Kaltblütig
(In Cold Blood)
USA 1967, 134 Minuten
Regie: Richard Brooks

Drehbuch: Richard Brooks, nach dem Roman von Truman Capote
Musik: Quincy Jones
Director of Photography: Conrad L. Hall
Montage: Peter Zinner
Produktionsdesign: Robert F. Boyle, Jack H. Ahern

Darsteller: Robert Blake (Perry Smith), Scott Wilson (Richard „Dick” Hickock), John Forsythe (Alvin Dewey), Paul Stewart (Jensen) Gerald S. O’Loughlin (Harold Nye), Jeff Corey (Mr. Hickock), Charles McGraw (Tex Smith), John McLiam (Herbert Clutter), Brenda Currin (Nancy Clutter), Ruth Storey (Bonnie Clutter), Paul Hough (Kenyon Clutter)

Gnadenlos ...

Tränen scheinen über das Gesicht des Verurteilten zu laufen; aber das täuscht. Es ist nur der prasselnde Regen außerhalb der Todeszelle, der das künstliche Licht auf seinem Gesicht Schlieren werfen lässt. Der junge Mann erzählt von den wenigen Augenblicken des Glücks in seinem Leben, als sein Vater und er ein Haus gebaut hatten, um Leute zu beherbergen, aber niemand kam. Er sagt, er liebe seinen Vater und er hasse ihn zugleich – für dessen Versagen und sein eigenes. Der Gefängnisgeistliche hört ihm zu, voller Mitgefühl. Als er zur Hinrichtung geführt wird, sagt er: „Ich würde mich gern entschuldigen, aber wo nur, wo?” Der Tod kommt schnell, und furchtbar langsam zugleich. Die Henker bereiten alles penibel vor. Der Verurteilte muss genau in der Mitte der Klappe stehen, durch die er fallen wird. Ein schwarzes Tuch verhüllt sein Gesicht. Ein paar wenige Geräusche lassen ihn zusammenzucken. Ein uniformierter Beamter legt seine Hand auf seine Schulter. Sein Herz schlägt schnell und schneller. Der Strick wird ordnungsgemäß um seinen Hals gelegt. Die anwesenden Zeugen, u.a. Polizisten und Journalisten, stehen stumm um den Galgen herum und schauen dem Vorgang mit ernster Miene zu. Der Tod tritt schnell ein – kurz nachdem der Freund des Verurteilten den selben Weg gehen musste. Dessen letzte Worte waren, dass er hoffentlich jetzt in eine bessere Welt komme. Auch er ging in den Tod ohne Bitterkeit, fast ohne Angst.

1965 wurden die beiden jungen Männer, Perry Smith (Robert Blake) und Richard „Dick” Hickock (Scott Wilson), wegen vierfachen Mordes durch den Strang hingerichtet. 1959 hatten sie Herbert Clutter (John McLiam), Nancy (Brenda Currin), Bonnie (Ruth Storey) und Kenyon Clutter (Paul Hough) in deren Farm in Kansas brutal ermordet.

Truman Capote, der Perry und Dick im Gefängnis interviewt hatte, schrieb über diese Vorgänge einen Roman, der auch in dem kürzlich gezeigten Film „Capote” eine wichtige Rolle spielt. 1967 nahm sich Richard Brooks („Die Katze auf dem heißen Blechdach”, 1958; „Die Brüder Karamasov”, 1958) dem Roman an und schrieb das Drehbuch zu seinem viel beachteten Film.

1959 wird Perry auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen. Er hatte mit einer Fahrradkette einen Mann getötet. Sein Kumpel Dick nimmt Kontakt zu ihm auf und erzählt ihm von einer todsicheren Sache. 400 km entfernt in Kansas wohnen die Clutters, und ein Bekannter habe ihm erzählt, in deren Tresor befänden sich um die 10.000 Dollar. Es sei eine ganz einfache Sache, sich des nachts dieses Geldes zu bemächtigen. Der im Waisenhaus bei strengen Nonnen aufgewachsene Perry zweifelt zwar an dieser „todsicheren” Sache; aber er fährt die lange Strecke mit Dick mit. In der Nacht kommen sie bei der Farm der Clutters an, die gerade dabei sind, schlafen zu gehen.

Am nächsten Morgen findet die Aufwartefrau der Clutters die Toten. Polizei, Presse. Alles nimmt seinen üblichen Gang. Im Haus fehlt nicht viel, ein Radio und 43 Dollar. Der ermittelnde Beamte Alvin Dewey (John Forsythe) hat Zweifel, dass es sich um einen Raubmord handeln könnte. Der Journalist Jensen (Paul Stewart) vom Weekly Magazine glaubt gar an eine Tat von Psychopathen, von Leuten, die ohne jeden ersichtlichen Grund töten oder Spaß am Morden haben.

Zunächst hat die Polizei kaum Anhaltspunkte: zwei verschiedene Schuhabdrücke, fehlende Schecks, aber keine Fingerabdrücke oder sonstige Spuren. Perry und Dick sind inzwischen auf dem Weg nach Mexiko, denn Perry träumt davon, irgendwo Gold zu finden. Doch Mexiko ist letztlich eine riesige Enttäuschung für beide, und so kehren sie mit dem bisschen Geld, was ihnen geblieben ist, in die USA zurück, teilweise zu Fuß, teilweise per Anhalter.

Als sie die Schecks Clutters dazu missbrauchen, sich neue Klamotten und anderes zu kaufen, kommt die Polizei auf ihre Spur, vernimmt die Väter der beiden. Dewey hat keine Beweise, aber er vermutet in Perry und Dick die Täter ...

„In Cold Blood” ist eine besondere Art des film noir, ein Schwarz-Weiß-Film, der eine kaltblütige Geschichte zweier kaltblütiger junger Männer erzählt. Mit permanenten Szenenwechseln und Rückblenden zeigt Brooks eine fast gefühllose Welt, ein Amerika, das an allen Ecken und Enden gleich aussieht, zwei junge Männer, für die das Töten ein alltäglicher Vorgang zu sein scheint, Polizisten, die fast schon mechanisch, nach immer denselben eingefleischten Ritualen ihren Job verrichten. Nur wenn Dewey die Väter der beiden Mörder interviewt, den todkranken Mr. Hickock (Jeff Corey) und Tex Smith (Charles McGraw), scheint eine andere Welt durch die wie ein riesiges Tuch alles überziehende Kälte – eine Welt der verlorenen Hoffnungen, Träume, Sehnsüchte und Wünsche, eine Welt des permanenten Scheiterns, mit dem sich die beiden alten Männer mehr oder weniger abgefunden haben. Als Dick sich in Mexiko mit einer Prostituierten vergnügt, wenn sich beide ein letztes Mal betrinken, dann kommen die Erinnerungen hoch: an den schlagenden Vater, an das eigene Versagen. Wache Alpträume beherrschen Perrys Gesicht, der Druck seines ganzen, beschissenen Lebens, das ihm nie eine Chance bot, eines Lebens, aus dem aber auch er selbst nie etwas gemacht hatte.

Perry und Dick wurden zu gefühllosen Individualisten – ganz analog zum amerikanischen Traum, aber abseits aller ideologischen Verkleisterungen dieses Traums. Die Versprechungen dieses Traums sind für beide leer, und so werden aus zwei gefühllosen Individualisten zwei gewalttätige Mörder. Als die Polizei die Leichen der Clutters findet, entdeckt sie, dass dem Hausherrn zunächst die Kehle durchgeschnitten wurde, bevor man auf ihn mit der Schrotflinte schoss, die auch die anderen tötete. Alle Opfer wurden vorher mit Nylonschnüren gefesselt – ein Schlachtfest. Es ist müßig, sich zu fragen, ob Perry und Dick die Clutters auch dann ermordet hätten, wenn sie einen Tresor mit Bargeld gefunden hätten. Wahrscheinlich schon. Denn bei ihrer Rückkehr von Mexiko halten sie ein Auto an mit der festen Absicht, den Fahrer zu erdrosseln. Und nur ein Zufall rettet den Mann vor dem fast sicheren Tod.

Auch dies deutet auf die Verkehrtheit des american dream, das Absurde, ja Perverse dieses Traums hin. Während die Clutters, eine wohlhabende Familie, diesen Traum lebten und dafür sterben mussten, müssen Perry und Dick dafür sterben, dass sie ihn für bare Münze nahmen. Ihr kaltblütiger Individualismus ist die Konsequenz dieses Traums, so, wie das Wohlergehen der Clutters auf ihrer Farm die Früchte dieses Traums für eine Minderheit darstellten. Es ist diese sich selbst bis zum Zerbersten treibende Spannung zwischen den Gewinnern und den Verlierern des Traums, die Brooks (und analog wohl Capote in seinem auf Tatsachen beruhenden Roman) in nüchternen, manchmal fast dokumentarisch ernüchternden Bildern eingefangen hat.

Erst zum Schluss, während der Hinrichtung, löst sich diese Spannung in der Frage, warum die Clutters und warum Perry und Dick sterben mussten. An dieser Stelle ist dies zweifelsfrei weder eine scholastische Frage, noch eine nach der Schuld. Die Schuldfrage ist geklärt, zumindest in einem strafrechtlichen Sinn. Nein, jetzt geht es nicht mehr um Schuld, sondern um den Sinn dessen, was passiert ist. Ein Polizist und ein Journalist fragen danach, was sich eigentlich durch den Mord und die Hinrichtung ändern würde. Nichts, rein gar nichts, ist die lapidare, erschütternde und – wenn man so will – kaltblütige Antwort. Wie anders sollte auch eine Antwort ausfallen in Bezug auf einen kaltblütigen Mord und eine kaltblütige staatliche Hinrichtung? Die Hilflosigkeit, die sich in dem Geschehen vermittelt, resultiert unmittelbar aus einer gelebten Ideologie, die ihre eigenen Voraussetzungen, Bedingungen und Konsequenzen nicht anerkennen will. Dass Perry und Dick fast ruhig in den Tod gehen und selbst dann noch auf eine bessere Welt im Jenseits hoffen, wirkt geradezu als Festhalten an ihren verinnerlichten Vorstellungen, wie sie ein Stück vom Traum abbekommen könnten.

„In Cold Blood” wird der spezifische amerikanische Individualismus als soziales Organisationsprinzip, wird seine Widersprüchlichkeit, bloß gelegt – radikal. Dass Brooks an Originalschauplätzen drehte, auch im Haus der Clutters, unterstützt den Realismus des Films, der durch die exzellente Musik von Quincy Jones den Touch eines film noir erhält. Brooks Film erntete Protest von Leuten, die ihm Sympathie für die Täter vorwarfen und in der Art der Inszenierung gar eine Entschuldigung für die Morde sahen. Doch diese Interpretation ist offensichtlicher Unsinn, geäußert von Leuten, die mit allen Mitteln an der Todesstrafe festhalten wollten. Gerade in der erschütternden Schlusssequenz des Films kommt eben nicht nur zum Ausdruck, wie sinnlos diese in die Neuzeit katapultierte mittelalterliche Strafe ist, die am Racheprinzip orientiert ist, sondern auch wie es zu solchen Verbrechen kommt.

© Bilder: Columbia Tristar


 

Kaltblütig-Dick verhaftet
Kaltblütig-Perry verhaftet