Kletter-Ida
(Klatretøsen)
Dänemark, Schweden, Norwegen 2002, 87 Minuten
Regie: Hans Fabian Wullenweber

Drehbuch: Nicolai Arcel, Erlend Loe
Musik: Magnus Dahlberg, Bjørn Vidø
Director of Photography: Jacob Kusk
Montage: Mikkel E.G. Nielsen
Produktionsdesign: Peter Grant, Hummer Høimark

Darsteller: Julie Zangenberg (Ida), Stefan Pagels Andersen (Sebastian), Mads Ravn (Jonas), William Haugaard Petersen (Max), Lars Bom (Idas Vater), Nastja Arcel (Idas Mutter), Anders W. Berthelsen (Wächter), Jens Brygman (Bankdirektor Hartmann), Janus Nabil Bakrawi (Carlos Fernandez), Casper Jexlev Fomsgaard (Johnny)

Gelungener Action-Film nicht nur für Kinder

Julie Zangenberg, die Hauptdarstellerin des Films „Klatretøsen“, erinnert mich an meine zwei Töchter. Da ich außerdem ein unverbesserlicher Liebhaber von Kinder- und Jugendfilmen bin, soweit sie spannend und gut gemacht sind, kann ich nur eine voreingenommene Kritik an dem neuen dänisch-schwedisch-norwegischen Film von Hans Fabian Wullenweber schreiben. Das dürfte wohl klar sein. Oder? Im Ernst. Ich habe die große Befürchtung, dass der Kauf der Rechte an diesem Film durch Twentieth Century Fox zwecks eines Hollywood-Remakes ein Schuss in den Ofen wird. Das kann allerdings dem jetzt in den Kinos angelaufenen Film wiederum nichts anhaben. Julie Zangenberg ist – gelinde gesagt – einfach ein Hammer (wie meine Töchter)! Die Idee zu diesem Film ist einfach und doch so gut umgesetzt, dass sie den Action-Stars aus dem fernen und doch so nahen Mainstream von der amerikanischen Westcoast ein Schnippchen oder zwei schlägt. Ein Action-Film (nicht nur) für Kinder, jedenfalls überzeugend, kindgerecht – der Film bekam FSK 6, zu Recht.

Ida (Julie Zangenberg) wandelt auf den Spuren ihres Vaters (Lars Bom): Sie klettert unheimlich gerne. Papa hatte vor neun Jahren einen Unfall beim Bergsteigen. Er stürzte tief hinab, hatte seitdem allerdings keine Probleme. Jetzt ist das anders. Eine Krankheit, wahrscheinlich durch den Sturz vor Jahren ausgelöst, lähmt ihn fast am ganzen Körper und führt unweigerlich zum Tod, wenn nicht operiert wird. Die seltene Krankheit kann in Dänemark allerdings nicht behandelt werden. Die Ärzte wissen nur einen Rat: eine Operation in Seattle in den USA. Diese Operation allerdings zahlt die Krankenkasse nicht, und sie ist teuer: 1,5 Millionen dänische Kronen. Idas Mutter (Nastja Arcel) versucht, bei verschiedenen Banken einen Kredit zu bekommen, um ihrem Mann das Leben zu retten. Vergeblich. Papa scheint verloren.

Da hat Ida eine völlig verrückte Idee. Ihre Mutter arbeitet als Sicherheitsexpertin in einer Bank, die gerade ein neues Hochhaus bauen ließ. Dort befindet sich ein mehrfach gesicherter Tresor, der nach neuesten Sicherheitsstandards geschützt sein soll. Wenn sie aus ihrer Mutter einige Informationen über das Sicherheitssystem herausbekommen würde, könnte man sich das Geld in dieser Bank holen. Das würde niemand weh tun, Hauptsache Papa kann gerettet werden.

Zusammen mit ihren beiden Freunden Jonas (Mads Ravn) und Sebastian (Stefan Pagels Andersen) macht sich Ida an die Arbeit. Man braucht einen Lageplan, Mads muss lernen, wie man mit Rottweilern umgeht, die als Wachhunde in der Bank eingesetzt werden, zudem kennt er sich mit Computern aus – hilfreich, um die Videoüberwachung in der Bank zu manipulieren, und Jonas muss Ida helfen, in den im Innern der Bank 30 Meter hoch über dem Boden aufgehängten Tresor zu gelangen. Nur ein Problem haben die drei: Am Tag des geplanten Coups, an dem eine Betriebsfeier stattfinden soll, will Mama, die natürlich nichts ahnt, dass Ida auf den kleinen Bruder William aufpasst. Also muss William Hosenscheißer eben mitgenommen werden ...

„Kletter-Ida“ lockte in Dänemark mehr Menschen ins Kino als „Harry Potter“ – und das zu Recht. Ohne digitale Effekte respektive Spielereien, ohne sonstige Tricks und Schliche, setzten Hans Fabian Wullenweber und sein Team voll auf Darsteller und Geschichte – mit grandiosem Erfolg. Man mag einwenden, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass eine Zwölfjährige eine Hochsicherheits-Bank ausrauben könne. Aber darauf kommt es hier überhaupt nicht an. Ida, einfach umwerfend und natürlich gespielt von Julie Zangenberg, hat nur eines im Sinn: ihr Papi darf nicht sterben. Allein die Vorbereitungen auf den Banküberfall sind köstlich und mit viel Humor inszeniert. Jonas muss bei einem Hundedresseur lernen, wie man mit Rottweilern umgeht. Er und Sebastian, der seine Kenntnisse über Frauen aus entsprechenden Zeitschriften bezieht, sind in Ida verliebt. Darum streiten sie sich dauernd und gefährden den Coup. Aber Ida hat auch für diesen Fall eine gelungene Idee.

Geradezu akribisch bereitet Ida alles vor, geht mit ihrer Mutter in die Bank, schaut sich alles genau an, versucht, an das General-Passwort heranzukommen, indem sie ihre Mutter über ihre Kindheit ausfragt, was ihr in ihrer Kindheit wichtig war, beobachtet, wie sie und der Bankdirektor (Jens Brygman) ihre geheimen Zahlencodes eingeben, und so weiter. Dann geht’s an die Durchführung des Bankraubs. Ida klettert, das kann sie. Jonas manipuliert im Zimmer des Bankdirektors die Videoüberwachung. Am Ende gibt es noch eine atemberaubende Verfolgungsjagd: Polizeiwagen verfolgen Gokarts.

„Kletter-Ida“ enthält alles, was einen überzeugenden Action-Film ausmacht. Rührseligkeit kennt der Film nicht. Ida kämpft für ihren Vater, ohne dass unnötig auf Tränendrüsen gedrückt wird. Das macht die Geschichte glaubhaft.

Bis in die Nebenrollen hat Wullenweber seinen Film exzellent besetzt. Der Bankdirektor ist eben ein Bankdirektor, doch einer mit Herz am richtigen Fleck. Die beiden Wächter, die die Bank per Video überwachen, sind zum Schießen komisch. Und die beiden Freunde Sebastian und Jonas lassen sich (mehrmals) von Ida hinters Licht führen (allerdings liebevoll und ohne böse Absicht).

Das ist Kinder- und Familienkino, wie man es gerne sieht. Und auch das unvermeidliche Happyend erscheint in einem plausiblen Licht, weil der Film auf jedwede Klischees verzichtet und seinen Mimen freie Hand lässt. Einer der besten Kinderfilme, die mir zu Gesicht gekommen sind. Bravo!

© Bilder: MFA-Filmdistribution