Lawrence von Arabien
(Lawrence of Arabia)
Großbritannien 1962, 218 Minuten
Regie: David Lean

Drehbuch: Robert Bolt, nach Aufzeichnungen von T. E. Lawrence
Musik: Maurice Jarre
Director of Photography: Freddie Young
Montage: Anne V. Coates
Produktionsdesign: John Box

Darsteller: Peter O’Toole (T. E. Lawrence), Alec Guinness (Prinz Feisal), Anthony Quinn (Auda abu Tayi), Jack Hawkins (General Allenby), Omar Sharif (Sherif Ali), José Ferrer (türkischer Bey), Anthony Quayle (Colonel Brighton), Claude Rains (Mr. Dryden), Arthur Kennedy (Jackson Bentley)

Grandios ...

„Die Geschichte auf diesen Seiten ist
nicht die Geschichte der arabischen Bewegung,
sondern die meiner Beteiligung daran. Es ist
die Erzählung des täglichen Lebens,
unbedeutender Geschehnisse kleiner Menschen.
Hier gibt es keine Lektionen für die Welt, keine
Enthüllungen, um die Menschen zu schockieren.
Sie ist voll von trivialen Dingen, zum Teil deshalb,
dass niemand die Überreste, aus denen ein Mann
eines Tages Geschichte machen könnte, fälschlich
für Geschichte hält, und zum Teil wegen des
Vergnügens, das ich bei der Erinnerung an
meine Beteiligung an dieser Revolte hatte.” (1)

Alles um E. T. Lawrence scheint Mythos. Schon zu seinen Lebzeiten, als der amerikanische Journalist Lowell Thomas (im Film die Rolle Jackson Bentley) in unzähligen Vorträgen den britischen Hobby-Archäologen, Schriftsteller und Agenten als wahren König von Arabien feierte, wurde Lawrence zum Helden gekürt, um den sich viele, natürlich auch unwahre Geschichten rankten. Demgegenüber erscheinen Lawrence eigene Aufzeichnungen über seine Erlebnisse im arabischen Raum während des ersten Weltkriegs geradezu nüchtern und von einer geradezu gewollten Sachlichkeit geprägt, die ihn selbst fast über jeden Zweifel erhaben erscheinen lassen. Diese Aufzeichnungen, deren erste Fassung er 1919 in Ägypten verloren hatte, erschienen 1926 (neu verfasst) unter dem Titel „Die sieben Säulen der Weisheit”. Lawrence, der so manche lebensgefährliche Situation während seiner Beteiligung an arabischen Aufständen gegen die Türken überstanden hatte, starb 1935 im Alter von nur 46 Jahren an den Folgen eines Motorradunfalls.

Mit dieser Szene seines Todes, einem Tod, der so gar nicht zu seinem Leben zu passen schien, beginnt auch der Film des britischen Regisseurs David Lean. Lean, der u.a. so großartige Meisterwerke des Kinos wie „Oliver Twist” (1948), „Die Brücke am Kwai” (1957) und „Dr. Schiwago” (1965) geschaffen hatte, war gewarnt worden, einen solchen Film ins Auge zu fassen – mögen es politische oder sonstige Einwände gewesen sein. Lean wollte seinem Film „Die Brücke am Kwai” ein weiteres Meisterwerk folgen lassen. Und – um es vorwegzunehmen – es gelang ihm. Auch wenn „Lawrence of Arabia” an vielen Stellen von den Fakten der Biografie E. T. Lawrence abweicht, gelang Lean eine klassische Tragödie von meisterhafter Brillanz.

Lawrence (Peter O’Toole), ein zunächst bedeutungsloser Mitarbeiter der britischen Behörden in Kairo, wird aufgrund seiner Kenntnisse des arabischen Raums und der arabischen Bevölkerung während des ersten Weltkrieges für einem Sonderauftrag ausgewählt. Er soll Kontakt mit Prinz Feisal (Alec Guinness) aufnehmen, um die Lage unter den arabischen Stämmen zu erkunden, deren Länder weitgehend von den Türken okkupiert sind, die wiederum an der Seite des Deutschen Reiches kämpfen. Zugleich spekulieren die Briten – politischer Vertreter in Kairo Mr. Dryden (Claude Rains) – (wie auch die Franzosen) auf eine Aufteilung des arabischen Raumes nach einem gewonnen Krieg unter die europäischen Großmächte. Viele der heutigen Grenzen im Norden Afrikas und im Nahen Osten sind noch immer Ergebnis dieser Aufteilung nach 1918. Hinzu kam lediglich nach dem zweiten Weltkrieg die Errichtung des Staates Israel in Palästina.

Lawrence begibt sich auf einem Kamel mit einem arabischen Mann in Begleitung zu Prinz Feisal. Und schon bald wird ihm deutlich, was dem Kampf der arabischen Völker gegen die Türken im Wege steht: Die Zersplitterung der Araber in einzelne Stämme, die sich bekriegen und äußerst unterschiedliche Interessen zu verfolgen scheinen. Auf dem Weg zu Feisal trifft er auf Sherif Ali (Omar Sharif), der Lawrence arabischen Begleiter tötet, weil der einem anderen Stamm angehört und aus Alis Brunnen getrunken hat.

Er lernt den überaus intelligenten Feisal kennen, und der erkennt, dass Lawrence ein ebenso schlauer Fuchs ist, der seinen Interessen durchaus nützlich sein kann. Und Lawrence, der einerseits bemüht ist, verschiedene arabische Stämme im Kampf gegen die Türken zu einen und für eine gemeinsame arabische Sache zu gewinnen, schlägt dem Prinzen ein Unternehmen vor, das viele – auch die Engländer – für unmöglich halten: die strategisch wichtige und von den Türken besetzte Stadt Aqaba am Golf von Aqaba – die östliche Grenze der Sinai-Halbinsel – vom Land her zu erobern – ein mühevolles und lebensgefährliches Unterfangen, denn man muss durch die unvorstellbare Hitze der Wüste Nafud, die noch niemand lebend durchkreuzt zu haben scheint.

Lawrence, Sherif Ali und der auf Raubzüge „spezialisierte” Auda abu Tayi (Anthony Quinn), den Lawrence für das Unternehmen gewinnt und der einen anderen Stamm anführt, gelingt es, Aqaba zu erobern, vor allem auch, weil die Türken ihre Kanonen auf das Meer gerichtet haben und die Kanonen nicht landeinwärts gedreht werden können. Lawrence wird zum Helden für die arabischen Stämme und zum einzigartigen Strategen für die Engländer, die ihn nun dazu bewegen wollen, die Araber gegen Damaskus zu führen, während die Engländer selbst versuchen wollen, Jerusalem zu erobern, um die Türken endgültig aus dem Nahen Osten zu verdrängen ...

„Wir alle waren überwältigt, wegen der
Weite des Landes, des Geschmacks des
Windes, des Sonnenlichts und der
Hoffnungen, für die wir arbeiteten. Die
Morgenluft einer zukünftigen Welt
berauschte uns. Wir waren aufgewühlt
von Ideen, die nicht auszudrücken und
die nebulös waren, aber für die gekämpft
werden sollte. Wir durchlebten viele
Leben während dieser verwirrenden
Feldzüge und haben uns selbst dabei
nie geschont; doch als wir siegten und
die neue Welt dämmerte, da kamen
wieder die alten Männer und nahmen
unseren Sieg, um ihn der früheren Welt
anzupassen, die sie kannten.” (1)

Diese „äußeren” historischen Fakten sind das Kleid, in das Lean seinen Film hüllt. Doch den Film zeichnet vor allem etwas anderes aus – nicht nur eine Art Mythos, eher vielleicht die Darstellung eines geheimnisvollen Mannes, dessen Beweggründe für einen englischen Offizier und Geheimagenten jener Zeit völlig unverständlich erscheinen. Entgegen allen politischen Absichten und Kriegszielen seines Heimatlandes stellt sich Lawrence einzig auf die arabische Seite. Sherif Ali, den er anfangs (nach der Tötung seines Begleiters) zu verachten scheint, wird im Laufe der Handlung zu einem engen Freund des Engländers. Bei den Arabern steigt die Achtung vor dem „Ungläubigen”, natürlich besonders nach der Eroberung Aqabas, aber auch u.a. deswegen, weil er auf dem Weg nach Aqaba während des Marsches durch die gnadenlose Wüste zurückreitet, um einen vom Kamel gefallenen Araber vor dem Tod zu retten – und ihm dies gelingt.

Lean, der seinen Film in zwei großen Teilen inszenierte, zeigt von Anfang an die Tragik eines Mannes, der – beseelt von dem Ziel, die arabischen Völker zu einen und ihnen zur Selbständigkeit zu verhelfen – sich weder den Kriegszielen seines eigenen Landes, noch den Sitten und Konflikten der arabischen Stämme völlig entziehen kann. Den Mann, den er eben noch aus der sengenden Hitze vor dem Tod bewahrt hat, erschießt Lawrence, nachdem der Araber einen Mann aus dem Lager Auda abu Tayis umgebracht hat. Warum? Hätte jemand aus Audas Lager ihn erschossen, wäre es zu einem Blutbad, einer Fehde zwischen beiden Stämmen gekommen. Lawrence selbst ist über sein eigenes Handeln entsetzt – denn er gesteht später, dass er eine gewisse Lust am Töten empfunden habe.

Viele sehen in diesem ersten Teil des Films eher den sympathischen Lawrence und den sympathischen Teil des Gesamtwerks, während der zweite Teil weniger geliebt zu sein scheint. Doch der Schein einer Zweiteilung des Films trügt. Denn Lean legt die Figur des Lawrence von Anfang an als klassische tragische Figur an – vergleichbar durchaus einem Hamlet oder Otello. Der Unterschied zwischen den beiden Teilen des Films liegt „lediglich” im Unterschied zwischen Aufstieg und Fall der Hauptfigur. Die Widersprüchlichkeit im Fühlen des von Peter O’Toole glänzend gespielten Lawrence ist jedoch von Anfang an präsent. Sie wird nicht nur von den äußeren Faktoren des Kriegsgeschehens, Kriegsstrategien und der arabischen Kultur bestimmt, sondern eben auch von dem unbändigen Willen des E. T. Lawrence, mit allen Mitteln der arabischen Sache zum Sieg zu verhelfen – und nicht zuletzt durch die permanente Grausamkeit des Krieges, die Spuren bei Lawrence hinterlässt. (Auch die Gefangennahme Lawrence durch die Türken und seine Folterung hinterlassen Spuren.)

Während des Zuges auf Damaskus spitzt sich dies zu, als Lawrence mit unvorstellbarer Grausamkeit – und zum Entsetzen des amerikanischen Journalisten Bentley (Arthur Kennedy) und Sherif Alis – eine türkische Brigade niedermetzelt bis auf den letzten Mann. „Keine Gefangene”, lautet sein Schlachtruf.

„Die Jugend konnte siegen, aber sie
hatte nicht gelernt, den Sieg zu bewahren;
und sie war erbärmlich schwach
gegenüber dem Alter. Wir dachten,
wir hätten für einen neuen Himmel
und für eine neue Welt gearbeitet,
und sie dankten uns freundlich und
machten ihren Frieden.” (1)

Der Rückzug von Lawrence aus dem arabischen Raum, seine Rückkehr nach England, erscheinen im Film wie eine Flucht vor sich selbst. Und trotzdem lässt Lean vieles von dem, was Lawrence bewegt haben mag, offen; der Mann bleibt bis zu einem gewissen Grad ein Rätsel. Die monumentalen Aufnahmen der Wüste, die Weite, Leere, Hitze – das alles hat Lawrence fasziniert, angezogen, ja geradezu überwältigt – und Lean lässt uns diese großartigen Bilder der Wüste genießen, die uns zugleich stellenweise erschrecken. In Lawrence selbst entsteht – das vermittelt der Film auf nachdrückliche Weise – das Bild einer Einheit des Lebensraums, der Landschaft, der Menschen – eine Einheit, in der niemand anderes etwas zu suchen hat. Und es sind neben diesen phantastischen Aufnahmen – die eigentlich nur auf einer großen Kinoleinwand so richtig zu genießen sind – die Schauspieler O’Toole, Guinness natürlich, und Omar Sharif, der wie O’Toole durch diesen Film zum Star wurde, Hawkins, Ferrer und die vielen anderen, die „Lawrence of Arabia”, einer der ersten Filme, die in Super Panavision 70 gedreht wurden, zu einem immerwährenden Genuss machen.

Zugleich ist „Lawrence of Arabia” auch eine Gegenüberstellung der Träume, Phantasien und des unbändigen Willens eines Mannes, die arabischen Stämme zu einigen, einerseits und der kalten und kalkulierten Politik der Großmächte andererseits, die durch ihre späteren willkürlichen Grenzziehungen im arabischen Raum eine enorme Mitverantwortung für Konflikte tragen, die bis heute nicht überwunden sind.

Die Strapazen für Schauspieler und restliche Crew bei der Arbeit am Set (gedreht wurde vor allem in Jordanien mit tatkräftiger Unterstützung des jungen Königs Hussein) sind dem Film nicht anzusehen. In sengender Hitze mussten die Schauspieler lernen, auf Kamelen zu reiten, Schlachtszenen absolvieren und vieles mehr. Alles wirkt authentisch, nur die sengende Sonne, die während des Zuges durch die Wüste Nafud gezeigt wird, ist unecht (ein gemaltes Bild wird hier gezeigt, weil trotz aller Versuche mit Linsen u.a. ein Foto der grellen Sonne unmöglich war).

Zu erwähnen ist schließlich noch, dass Lean uns anfangs des Films, zu Anfang des zweiten Teils und am Ende minutenlang einen schwarzen Bildschirm präsentiert. In diesen drei Sequenzen hören wir nur Musik – die phantastische Musik Maurice Jarres, die das glänzende Erlebnis des Films mehr als abrundet.

(1) T. E. Lawrence: Die sieben Säulen der Weisheit, Seite 850

© Bilder: Sony Pictures.
Screenshots von der DVD.
(14. Oktober 2007)