywood. Bekannt wurde Zinnemann mit „Das siebte Kreuz“ (1944) nach dem berühmten Roman Anna Seghers, später mit Filmen wie „Verdammt in alle Ewigkeit“ (1953), „Oklahoma!“ (1955), „Der alte Mann und das Meer“ (1958), „Geschichte einer Nonne“ (1959), „Der Schakal“ (1973) und „Julia“ (1977), seinem vorletzten Film.

„Oh, to be torn 'tweenst love and duty
S'posin' I lose my fair-haired beauty
Look at that big hand move along
Nearin' high noon

He made a vow while in state prison
Vowed it would be my life or his'n
I'm not afraid of death but oh
What will I do if you leave me?“ (1)

„High Noon“ ist in jeder Hinsicht ein Ausnahme-Western. Wir sehen keine blühenden Landschaften eines glorifizierten Westens und glorifizierenden Westerns, keine furchtlosen Helden ohne Schwächen, keine lustigen Nester, keine „typisch“ amerikanische Nach-Siedler-Generationen, die sich in Furchtlosigkeit vor den Gefahren zusammenschweißt und ihre Führer (längst) auserwählt (hat). Alles läuft anders ab, sieht anders aus und geht anders aus als etwa in Howard Hawks „Rio Bravo“ (1959), in dem John Wayne – der „High Noon“ als „unamerikanisch“ bezeichnet haben soll – die „uramerikanischen Werte“ verteidigt, ohne dass Hawks allerdings sämtliche Register des Pathos ziehen würde (was „Rio Bravo“ wiederum zu einem ansehnlichen Exemplar des Genres werden lässt).

Gary Coopers Marshal Kane hatte Hadleyville von Banditen gesäubert und alle sind ihm dankbar. Jetzt, als die drei Ganoven die Stadt betreten, will Kane, der gerade die um Jahrzehnte jüngere Amy (Grace Kelly) heiratet, die Stadt verlassen. Morgen soll der neue Marshal kommen. Und mit dem üblichen Hochzeittrara verlässt das glückliche Paar mit dem Pferdewagen die Stadt. Kane weiß, dass Miller um 12 Uhr ankommen wird – und kehrt um. Amy versteht nicht warum, vielleicht will sie es auch nicht verstehen, und will aus Protest gegen ihren Mann just mit dem Zug, mit dem Miller kommen wird, wegfahren.

Zinnemann passte die Laufzeit des Films exakt der Zeit der Handlung an. Die Handlung spielt zwischen 10.35 Uhr und 12 Uhr mittags, der Film hat eben diese Länge von 85 Minuten. Und in diesen knapp eineinhalb Stunden enthüllt sich derart viel an Schwächen und Verhaltensweisen, das Zinnemann (bewusst) auf die üblichen Stilmittel des Genres weitgehend verzichten konnte. Für ihn war nach eigener Aussage der Western nur die Hülle, unter der sich vor allem Feigheit und Verrat, Gemeinschaft in Worten, aber Einsamkeit in der Tat entblößten.

Kane, der als Marshal weiß, was zu tun ist, der als Mensch aber gleichzeitig eher zurückhaltend, fast schüchtern wirkt, ist gewissenhaft. Er bräuchte nicht zurückkehren, sein Job ist erledigt. Nur ein schlafender Betrunkener, ein Stammgast, liegt noch in der Zelle (Jack Elam). Morgen kommt sein Nachfolger. Morgen. Eben – erst morgen. Und deshalb kehrt Kane zurück, deshalb, und weil Frank Miller wegen ihm kommt, schließlich weil Frank Miller die Zustände wieder herbeiführen könnte, unter denen Hadleyville zu einem Gemisch aus Kriminalität und Vergnügung verkommen war. Im Saloon, in dem er Hilfssheriffs anheuern will, machen ihm die anwesenden Männer dies mehr als deutlich.

„Do not forsake me, oh my darlin'
You made that promise when we wed
Do not forsake me, oh my darlin'
Although you're grievin'
I won't be leavin'
Until I see Frank Miller dead

Wait along, wait along
Wait along
Wait along.“ (1)

Wir erleben Hadleyville als eine Art zeitlichen Knotenpunkt: Leute werden kommen, andere gehen oder wollen gehen, der Marshal will eigentlich weg, aber der andere ist noch nicht da, Kane hat sein Junggesellendasein aufgegeben und geheiratet. Kane sucht nun die, denen er bislang geholfen hat. Und er findet keinen. Sein Deputy Harvey (Lloyd Bridges) spielt den „Vernünftigen“ und legt seinen Stern ab, will, dass Kane die Stadt verlässt und schüttet sich mit Whisky voll. Alle wollen, dass Kane geht. In der Kirche sucht Kane Hilfe. Doch Bürgermeister Henderson (Thomas Mitchell) beendet seine flammende Rede auf den besten aller Marshals mit demselben Rat: Kane, mach dass du fortkommst. Der Richter (Otto Kruger) sattelt sein Pferd und verschwindet. Und selbst der andere Deputy Herb (James Millican), der Kane anfangs, um kurz nach 10 Uhr, noch helfen wollte, flüchtet in seine vier Wände, als er von Kane hören muss, er habe niemanden sonst gefunden, um gegen Miller zu kämpfen. Ein anderer (Harry Morgen lässt sich, als Kane kommt, von seiner Frau (Eve McVeagh) verleugnen.

Der Schweiß steht Kane auf der Stirn. Aber nicht die Hitze macht ihm vor allem zu schaffen, sondern die Angst, gegen Miller und seine drei Helfershelfer allein dazustehen. Die Angst und die Enttäuschung, die bittere Enttäuschung über Menschen, die sich in ihren Häusern verbarrikadieren. Es wird ruhig in Hadleyville. Auch Kanes Ex-Freundin Helen Ramirez (Katy Jurado) packt ihre Koffer – ob aus Angst, Feigheit oder einfach Enttäuschung über die Einwohner des Ortes und vor allem über ihren Freund Harvey? Wenn sie Kanes Frau wäre, würde sie ihn nicht im Stich lassen, sagt sie Kanes Frau Amy ins Gesicht, die nur an ihre Ehe zu denken scheint, aber nicht an ihren Mann. Warum helfe sie dann Kane nicht, fragt Amy. Sie sei nicht Kanes Frau, pariert Helen.

Als selbst der Vorgänger Kanes, Martin Howe (Lon Chaney Jr.) Kane dazu rät, die Stadt schleunigst zu verlassen, weiß der Marshal, woran er ist. Er bereitet sich vor, muss noch eine Schlägerei mit Harvey überstehen, der ihn zwingen will zu gehen.

Gary Coopers Marshal ist so allein, wie man nur allein sein kann. Er ist bei sich, ganz bei sich. Er bleibt, trotz Angst und Enttäuschung, ja Verbitterung, überlegt, und handelt bis zum bitteren Ende seinem Gewissen folgend. Und dieses Ende ist nicht die erneute Herrschaft Frank Millers über die Stadt, nicht der Sieg Kanes über die vier Gestalten, nicht die wiedergewonnene Sicherheit in Hadleyville. Kane verlässt die Stadt. Seinen Marshal-Stern wirft er den Einwohnern vor die Füße in den Sand.

Düsterer kann man einen Western kaum drehen. Düsterer kann man aber vor allem kaum eine Atmosphäre einfangen, in der sich unter der brüchigen Oberfläche von vermeintlicher Ehre und Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Gemeinschaft, Mut und Entschlossenheit etwas ganz anderes offenbart: Feigheit, Egoismus und letztlich auch Verrat. Ein ganzer Ort hat sich gegen Kane verschworen, der seine Einwohner vor dem Schlimmsten bewahrt hat. Erst im letzten Moment und in einer einzigen Person offenbart sich ein Fünkchen Hoffnung, als Amy zur Waffe greift und einen der Banditen tötet.

Fred Zinnemann drehte „High Noon“ in einer Zeit, in der ein amerikanischer Senator namens McCarthy sich mit anderen anschickte, „unamerikanische Umtriebe“ zu bekämpfen. Das entsprechende Komitee, dem vor allem Intellektuelle, auch Filmschaffende wie der Schauspieler Lloyd Bridges, Drehbuchautor Carl Foreman und Floyd Crosby, der den Film fotografierte, zum Opfer fielen, war eine Institution der modernen Hexenverfolgung. Man sah überall Kommunisten und wollte sie überall sehen. Vor allem Foreman sah in „High Noon“ einen visuellen Gegenschlag gegen diese organisierte Verfolgung. Der gesichtlose Frank Miller, der erst ganz am Schluss des Films in Erscheinung tritt, und seine ebenfalls konturenlosen drei Kumpane waren für Foreman so etwas wie ein Symbol für das Komitee McCarthys. Zinnemann selbst äußerte sich in einem Interview, das Charlotte Kerr 1982 mit ihm führte und auf der DVD zu finden ist, scheinbar zurückhaltender. Für ihn sei „High Noon“ nicht auf eine spezielle politische Situation zugeschnitten gewesen. Die Handlung hätte genauso gut in einer anderen Zeit und an anderem Ort spielen können.

(1) Do Not Forsake Me, Album: Frankie Laine's Greatest Hits (Ned Washington / Dimitri Tiomkin) Frankie Laine - 1952 Tex Ritter.



Rio Bravo
(Rio Bravo)
USA 1959, 136 Minuten
Regie: Howard Hawks

Drehbuch: Leigh Brackett, Jules Furthman
Musik: Dimitri Tomkin
Director of Photography: Russell Harlan
Montage: Folmar Blangsted
Produktionsdesign: Leo K. Kuter, Ralph S. Hurst

Darsteller: John Wayne (Sheriff John T. Chance), Dean Martin (Dude „Borachon“), Ricky Nelson (Colorado Ryan), Angie Dickinson (Feathers), Walter Brennan (Stumpy), Ward Bond (Pat Wheeler), John Russell (Nathan Burdette), Pedro Gonzales-Gonzales (Carlos Robante), Estelita Rodriguez (Consuela Robante), Claude Akins (Joe Burdette)

Kontra „High Noon“ ?!

Kein geringerer als John Wayne soll über Fred Zinnemanns klassischen Western „High Noon“ (1952) geäußert haben, das Ende dieses Films sei „unamerikanisch“. Tatsächlich setzte Zinnemann – zudem in einer Zeit, in der ein gewisser McCarthy einen Ausschuss zur Bekämpfung „unamerikanischer Umtriebe“ führte, mit dem auch Drehbuchautor Carl Foreman, Kameramann Floyd Crosby und Lloyd Bridges konfrontiert wurden – mit „High Noon“ neue Maßstäbe dieses uramerikanischen Genres Western. Die insgesamt düstere Stimmung des Films, die Bitterkeit eines Marshalls (Gary Cooper), der gerade geheiratet hatte (Grace Kelly), über die Feigheit der Menschen in seiner Stadt, die ihm viel zu verdanken haben und in dem Moment zurückweichen, als er Hilfe braucht, um Gangster zu bekämpfen, die sich an ihm rächen wollen – all das konterkarierte das Genre mit den eigenen Mitteln. Da gab es nicht den stilisierten Helden, der glorreich seine amerikanische Stadt zu Ruhm und Ehre führt.

So nimmt es nicht Wunder, dass „High Noon“ in manchen amerikanischen Reviews als Prototyp des „linken“, des liberalen Amerika charakterisiert wurde, während Howard Hawks „Rio Bravo“ sozusagen als Gegenschlag der „Rechten“, der Konservativen eingeschätzt wird. Hawks selbst wollte einen starken, männlich-heldenhaft geprägten, vor Selbstvertrauen strotzenden Film drehen, in dem die nach seiner Sicht uramerikanischen Werte wieder zum Ausdruck kommen. John Wayne, mit dem Hawks bereits in „Red River“ elf Jahre zuvor zusammengearbeitet hatte, war nicht nur in dieser Hinsicht der geeignete Schauspieler, um Hawks Anliegen zu realisieren. Mit Dean Martin, dem Sänger Ricky Nelson, Angie Dickinson und Walter Brennan ergänzte er die Crew um Schauspieler, die hervorragend miteinander harmonieren.

Sheriff John Chance (John Wayne) verhaftet Joe Burdette (Claude Akins) wegen Mordes an einem Mann im Saloon der kleinen Stadt Rio Bravo. Chance ist sich darüber im klaren, welche Folgen diese Verhaftung hat. Denn Joes Bruder Nathan (John Russell) wird nicht eher ruhen, bis er seinen Bruder aus dem Gefängnis befreit hat. Sechs Tage muss Chance warten, bis der zuständige Marshall Burdette unter seine Fittiche nimmt und dem Richter vorführt. Chance lehnt die Hilfe der Einwohner von Rio Bravo ab; er will nicht, dass irgendein friedliebender Bürger Opfer Nathan Burdettes und seiner Bande wird. Ihm zur Seite stehen lediglich der alte Stumpy (Walter Brennan), der auf einem Bein humpelt, und der Ex-Hilfssheriff Dude (Dean Martin), der dem Whisky verfallen ist, weil er vor Jahren einer Frau gefolgt war, die er liebte, die ihn aber nicht liebte. Dude hat kein Geld, wartet darauf, dass irgend jemand ihm einen Dollar spendiert, um an ein Glas Whisky zu kommen. Andererseits kämpft er innerlich gegen das Teufelszeug. Dude und Stumpy sind die einzigen, die Chance als Helfer gegen die Burdettes akzeptiert – bis der junge Colorado Ryan (Ricky Nelson) erscheint, der nicht nur mit dem Revolver gut umzugehen weiß, sondern hell im Kopf ist. Doch Colorado, der für den Händler Pat Wheeler (Ward Bond) arbeitet und den Chance als Hilfssheriff akzeptieren würde, will sich jedenfalls zunächst aus der Sache heraushalten.

Zu allem Überfluss erscheint in Rio Bravo dann auch noch die schöne Feathers (Angie Dickinson), von der Chance zunächst annimmt, sie seine eine Falschspielerin, die steckbrieflich gesucht wird. Tatsächlich pokert Feathers besser als so mancher Mann. Eigentlich ist Rio Bravo für sie nur eine von vielen Durchgangsstationen. Doch der selbstbewusste Sheriff lässt Feathers länger bleiben als geplant. Sie verliebt sich in Chance.

Als Nathan Burdettes Leute, die wissen, dass sie Joe nicht direkt aus dem Gefängnis befreien können, beginnen, aus dem Hinterhalt auf Chance und Dude zu schießen und dabei Wheeler ermorden, ist es Dude, der den Mörder im Saloon dingfest machen kann. Das gibt ihm Auftrieb. Und obwohl Chance niemanden aus Rio Bravo in die Auseinandersetzung mit der Burdette-Bande hineinziehen will, helfen ihm fast alle: Colorado, Feathers – und sogar der Besitzer des Alamo-Hotels Pedro (Carlos Robante) und seine Frau Consuela (Estelita Rodriguez) ...

Obwohl John Wayne in seiner gewohnten Art und Weise als selbstbewusster Held mit Durchblick, der nie die Ruhe verliert, erneut eine Paraderolle spielt, eine Rolle, die auf ihn zugeschnitten ist, sind es vor allem Walter Brennan als ewig quengelnder alter Haudegen Stumpy und Dean Martin als Mann, der versucht, dem Geist der Flasche zu entkommen, die zum Humor und zur Dramatik des Films beitragen. Angie Dickinson als intelligente, liebende Frau und der junge Ricky Nelson als zurückhaltender, schlauer Fuchs tragen zu einer exzellenten Besetzung bei, die kaum etwas zu wünschen übrig lässt.

Im Gegensatz zu anderen Beispielen des Genres erstaunt, dass Hawks weitgehend auf eine allzu pathetische Inszenierung des Heldentums verzichtet. Die Handlung verläuft eher in ruhigen Bahnen und Hawks setzt vor allem auf eine detaillierte Beschreibung seiner Hauptfiguren. Tatsächlich kann man in „Rio Bravo“ eine Art Gegenstück zu Zinnemanns „High Noon“ sehen. Während dort Gary Coopers Marshall verzweifelt nach Hilfe in der Bevölkerung sucht, um die Verbrecher zu bekämpfen, lehnt Sheriff Chance es kategorisch ab, dass sich außer Stumpy und Dude irgend jemand der Gefahr im Kampf gegen Burdette aussetzt. Während die Leute in „High Noon“ aus Feigheit Marshall Kane alleine lassen, reißen sich in „Rio Bravo“ die Leute geradezu darum, Chance zu unterstützen.

Während „High Noon“ dem amerikanischen Publikum den Spiegel vorhält und – man kann schon sagen: fast gnadenlos – die Feigheit vor Heldentum und Zusammenhalt „siegen“ lässt (auch wenn Coopers Marshall am Schluss die Verbrecher besiegt), feiert Hawks alles, was den american dream ausmacht: einen ausgeprägten Individualismus ebenso wie den Zusammenhalt der „Sippe“. In „Rio Bravo“ „entsteht“ Familie. Nicht nur, dass Chance und Feathers ein Paar werden. Die Gefahrensituation schweißt die örtliche Gemeinschaft zusammen. Dude führen Risiko und Bedrohung durch Burdette zur Abkehr vom Alkohol. In Colorado gewinnt der Ort einen neuen Freund. Chance beweist sich als geeigneter Sheriff. Und selbst die Mexikaner Carlos und Consuela tragen ihren Part dazu bei, um die Gemeinschaft auf höherer Stufe zusammenzuschweißen. Aus der heimatlosen Feathers, die einem Spieler zum Opfer gefallen war, wird eine liebende Ehefrau (in „High Noon“ wirft Marshall Kane am Schluss seinen Stern auf den Boden und verlässt mit seiner jungen Frau die Stadt).

Trotz dieser mehr als eindeutigen Feier des Heldentums wirkt „Rio Bravo“ jedoch nicht übertrieben oder unglaubwürdig. Hawks, ein Erfahrener auf dem Gebiet des Westerns (mit John Wayne in der Hauptrolle u.a. „Rio Lobo“, 1970; „El Dorado“, 1967; „Red River“, 1948 – um nur einige zu nennen), hütet sich davor, dem Pathos Tür und Tor zu öffnen. Seine Figuren „bleiben auf dem Teppich“, und gerade die Konzentration auf Charaktere und ihre Beziehungen zueinander machen „Rio Bravo“ zu einem der spannendsten Western aller Zeiten.