Land of Plenty
(Land of Plenty)
USA 2004, 123 Minuten
Regie: Wim Wenders

Drehbuch: Michael Meredith, Wim Wenders
Musik: Nackt, Thom
Director of Photography: Franz Lustig
Montage: Moritz Laube
Produktionsdesign: Nathan Amondson

Darsteller: Michelle Williams (Lana), John Diehl (Paul), Shaun Toub (Hassan), Wendell Pierce (Henry), Richard Edson (Jimmy), Burt Young (Sherman), Yuri Elvin (Officer Elvin), Jeris Poindexter (Charles), Rhonda Stubbins White (Dee Dee), Bernard White (Youssef), Gloria Stuart (alte Dame), Golan Ramras (Shlomo)

Ein allzu verstellter Blick auf die Staaten

„Don’t really know who sent me
To raise my voice and say:
May the lights in The Land of Plenty
Shine on the truth some day.

I don’t know why I come here,
Knowing as I do,
What you really think of me,
What I really think of you.” (1)

Welchen Blick können wir wählen? Den Blick auf ein Land, in ein Land, aus einem Land heraus über dieses Land? Wo stehen wir dabei? In ihm, außerhalb? Spüren wir überhaupt Nähe, wenn wir auf Distanz gegangen sind?

Wim Wenders „Zwischen-Film”, den er, weil sich der Drehbeginn zu „Don’t come knocking” verschoben hatte, in gerade mal 16 Tagen abdrehte, ist ein Film über Amerika, über die Staaten, über den gegenwärtigen Zustand in the land of the free, sozusagen eine Art Gegenstück eines in Amerika lebenden Deutschen zu den Filmen des sich als Patrioten verstehenden Michael Moore gegen die Bush-Ära. Doch während bei Moore W. Bush oder sein „Waffenfreund” Charlton Heston die Hauptrollen spielen, in einer Art plakativen, oft simplifizierenden, provozierenden, manchmal auch peinlich oberflächlichen Art und Weise, ist „Land of Plenty” eher so eine Art verzweifelter und gescheiterter Versuch, ganz Amerika sozusagen auf einmal „in den Griff zu bekommen”.

Das beginnt bei den Bildern und endet nicht bei den Dialogen. Die Bilder. Slums, Wohncontainer, ein paar Wolkenkratzer, die Gegend außerhalb von L.A. – all das ist auf eine künstlich wunderschöne Art , so präsentierend unecht fotografiert und hier und da von rotem Sonnenlicht „zurecht gemacht”, die dem Betrachter zweierlei vermitteln soll: „das Elend” und „das Positive”. Es passt zusammen: die schier unglaublich simplen Dialoge („Die Opfer wollen bestimmt nicht, dass in ihrem Namen noch mehr Menschen sterben”, so Lana am Schluss des Films in Erinnerung an die Opfer vom 11.9.), die „überwältigenden” Bilder, die beiden Hauptpersonen des Films und die nahezu klassisch-klischeehafte Story zweier so unterschiedlicher Charaktere, die in Wahrheit gar keine sind.

„For the millions in a prison,
That wealth has set apart –
For the Christ who has not risen,
From the caverns of the heart –

For the innermost decision,
That we cannot but obey -
For what’s left of our religion,
I lift my voice and pray:
May the lights in The Land of Plenty
Shine on the truth some day.” (1)

Wir befinden uns in Los Angeles. Dort treibt der Vietnam-Veteran Paul (John Diehl) eine Art privaten Geheimdienst. Überzeugt davon, dass nach dem 11.9. überall Terroristen neue Attentate, Anschläge etc. vorbereiten, nimmt er in den armen Gegenden von L.A. vor allem Araber oder arabisch aussehende Menschen unter die Lupe. Eigens dazu hat er seinen Kleinbus zu einer Abhörzentrale ausgebaut. Alles, was ihm verdächtig vorkommt – und es gibt praktisch kaum etwas, was ihm nicht verdächtig ist –, protokolliert er per Mikrophon. Jimmy (Richard Edson), ein nicht gerade sehr heller Bursche, so scheint es jedenfalls, hilft ihm dabei, indem er beispielsweise Informationen aus dem Internet besorgt. Unter Beobachtung steht gerade ein Mann mit Turban, Hassan (Shaun Toub), der – sehr verdächtig – Pappkartons mit Borax transportiert. Und Jimmy soll nun herausfinden, ob man Borax für die Herstellung von Sprengstoff nutzen kann.

Zur gleichen Zeit trifft in L.A. Lana (Michelle Williams) ein, die Nichte von Paul, die lange Zeit in Israel und Afrika gelebt hatte, weil dort ihre Eltern gearbeitet haben. Jetzt ist sie zurück. Doch anstatt ein Studium aufzunehmen, begibt sie sich in eine dieser Missionen in den Armenvierteln, die sich um Obdachlose kümmern. Henry (Wendel Pierce), der die Mission leitet, freut sich über jede Unterstützung bei der Armenhilfe. Zugleich sucht Lana aber auch ihren Onkel, um ihm einen Brief ihrer todkranken Mutter zu überbringen.

Lana und Paul werden schließlich Zeugen eines Mordes. Auf offener Straße wird Hassan aus einem Auto heraus erschossen. Lana beschließt, nach Verwandten Hassans zu suchen, um ihm zumindest eine würdige Beerdigung zuteil werden zu lassen. Denn arme Leute wie er werden, so erzählt Henry, zumeist verbrannt und in einem Massengrab verscharrt. Auch Paul hat Interesse, Informationen über den Ermordeten zu bekommen. Denn er vermutet natürlich Hintermänner des Terrorismus.

So begegnen sich Lana und Paul wieder und suchen gemeinsam nach Youssef (Bernard White), dem Bruder Hassans, der außerhalb der Stadt leben soll.

Wenders präsentiert uns eine junge Frau, voll christlich motiviertem Idealismus, mit persönlichen Erfahrungen aus Afrika und dem Nahen Osten, die schnurstracks ihre Sympathien für die Armen der Welt in L.A. an den Mann und an die Frau bringen will. Lana, eine Art Zerrbild einer idealistischen jungen Frau, wird von Michelle Williams verkörpert. Aber „verkörpert” ist eigentlich nicht das richtige Wort. Man merkt sehr schnell, dass Wenders uns hier einen Typus von Menschen verkaufen will. Die Armenküche, die Predigten Henrys, der die Mission leitet, die Bilder von den ärmlichen Verhältnissen, in denen diese Menschen leben, all das erscheint in „Land of Plenty” wie der Blick eines hochgebildeten Europäers auf ein Land, das es (schlimm genug) so weit gebracht hat, dass 40 Millionen Amerikaner zu diesen Armen gehören. Das Plakative, Demonstrative, dieses Hinzeigen, dieses Mit-dem-Kopf-drauf-Stoßen, das den Film durch und durch bis zum Schluss beherrscht, ist jedoch leider nur der sehr oberflächliche Blick eines Regisseurs, der nicht Bilder sprechen lassen will, sondern eine fiktive Demonstration veranstaltet.

Auch die Figur des Paul ist aus diesem Holz. Was hätte man aus dieser Figur eines zum Teil depressiven, vor allem aber unter einer Art Verfolgungswahn leidenden Mannes alles machen können! Paul ist im Grund ein harmloser Zeitgenosse, wahrscheinlich durch nie verheilte Kriegserlebnisse in eine Art Wahnsinn getrieben, der ihn überall, verstärkt durch die Anschläge des 11.9, Terroristen und Schläfer sehen lässt. Doch anstatt die bittere Selbstironie, die in einer solchen Figur eben auch steckt, weidlich auszuschlachten, plätschert das Spiel John Diehls weitgehend zwanghaft und lahm vor sich hin, so, als ob dem Schauspieler die Zügel angelegt worden wären (auch wenn Diehl das beste aus der Rolle macht und einige gute Szenen hat). Nur wenige Momente lassen die Chance spüren, die in dieser Figur gelegen hätten, etwa wenn er in Kampfmontur in eine Wohnung einbricht und eine harmlose ältere Dame zwar nicht erschreckt, aber dennoch mit seiner Verkleidung überrascht.

„I know I said I’d meet you,
I’d meet you at the store,
But I can’t buy it, baby.
I can’t buy it anymore.

And I don’t really know who sent me,
To raise my voice and say:
May the lights in The Land of Plenty
Shine on the truth some day.” (1)

Paul und Lana verkörpern eben nicht das jetzt in aller Munde befindliche gespaltene Amerika zwischen Öl, Geld, Macht, protestantischem Fundamentalismus und stockkonservativer Ideologie und Praxis einerseits, Liberalismus, bitterster Armut und sozialer Isolation auf der anderen Seite. Wenn überhaupt repräsentieren beide den verstellten, verklärten und zugleich sehr europäischen Blick auf die Staaten, einen Blick, der uns eben nicht näher an dieses Land heranführen kann.

Und es ist keineswegs ein Zufall, dass Wenders diesen Film dort enden lässt, wo er nur am schlechtesten hätte enden können: in New York, dort, wo die Twin Towers standen. Die Naivität und moralinsaure Mentalität dieses Films sind eben nicht einer jahrelangen Präsenz des Regisseurs in den Staaten geschuldet, sondern einer gewollten Distanz zum selbst gewählten Gegenstand des Films. Ein unverstellter, sich nähernder Blick auf das konservative Amerika hätte dem Film wesentlich besser getan. Aber um dies zu bewerkstelligen, hätte man sich in die Höhle des Löwen wagen müssen. In einer Fernsehsendung äußerte Wenders: Wenn Bush wiedergewählt würde, gäbe es in vier Jahren kein Amerika mehr; es sei auf dem Weg in den Totalitarismus. Mit solchen plakativen und realitätsfernen Aussagen korrespondiert die Geschichte, die er in „Land of Plenty” erzählt. Dabei geht es gar nicht darum anzuzweifeln, dass es im protestantischen Fundamentalismus – wie in jedem Fundamentalismus – totalitäre Tendenzen gibt und diese in W. Bush ihren Repräsentanten gefunden haben. Dies jedoch auf das ganze Land zu erstrecken, grenzt dann doch an Phantasien, die den Blick auf ein Land letztendlich versperren.

„I don’t know why I come here,
knowing as I do,
what you really think of me,
what I really think of you.

For the innermost decision
That we cannot but obey
For what’s left of our religion
I lift my voice and pray:
May the lights in The Land of Plenty
Shine on the truth some day.” (1)

Wenders Sympathie sowohl für Lana, als auch für Paul, der ja eigentlich ein gutes Herz hat und niemandem wirklich was zuleide tut, ist die Sympathie für zwei Kunstfiguren, die leider mit wirklichen und wirkenden Menschen kaum etwas zu tun haben. Möglicherweise sieht Wenders in beiden auch zwei Opfer einer Welt, mit der sie – jugendlicher Idealismus hier, Verfolgungspsychose dort – nicht mehr anders fertig werden können. Anstatt jedoch wirklich eine Geschichte zu erzählen, gibt Wenders nur wieder, was er denkt. Gerade in der Schlusssequenz an Ground Zero deutet sich daher auch an, dass der Film am Ende nicht weiter ist als zu Beginn.

„Land of Plenty” ist, trotz (oder gerade wegen) seiner kunstvoll schönen Bilder, ein Film, der eben nicht durch die Bilder wirkt, sondern durch eine „Auffassung”, die der Regisseur demonstrativ, oft auch mit der Moralkeule eintrichtern will. Da hat Wenders schon bessere Filme gedreht.

(1) Leonard Cohen: „Land of Plenty”