Manhunter (1986)
Heat (1995)
The Insider (1999)
Ali (2001)
Collateral (2004)





Manhunter
(Roter Drache, auch: Blutmond oder Manhunter)
USA 1986, 119 Minuten
Regie: Michael Mann

Drehbuch: Michael Mann, nach dem Roman „Roter Drache“ von Thomas Harris
Musik: Michel Rubini, Klaus Schulze, Dave Allen, Barry Andrews
Director of Photography: Dante Spinotti
Montage: Dov Hoenig
Produktionsdesign: Mel Bourne, Jack Blackman

Darsteller: William L. Petersen (FBI-Agent Will Graham), Kim Greist (Molly Graham), Joan Allen (Reba McClane), Brian Cox (Dr. Hannibal Lecktor), Dennis Farina (FBI-Abteilungsleiter Jack Crawford), Stephen Lang (Freddy Lounds), Tom Noonan (Francis Dollarhyde), David Seaman (Kevin Graham), Benjamin Hendrickson (Dr. Frederick Chilton), Michael Talbott (Geehan), Dan Butler (Jimmy Price), Michele Shay (Beverly Katz), Robin Moseley (Sarah), Paul Perri (Dr. Sidney Bloom), Patricia Charbonneau (Mrs. Sherman)

The lacks of culture

Michael Manns erste filmische Adaption des Romans von Thomas Harris hat nicht gerade eine überwältigende Anhängerschaft gefunden. Aber so ist das mit Manns Filmen: Sie sprechen eine sehr eigene Sprache, und vor allem zählt bei ihnen das, was in der Werbebranche der „Look“ genannt wird. Der Verdacht, der Look stehe über dem Plot, ist für so manchen Betrachter dann schon fast unumstößliche Wahrheit. Aber der Look ist bei Michael Mann nie Selbstzweck. Er dient, und zwar Plot und Charakteren, so auch in „Manhunter“, den ich der Version „Roter Drache“ (2002) von Brett Ratner vorziehe.

FBI-Agent Will Graham (William L. Petersen) hat sich nach traumatischen Erfahrungen während der Fahndung nach und der Festnahme des psychopathischen Killers und Ex-Psychiaters Dr. Hannibal Lecktor (Brian Cox) aus dem Dienst zurückgezogen. Er lebt mit seiner Frau Molly (Kim Greist) und seinem Sohn Kevin (David Seaman) friedlich und abgeschieden in Florida. Sein alter Kollege beim FBI und Freund Jack Crawford (Dennis Farina) besucht ihn eines Tages und bittet ihn inständig um seine Hilfe. Ein psychopathischer Mörder hat zwei Familien bestialisch ermordet. Der Killer „arbeitet“ immer bei Vollmond, und Jack hat nur knapp einen Monat Zeit, um auf seine Spur zu kommen.

Will fühlt sich gezwungen, Crawford zu helfen, obwohl er Angst hat, wieder in eine Situation wie vor Jahren zu geraten, als er sich emotional in die Situation Lecktors hineinversetzte und darüber krank wurde. Er inspiziert das Haus der Familie, die zuletzt ermordet wurde, macht sich Notizen, besucht auch das Haus der anderen Familie und stößt dort auf ein chinesisches Glückszeichen an einem Baum, von dem aus der Mörder seine Opfer beobachtet haben muss: das Symbol für einen roten Drachen. Graham arbeitet akribisch, geht jeder noch so kleinen Spur nach, setzt die besten Experten ein, um das Profil des Täters zu ermitteln.

Das allein jedoch bringt Will nicht weit genug an eine mögliche Identifizierung des Mörders heran. Er entscheidet sich, Lecktor um Hilfe zu ersuchen, der in einem Hochsicherheitstrakt seine Strafe verbüßt. Lecktor liest die Ermittlungsakte und versucht, heimlich Kontakt mit seinem Anhänger aufzunehmen. Es gelingt ihm zudem, die Adresse von Grahams Familie durch einen verschlüsselten Text auf Klopapier an die Zahnfee – so nennen Leute vom FBI den bislang unbekannten Serienkiller, weil er in den getöteten Frauen Bissabdrücke hinterlässt – weiterzugeben.

Will und Jack versuchen, dem Unbekannten über den skrupellosen Journalisten Freddy Lounds (Stephen Lang) eine Falle zu stellen. Aber das misslingt nicht nur; Lounds wird zudem von Dollarhyde (Tom Noonan) – so heißt der Killer – gekidnappt und als brennendes Fanal dem FBI zurückgeschickt. Dollarhyde hat sich derweil mit der blinden Reba (Joan Allen), die in einem Fotolabor arbeitet, angefreundet. Die Zeit drängt und Jack und Will müssen sich einiges überlegen, um nicht die nächste Familie brutal ermordet vorzufinden ...

Mann spielt mit Farben, Schnitten, Musik und visuellen Effekten. Er inszeniert ein Drama, einen Thriller, der eine ganz andere Atmosphäre erzeugt als Brett Ratners „Roter Drachen“. Schon die Anfangsszene, die in der Schlussszene wieder aufgenommen wird, taucht Mann in Farben, die visuell Erinnerungen an die 60er Jahre hervorrufen. In der ersten Szene sitzen Will und Jack am Meer, wie in einer Werbeszene von Nivea; und tatsächlich wird hier geworben. Jack wirbt um Wills Mitarbeit. In der letzten Szene sieht man Will, Molly und Kevin wieder am Strand in denselben Farben, warme Farben, doch zugleich trügerische Farben, die ihre Wärme nur dem Umstand zu verdanken scheinen, dass sie den Schrecken übertünchen. Man hat den Horror der vergangenen Wochen hinter sich gelassen, aber am Schluss von „Manhunter“ ist so klar wie nur klar sein kann: Der Horror kann wieder kommen.

Zu diesen „friedlichen“ Farben gehört auch das Blau, mit dem eine Liebesszene zwischen Will und Molly sowie nächtliche Szenen im Haus der Grahams bedacht werden. Lecktors Zelle ist in grelles, monotones Weiß getüncht, durchbrochen nur von einigen farbigen Gegenständen, einem Buch in knalligem Lila etwa. Der Look, der „Manhunter“ damit verpasst wird, ist kein Selbstzweck. Mann hat immer versucht, die Bedeutung von Werbung für unsere Kultur auf einer anderen Ebene zu diskutieren bzw. zu visualisieren, als dies üblicherweise geschieht (z.B. auch in „The Insider“, 1999, „Heat“, 1995, und „Ali“, 2001). Werbung eben nicht nur als Werbung, sondern als eine auch außerhalb davon stehende Eigenschaft unserer Kultur, dem Authentischen eine Maske zu verpassen, weil „das Authentische“ eben „als solches“ nicht existiert. Es liegt nicht einfach verborgen hinter einer Fassade, die es nur einzureißen gilt; diese Illusion erzeigt nur der analytische Verstand. Das Authentische kann nur als eine solche „Fassade“ erscheinen, ansonsten bleibt es unsichtbar und nicht ergründbar. So, wie wir Kleider am Leib tragen, um unsere Blöße zu verdecken, kaschieren wir unser „So-Sein“. Allgemein kann man dies als Akt der Zivilisierung bezeichnen, der vor allem für die „anthropologischen Konstanten“ in unserer Kultur gilt. Wir „zwängen“ unsere elementaren Bedürfnisse und Notwendigkeiten in die Form der (zivilisierten) Kultur. Das mag jetzt negativ klingen, ist aber gar nicht so gemeint.

Sobald allerdings innere Konflikte auftreten, die dem Individuum das Leben schwer machen, und Emotionalität sich in psychischen Sackgassen verfängt, kommen wir an einen Punkt, an dem Entscheidungen gefragt sind: Kann ich destruktiven Tendenzen widerstehen, sie in den Griff und Begriff bekommen und mit ihnen leben, ohne dass sie mich letztlich zerstören, oder reagiere ich psychopathisch. Diese Entscheidung kann nie rein auf den einzelnen und vom einzelnen getroffen werden; dazu sind wir zu sehr in Gesellschaft. Die psychopathische Reaktion ist der („krankhafte“) Versuch, das Authentische in einer Art Rückgriff auf Urgewalten, das Archaische, bar jeder Kaschierung durch Kultur zurückzugewinnen. Das kann nur gewaltsam versucht werden.

Lecktor ist die intellektuelle Antwort auf die lacks of culture. Welche Gründe ihn dazu treiben, bleibt verborgen. Dollarhyde rächt sich an immer den gleichen Frauentypen für Lacks in seiner Biografie (Verhältnis zur Mutter). Sein Verhältnis zu den beiden Frauen, die er tötet, ist zwiespältig: Er will sie (das heißt seine Idee von Frau) lieben und von ihnen geliebt werden. Aber er kann sie nicht lieben, weil sie ihn nicht lieben (analog seiner Mutter). Und dann trifft er auf Reba, die er sehen kann, die ihn – weil blind – aber nicht sehen kann. „Die Sehnsüchte liegen in den Spiegeln verborgen“, erkennt Will Graham, als er die Glasscherben findet. Dollarhyde wollte sich in seiner Mutter spiegeln, das bedeutet, seine Individualität anerkannt sehen durch den ersten Menschen, der einem Kind etwas bedeutet. Diese unabdingbare Voraussetzung und Bedingung von Menschsein, Subjekt sein, ist bei Dollarhyde nicht erfüllt worden. Er entwickelt unendlichen Hass und unendliches Verlangen zugleich. In Reba glaubt er für kurze Zeit, der Möglichkeit, seine Sehnsüchte stillen zu können, näher zu kommen. Er erfüllt Reba einen Traum: Sie streichelt einen betäubten Tiger, dem ein Zahn gezogen werden soll. So, wie für Reba das gefährliche Raubtier zu einem zeitweilig harmlosen Kätzchen wird – Reba bezwingt die Wildheit –, ist die blinde Reba – so scheint es – kurzzeitig für Dollarhyde die ungefährliche (weil blinde) Frau, die reine, authentische, unschuldige Frau – er bezwingt die „Frau als Idee“. Als er Reba mit einem Kollegen an der Haustür sieht – sie küssen sich zum Abschied –, zerbricht für Dollarhyde diese Möglichkeit. Es bleibt für ihn nur noch die Gewalt. Die „Idee der authentischen Frau“ zerbricht als vertrackte Illusion.

Will Graham kennt diese psychopathische Reaktion, nicht aus Lehrbüchern, sondern weil er sich in die Gefühlswelt von Lecktor und Dollarhyde hineinversetzt hat. Graham steht auf der „Kippe“. Er kennt das Risiko, in das er sich begibt; er weiß um die Gefahren für seine Familie. Er wird mit den Fragen seines Sohnes konfrontiert, der Angst hat, als er aus den Zeitungen erfährt, dass sein Vater in psychiatrischer Behandlung war. Die Angst dringt ein in die Familie Graham.

Lecktor (hier statt Lecter) bleibt – im Gegensatz zu der Trilogie „Das Schweigen der Lämmer“, „Roter Drache“ und „Hannibal“ – in „Manhunter“ scheinbar im Hintergrund. Das hat seinen Grund darin, dass Michael Mann zwar mit Elementen des Thrillers und Horrors arbeitet, aber die psychologische Tiefe in den Vordergrund stellt. Lecktor bleibt auch in diesem Film eine zentrale Figur, weil er die Fäden zieht und Dollarhyde, seinen „Fan“, kontaktiert und ihm die Adresse der Grahams verschlüsselt mitteilt.

„Manhunter“ ist ganz anders strukturiert als Ratners „Roter Drache“, der vor allem Horror und Thriller ist. Mann inszeniert Horror und Furcht, Schrecken und Angst als Permanenz. Die Schlusssequenz des Films – die Familie Graham am Meer in den bunten Farben, die wieder an den Look von Werbung erinnert – ist nur ein bedingtes Happyend. Der Horror ist bei Mann zeitlos und lauert weiterhin, noch unbekannt, noch nicht wieder personifiziert, aber in Wartestellung. Dollarhyde wird einen Nachfolger haben. Ein trügerischer Frieden.



Heat
USA 1995, 171 Minuten
Regie: Michael Mann

Drehbuch: Michael Mann
Musik: Michael Brook, Brian Eno, Elliot Goldenthal, Moby, Terje Rypdal
Director of Photography: Dante Spinotti
Montage: Pasquale Buba, William Goldenberg, Dov Hoenig, Tom Rolf
Produktionsdesign: Neil Spisak

Darsteller: Al Pacino (Vincent Hanna), Robert de Niro (Neil McCauley), Val Kilmer (Chris Shiherlis), Jon Voight (Nate), Tom Sizemore (Michael Cheritto), Diane Venora (Justine), Amy Brenneman (Eady), Ashley Judd (Charlene), Natalie Portman (Lauren)

Ein Teufelskreis

Wer die Filme von Takeshi Kitano (etwa „Sonatine”) kennt, wird sich bei „Heat” vielleicht an diesen japanischen Regisseur der Extraklasse erinnert fühlen. Wie Kitano schildert Michael Mann eine gefährliche, bedrohliche und zugleich in sich verlorene Welt. „Lass nichts an dich ran, was du nicht problemlos in dreißig Sekunden zurücklassen kannst, wenn du merkst, der Boden wird zu heiß.” Das scheint nicht nur Neil McCauleys (Robert de Niro) Lebensdevise zu sein; sie ist es in (fast) jeder Phase dieses packenden Actionfilms aus dem Jahr 1995, in dem de Niro und Al Pacino ihr Bestes geben.

McCauley leitet eine Gang, zu der Michael (Tom Sizemore), Nate (Jon Voight) und Chris (Val Kilmer) gehören, die sich auf Banken, Geldtransporte und ähnliches spezialisiert haben. McCauley ist Einzelgänger, ohne feste soziale Bindungen. Selbst die Verbindung mit seinen drei Gangmitgliedern ist ausschließlich zweckgebunden, so scheint es jedenfalls. Der letzte Coup der Bande allerdings endet mit einem Fiasko: Ein in die Band aufgenommener Gangster ermordet  drei Wachmänner. McCauley ist außer sich, denn seine Devise lautet: Schießen nur im äußersten Notfall.

McCauleys Gegenüber auf seiten der Polizei ist Vincent Hanna (Al Pacino), fanatischer, aber nicht unrealistischer Detective in Los Angeles, verheiratet, eine Stieftochter. Hanna lebt ausschließlich vom Jagen, zum Verdruss seiner Frau. Hanna gibt nie auf; eine Niederlage ist für ihn nur der Beginn einer erneuten Verfolgungsjagd. Und so beginnt er, Tag und Nacht alle Indizien, Beweisketten, Informationen zu sammeln, bis er McCauley als den Hauptverdächtigen ausgemacht hat.

Es beginnt eine unaufhaltsame Verfolgungsjagd auf McCauley und seine Gang. McCauley muss alle Register seines Könnens ziehen, um sich dem Zugriff Hannas zu entziehen. Beide treffen sich in einem Restaurant zu einem Zeitpunkt, als Hanna noch keine stichhaltigen Beweise gegen McCauley in der Hand hat. McCauley und Hanna erklären sich gegenseitig, dass sie kein anderes Leben führen können: Beide Jäger, beide einsame Wölfe, beide vollkommen verstrickt in Gewalt. Sie sind sich letztlich sehr ähnlich, nur, dass sie auf verschiedenen Seiten stehen. Bei diesem Gespräch fällt der Startschuss zum entscheidenden Endkampf: Nur einer von beiden wird und kann überleben ...

Sicher muss man ein gewisses Faible für solche Filme haben, die von Schießereien, Morden etc. stark geprägt sind. Aber diese Gewalt ist nur Ausdruck einer bestimmten Lebensweise. Hanna ist im Grunde nichts anderes als die andere Seite der Medaille, das Spiegelbild McCauleys. Beide sind als einsame Jäger unterwegs, rücksichtslos gehen sie diesen Weg. Beide leben in einer Welt, die man „kriminalisierte Lebensweise” nennen könnte; dies ist ihr soziales Leben: der eine auf der Seite des Gesetzes, der andere auf der spiegelverkehrten Seite des Verbrechens. Beide sind unfähig, andere soziale Bindungen aufzubauen; denn dies bedeutete für Hanna wie McCauley einen gnadenlosen (oder gnadenvollen?) Abschied von der „kriminalisierten Lebensweise”. Hannas Frau, die ihren Mann liebt, ist so verzweifelt, dass sie sich einen mittelmäßigen Liebhaber besorgt. Seine Stieftochter, deren Vater sich nicht um sie kümmert, begeht einen Selbstmordversuch in der Badewanne von Hannas Hotelzimmer. Beide fordern Liebe und Zuwendung.

Genauso McCauley: Er lernt eine junge Frau kennen, die sich in ihn verliebt. In ihr sieht er eine winzige Chance, nach dem letzten großen Coup, einem Banküberfall, ein anderes Leben anzufangen. Doch er verbaut sich diesen Ausstieg aus der „kriminalisierten Lebensweise” selbst, indem er nicht umhin kann, den Mörder der drei Wachmänner, der ihn und seine Gang später verraten hat, zu töten. Das Drama spitzt sich zu in einer letzten Verfolgungsjagd zwischen den Speerspitzen der „kriminalisierten Gesellschaft”. Egal, wer dabei auf der Strecke bleibt, einer bleibt übrig und wird das Funktionieren dieser Lebensweise garantieren; der andere wird einen Nachfolger haben. Der Kreis schließt sich und kann anscheinend nicht durchbrochen werden.

Man könnte den Film daher zugleich als Abgesang auf eine „Männerwelt” interpretieren, die sich zugleich aber immer wieder reproduziert, eine Welt, die durch Gewalt vorangetrieben wird und  nicht zu durchbrechen scheint, einen Teufelskreis, bei dem alle anderen auf der Strecke bleiben: Hannas Frau, Stieftochter, McCauleys Geliebte, eine zivilisierte Gesellschaft ... Aber dieser Teufelskreis umfasst mehr Personen als nur Hanna und McCauley und ihre Helfershelfer und Freunde. Sie schließt auch diejenigen ein, die vor ihr kapitulieren, kapitulieren müssen oder nur kapitulieren können. Das Gesetz ist das Gesetz, aber es ist eben auch nur das Spiegelbild der Ohnmacht.



The Insider
(The Insider)
USA 1999, 157 Minuten
Regie: Michael Mann

Drehbuch: Eric Roth, Michael Mann, nach einem Artikel von Marie Brenner in „Vanity Fair“
Musik: Lisa Gerrard, Pieter Bourke
Director of Photography: Dante Spinotti
Montage: William C. Goldenberg, Paul Rubell, David Rosenbloom
Produktionsdesign: Brian Morris, James E. Tocci, John Kasarda, Avi Avivi

Darsteller: Al Pacino (Lowell Bergman), Russell Crowe (Dr. Jeffrey Wigand), Christopher Plummer (Mike Wallace), Diane Venora (Liane Wigand), Philip Baker Hall (Don Hewitt), Lindsay Crouse (Sharon Tiller), Debi Mazar (Debbie De Luca), Stephen Tobolowsky (Eric Kluster), Colm Feore (Richard Scruggs), Bruce McGill (Ron Motley), Gina Gershon (Helen Caparelli), Michael Gambon (Thomas Sandefur), Rip Torn (John Scanlon),

Zweikampf à la Michael Mann

Ein Geständnis zu Anfang: Michael Manns Filme, darunter „The Insider“, „Manhunter“ (1986), die erste filmische Adaption des Romans „Roter Drache“ von Thomas Harris, „Heat“ (1995), und zuletzt „Ali“ (2001) gehören zu meinen Lieblingsfilmen. Das liegt v.a. an der besonderen Art von Mann zu filmen, seinen Schnitten, seiner Musikauswahl, der spezifischen Atmosphäre, die seine Inszenierungen erzeugen.

„The Insider“ beruht auf einem Artikel der amerikanischen Journalistin Marie Brenner in der Zeitschrift „Vanity Fair“ mit dem Titel „The Man Who Knew Too Much“ über den ehemaligen Forschungsleiter des amerikanischen Zigarettenkonzerns Brown & Williamson, Dr. Jeffrey Wigand (Russell Crowe), der gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber aussagte, weil der mit unlauteren Mitteln die Wirkung des Nikotins in Zigaretten und damit die Suchtwirkung beträchtlich erhöhte.

Dr. Wigand wird entlassen. Er hatte gegen die heimliche Beimischung chemischer Substanzen im Tabak, um die Wirkung des Nikotins zu erhöhen, in einem Memorandum an den Firmenchef von Brown & Williamson, Sandefur (Michael Gambon), protestiert. Vor einem Ausschuss des Kongresses hatten Sandefur und die Direktoren anderer Zigarettenfirmen unter Eid ausgesagt, Nikotin mache nicht abhängig, so dass die Firmen auch nicht für gesundheitliche Schäden haftbar gemacht werden könnten. Wigand ist durch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung gezwungen, über die dubiosen Praktiken auch nach seiner Entlassung zu schweigen.

Lowell Bergman (Al Pacino) von der Nachrichtensendung „60 Minutes“ (CBS) kontaktiert – gerade aus dem Iran zurück – Wigand, um Informationen zu ihm zugespielten Material zu bekommen, das er nicht versteht. Dabei bemerkt er, dass Wigand offensichtlich mehr weiß, als er sagen will. Doch Bergman lässt nicht locker. Er verdeutlicht Wigand die Alternative, entweder alles zu sagen, was er weiß, oder für immer zu schweigen. Er bietet ihm an, mit dem Anwalt Richard Scruggs (Colm Feore) zusammenzuarbeiten, der in Mississippi einen Prozess gegen die Tabakkonzerne vorbereitet, um für Opfer der Nikotinsucht Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Wigand, der anfangs zögert, zumal sich seine Frau Liane (Diane Venora) von ihm abwendet, die nicht versteht, wie ihr Mann die Existenz ihrer Familie aufs Spiel setzt, fasst Vertrauen zu Bergman, der offensichtlich ehrliche Absichten hat.

In einer nicht öffentlichen Anhörung vor einem Gericht in Mississippi sagt Wigand aus. Auch die Drohungen der Anwälte der Tabakindustrie, die eine einstweilige Verfügung gegen Wigand in der Hand hat, die ihm bei Strafe untersagt, seine Verschwiegenheitspflicht zu verletzen, können ihn jetzt nicht mehr daran hindern. Bergmans langjähriger Kollege Mike Wallace (Christopher Plummer) interviewt Wigand für „60 Minutes“.

Doch für Wigand hat seine Aussage dramatische Konsequenzen. Er und seine Familie werden bedroht. Die Tabakindustrie kramt in seiner Vergangenheit und entfacht eine Schmutzkampagne gegen den Wissenschaftler. Wigands Frau, die dem Druck nicht mehr standhält, verlässt ihren Mann und reicht die Scheidung ein. Wigand denkt an Selbstmord. Und dann wird Bergman von der CBS-Rechtsabteilung erklärt, man könne das Interview mit Wigand nicht ausstrahlen, weil man einen Prozess von Brown & Williamson befürchten müsse. Wallace und der Leiter von „60 Minutes“ Hewitt (Philip Baker Hall) machen einen Rückzieher. Bergman steht allein da. Die Sache scheint auf ganzer Linie gescheitert. Und Wigand gibt Bergman die Schuld an den persönlichen Konsequenzen, die seine Aussage für ihn und seine Familie hatte ...

Michael Mann hielt sich in seiner Adaption nicht immer an die Fakten. So hatte der wirkliche Hewitt sich durch den Druck der CBS-Führung nicht auf deren Seite geschlagen, sondern war nur machtlos. Wigand wurde von der Tabakindustrie auch nicht bedroht. Und es war nicht Bergman, der das Wall Street Journal manipulierte (so schreibt es jedenfalls Roger Ebert in seiner Besprechung des Films).

Doch diese Abweichung von den Fakten ändert nichts daran, dass „The Insider“ in einer exzellenten Art und Weise in einer Mischung aus Thriller und Drama die Geschichte zweier Männer erzählt, die gegen alle Versuche der Vertuschung, des Betrugs, gegen alle Risiken und Konsequenzen für die eigene Zukunft standhaft bleiben. Sind Wigand und Bergman Helden? Mann stellt sie nicht als Helden dar. Russell Crowe, der mit Bauchansatz und grauem Haar eine im Vergleich zu seinen sonstigen Rollen ungewöhnliche Figur darstellt, und Al Pacino als nicht korrumpierbarer Journalist gehen eine schwierige Symbiose ein, wobei für beide nicht klar ist, welche Richtung die ganze Sache nehmen wird. Sie spekulieren, wägen ab, geraten sich in die Haare, Wigand steht oft am Rande der Verzweiflung. Was beide jedoch eint, ist ein tief sitzendes Gefühl, das widerwärtige Spiel der Tabakindustrie, mit chemischen Zusatzstoffen die Nikotinsucht zu verstärken, nicht widerstandslos hinzunehmen. Bergman kann es zudem nicht ertragen, dass sein eigener Sender wegen Verkaufsabsichten der CBS-Führung die Ausstrahlung des Interviews mit Wigand blockieren will.

Vieles an dieser Geschichte erinnert an Pakulas „Die Unbestechlichen“ (1976) über die beiden Journalisten der „Washington Post“, Woodward und Bernstein, die den Watergate-Skandal aufdeckten. Mann zeichnet seine beiden Hauptfiguren nicht als Helden bzw. Bergman als penetrant-skrupellosen Journalisten, der nicht locker lässt. Beide sind nicht integer aufgrund irgendeines (konstruierten) Heldenmuts. Crowe und Pacino spielen sie überzeugend als Menschen, die gar nicht anders handeln können – trotz aller Konsequenzen, die das möglicherweise nach sich zieht –, weil ihr Innerstes sie daran hindert.

Der Look des Films – überzeugend ergänzt durch die ihm eigene Auswahl an Filmmusik – ist typisch Michael Mann. Altmeister Dante Spinotti taucht die Bilder entweder in eine fast pop-moderne Atmosphäre, in ein farbenfrohes, helles Licht, oder er stellt die Figuren in eine neongetränkte düstere Umgebung, etwa wenn Wigand in seinem Hotelzimmer stumm und unbeweglich, verzweifelt an seine Kinder (und an Selbstmord) denkt.

Gefahrensituationen inszeniert Mann hier nicht über actiongeladene Abläufe. Typisch dafür ist etwa eine Szene, in der Wigand abends auf dem Golfplatz unter Scheinwerferlicht übt und ein Mann, der ihn offenbar beobachtet, ca. 50 Meter hinter ihm im Anzug den Golfball schlägt. Die Situation ist ungewiss. Wird der Mann im Anzug ihn überfallen, beobachtet er Wigand nur oder hat er mit der Sache nichts zu tun? Für Mann ist Stille ein zusätzliches Mittel, um Spannung zu erzeugen, und manchmal erinnert das an Hitchcock. Die Gegenseite, der Tabakkonzern und seine Vertreter, bleiben fast völlig im Hintergrund, werden nicht sichtbar gemacht, es sei denn über Spekulationen, die Wigand in bezug auf Verfolger hat. Es bleibt allerdings auch hier immer unklar, ob Wigand sich dies nur einbildet oder er tatsächlich observiert wird.

Pacino und Crowe stehen im Mittelpunkt dieses Thrillers, der zugleich Drama ist, und werden durch eine Reihe hervorragender Darsteller in Nebenrollen überzeugend unterstützt. Zu nennen sind hier insbesondere Christopher Plummer, der zwei, drei ausgezeichnete Auftritte absolviert, Diane Venora als Wigands Frau, Philip Baker Hall und Bruce McGill, der als weiterer Anwalt bei der Anhörung Wigands glänzt. Ein Fazit erübrigt sich angesichts solcher Begeisterung, oder? Allerdings muss man Michael Manns Art des Filmens wirklich mögen. Auch sein „Manhunter“ (1986) stieß auf ein geteiltes Echo, und seit Ratners „Roter Drache“ (2002) streiten sich die Gelehrten, welche Adaption des Harris-Stoffs denn nun besser ist. „The Insider“ ist spannend und Mann bleibt strikt bei der Devise: Geschichte und Personen sind das wichtigste, das Technische hat beiden zu dienen. Crowe und Pacino sind jeder auf seine Weise einmalig, so dass ich jedenfalls die 157 Minuten nicht als irgendwie strapaziös empfunden habe.



Ali
(Ali)
USA 2001, 156 Minuten
Regie: Michael Mann

Drehbuch: Stephen J. Rivele, Christopher Wilkinson, Eric Roth, Michael Mann, nach „Ali: Der Film und die Legende“ von Allen Howard
Musik: Pieter Bourke, Lisa Gerrard
Director of Photography: Emmanuel Lubezki
Montage: William Goldenberg
Produktionsdesign: John Myhre

Darsteller: Will Smith (Cassius Clay / Cassius X / Muhammad Ali), Jamie Foxx (Drew „Bundini“ Brown), Jon Voight (Howard Cosell), Mario Van Peebles (Malcolm X), Ron Silver (Angelo Dundee), Jeffrey Wright (Howard Bingham), Mykelti Williamson (Don King), Jada Pinkett Smith (Sonji), Nona M. Gaye (Belinda Ali), Michael Michele (Veronica), Joe Morton (Chauncey Eskridge), Paul Rodriguez (Dr. Ferdie Pacheco), Barry Shabaka Henley (Herbert Muhammad), Giancarlo Esposito (Cassius Clay, Sr.), Laurence Mason (Luis Sarria), LeVar Burton (Martin Luther King, Jr.), Albert Hall (Elijah Muhammad), Michael Bentt (Sonny Liston), Charles Shufford (George Foreman), James Toney (Joe Frazier)

Spuren zu Muhammad Ali

Michael Mann, der u.a. „Heat“ (1995) mit Al Pacino und Robert de Niro sowie „The Insider“ (1999) mit Al Pacino, Russell Crowe und Christopher Plummer drehte, wagte sich an die „Boxlegende“ Muhammad Ali, dessen Leben zwischen seinem ersten Aufstieg zum Weltmeister 1964 und seinem Comeback gegen George Foreman in Zaire 1974 im Mittelpunkt des zweieinhalbstündigen Films steht. Während der „Filmdienst“ Manns Streifen „akuten Mangel an historischer Detailinformation und filmischer Spontaneität“ bescheinigt und besonders im zweiten Teil „entdramatisierte, bis zur Langeweile überdehnte Momentaufnahmen“ bemängelt, analysiert die „Süddeutsche Zeitung“ die vermeintlichen Motive Manns, den die Enthüllung des „wahren Alis“ nicht liefere, „weil Mann an dieses Konzept nicht glaube“, sondern an „Sounds, an Bewegung, an Schnitte“. Der „Tagesspiegel“ meint, Mann habe die Wandlung des Boxers vom „unterschätzten Boxtalent zur politischen Leitfigur rekonstruieren“ wollen. Das sei Mann jedoch nicht gelungen, da der Regisseur zu ängstlich und unkritisch mit der Figur Muhammad Ali umgegangen sei. (1)

Cassius Clay scheint zu wissen, was er will. Was er will, das ist er: The Champ. 1964 steigt er in den Ring und besiegt den bis dato unbesiegten Sonny Liston (Michael Bentt). Clay ist Boxweltmeister im Schwergewicht. Clay, angefeuert von seiner Familie, vor allem seinem Vater (Giancarlo Esposito), unterstützt von seinem Trainer Angelo Dundee (Ron Silver), seiner „rechten Hand“ Drew „Bandini“ Brown (Jamie Foxx) und Howard Bingham (Jeffrey Wright), ist mit dem neben Martin Luther King wohl bekanntesten schwarzen Bürgerrechtler, der mehr als ein Bürgerrechtler war, Malcolm X (Mario Van Peebles) befreundet. Malcolm X ist Mitglied der „Nation of Islam“, die nach dem Sieg über Liston auch Clay aufnimmt. Von nun an nennt er sich auf Geheiß der Nation Muhammad Ali und bekennt sich öffentlich zum Islam.

Nicht nur das: Als die Einberufung zur US-Army ansteht, äußert sich Ali öffentlich gegen den Vietnam-Krieg. Als er von Reportern gefragt wird, was er vom Vietcong halte, erwidert Ali: Warum solle er gegen Leute kämpfen, die ihm nichts getan haben. „Kein Vietcong hat mich jemals Nigger genannt.“

Das alles hat Folgen: Nicht nur, dass Ali wegen seiner Kriegsdienstverweigerung fünf Jahre Haft drohen, zu denen er verurteilt wird, und vom CIA beobachtet wird. Auch die Boxverbände in den Bundesstaaten arbeiten daran, ihm die Lizenz zu entziehen. Alis Karriere als Boxer scheint besiegelt, seine finanzielle Situation wird immer kritischer. Sein Anwalt Eskridge (Joe Morton) will bis zum Obersten Gerichtshof gehen, um Alis Verurteilung zu kippen. Auch sein weißer Freund, der ABC-Journalist Howard Cosell (Jon Voight), der alles für ihn tun würde, ist machtlos. Als Malcolm X auf einer öffentlichen Veranstaltung ermordet wird, scheint Ali endgültig am Boden zerstört.

Ali gibt nicht auf. Der Oberste Gerichtshof spricht ihn einstimmig frei. Erst jetzt will ihn die „Nation of Islam“ wieder aufnehmen, die ihn zuvor – nach der Verurteilung und dem Entzug der Lizenz – ausgestoßen hatte. Und er gibt auch nicht klein bei, nachdem er 1971 den Kampf gegen Schwergewichtsboxweltmeister Joe Frazier (James Toney) verliert. 1974 besiegt er Frazier. Kurz danach geht er gegen den jüngeren, unbesiegten George Foreman (Charles Shufford) in Kinshasa (Zaire) in den Ring ...

Manns Inszenierung ist Geschmackssache, sie wird nicht jedem gefallen. Er erzählt in Skizzen, arbeitet mit Brüchen und vehement gegen eine psychologisierende Form von Erzählung, entzieht sich einer Methode kausaler Wirkungslogik. Als Ali im Fernsehen von der Ermordung Martin Luther Kings erfährt, durchkreuzt Mann jegliche Erwartungshaltung: Kein Wort fällt. Keine Erklärung, kein Protest. Es geschieht.

Filmtechnisch heißt dies: Mann setzt auf Zooms, spielt mit Schärfen und Unschärfen. Manchmal erscheinen die Aufnahmen wie Bilder, die auf Demonstrationen, Tumulten oder ähnlichem mit der Handkamera gedreht wurden. Die Kamera wechselt zwischen Bildern in gewohnter Perspektive und anderen, in denen alles „verschoben“ scheint, in denen der Hintergrund im Vordergrund steht, die Person im Vordergrund nur teilweise zu sehen ist. Auch die meinem Gefühl nach großartig inszenierten Kämpfe im Ring passen sich in diese Art zu drehen ein. Die Grundsätze des Dramas werden immer wieder durchbrochen, einzelne Handlungsstränge abrupt durchbrochen. Mann arbeitet mit schnellen Szenenwechseln. Der Film „befindet“ sich nicht in der Handlung, sondern kreist um einzelne Lebensstationen, ohne sich in sie im üblichen Sinne hinein zu begeben. Dabei handelt es sich weniger um eine Art Patchwork-Konstruktion, sondern eher um den Versuch, durch das Kreisen um die Erlebnisse Alis eine Art Multiperspektive zu erzeugen, die eben keine Wahrheiten über den Boxer verkündet, sondern es völlig dem Publikum überlässt, Schlüsse zu ziehen. Das beginnt schon in einer der ersten Szenen, wenn Sam Cooke vor begeistertem Publikum seinen mitreißenden Soul in einem Club zum besten gibt. Diese Szene wird immer wieder durchbrochen von anderen Ereignissen, Pressekonferenzen, Kampf im Ring, Training.

Allerdings wird diese Art des „Heraushaltens“ aus Psychologie und Logik durch einen eben auch vorhandenen roten Faden in Manns Dramaturgie konterkariert. Manns Kino setzt auf die Erfahrungen von Menschen, die, wie der Filmkritiker Jean-Baptiste Thoret geschrieben hat, „wenn sie älter werden und von der Zeit gezeichnet sind (von der Geschichte des Kinos wie von jener der USA), direkt oder im Nachhall eines Schlages einen Schock erleiden, der einen Riss erzeugt, mit dem ihre Melancholie beginnt“. Nach „außen“ ist Ali der Champ, fühlt sich permanent als der Champ, will der Champ sein – alles in einem. Ali kämpft und so paradox das klingen mag: im wesentlichen allein. Mann zeichnet Muhammad Ali als Einzelgänger, als einsamen Wolf, der nicht nur gegen seine Gegner boxt, sondern gegen sich selbst in den Ring zieht: „to be the champ I want to be, not what you want me to be“. Ali kämpft sich gegen andere und sich selbst durchs Leben, ohne zu wissen, wo er landet. Das bestimmt auch sein Verhältnis zu Frauen: dreimal verheiratet, ungebunden, „flüchtig“.

Mann geht nicht in die Tiefe, was für so manchen Zuschauer sicher als störend empfunden wird. Aber Mann arbeitet nur gegen eine gewohnte Art von „Tiefe“. Die Bilder von Kameramann Emmanuel Lubezki gleiten über die Ereignisse wie über die Oberfläche der Geschichte, ohne in sie hineinzustoßen. Bei diesem „Flug“ sammelt Mann sein Material, ordnet es entsprechend seinem „roten Faden“ und überlässt es uns, was mir damit anfangen. Die Bilder fließen und fließen, für manche offenbar ermüdend. Mich haben die 156 Minuten nicht ein einziges Mal gelangweilt.

Will Smith – hier einmal nicht Komödiant – ist nicht Muhammad Ali. Auch das wurde dem Film vorgeworfen. Will Smith – so großartig er spiele – sei nicht Ali. Richtig. Welche Erwartungen stehen hinter solchen Aussagen? Der Wunsch nach einer 1:1-Kopie? Nach einer Art filmischer Dokumentation über den größten Boxer aller Zeiten? Was Will Smith gelingt, ist eine Annäherung an die Person Alis, eine „Umkreisung“ der Person des Boxers. Und das gelingt ihm meinem Gefühl nach hervorragend. Im Gegenteil halte ich es für sehr überzeugend, dass reale Person und Filmfigur nicht in eins gesetzt werden (können). Das fördert das Interesse an der realen Person. Manns Verzicht darauf, sich einer Lebens-Dokumentation hinzugeben oder zu psychologisieren, ist die große Chance, die dieser Film selbst eröffnet: Sich mit Ali zu beschäftigen.

Ein Lob auch an Jon Voight, der den TV-Reporter Cosell überzeugend spielt, ebenso an die drei Schauspielerinnen Jada Pinkett Smith, Nona M. Gaye (die Tochter Marvin Gayes) und Michael Michele, die die drei Frauen Alis verkörpern, ebenso an die Musik.

Ungewohntes Kino, überraschenderweise kein Hollywood-Mainstream, Kino gegen Erwartungshaltungen. Wahrscheinlich stehe ich mit dieser Meinung zu „Ali“ fast gänzlich allein. Ein überzeugender Will Smith, der monatelang für den Job trainierte; und auch wenn Boxfans das eine oder andere an den Kampfszenen im Ring zu bemängeln haben (die übrigens nicht den Film beherrschen, wie einige Filmkritiker meinen), erscheint Boxen nach diesem Film in einem doch etwas anderen Licht.

Alle wollen offenbar wissen, was hinter dem vermeintlichen „Großmaul“ und „mediengeilen“ Boxer Muhammad Ali steckt. Mann liefert Spuren.

(1) Zitate nach www.angelaufen.de



Collateral
(Collateral)
USA 2004, 120 Minuten
Regie: Michael Mann

Drehbuch: Stuart Beattie
Musik: James Newton Howard, Zachary Koretz, Antonio Pinto, Tom Rothrock, Thomas Schobel, Paul Oakenfold
Director of Photography: Dion Beebe, Paul Cameron
Montage: Jim Miller, Paul Rubell
Produktionsdesign: David Wasco

Darsteller: Tom Cruise (Vincent), Jamie Foxx (Max), Jada Pinkett Smith (Annie), Mark Ruffalo (Fanning), Peter Berg (Richard Weidner), Bruce McGill (Pedrosa), Irma P. Hall (Ida), Barry Shabaka Henley (Daniel), Javier Bardem (Felix)

Max versus Vincent

Michael Mann gehört nicht zu den Regisseuren, die jedes Jahr etwas Neues auf den Markt werfen. Für mich gehören die meisten seiner Filme zu den Glanzstücken der Kinogeschichte, so etwa „Manhunter” (1986), eine vor „Das Schweigen der Lämmer” inszenierte Version der Psychopathen-Geschichte um Hannibal the Cannibal, „Heat” (1995), der die Jagd zweier Männer schildert, die sich in ihren Methoden kaum unterscheiden, nur dass der eine legal, der andere illegal handelt, „The Insider” (1999) und zuletzt „Ali” (2001), eine eigenwillige Interpretation der Geschichte des Boxers Muhammad Ali, von vielen gescholten, von mir geliebt.

In seinem jüngsten Film erzählt Mann die Geschichte zweier äußerst unterschiedlicher Männer: des Auftragskillers Vincent (Tom Cruise) und des L.A.-Taxifahrers Max (Jamie Foxx). Auffallend dabei ist zunächst, dass beide Hauptdarsteller gegen den Strich eingesetzt werden: Cruise, ansonsten Held, sympathischer Typ oder bewunderter Liebhaber, und Foxx, bisher bekannt als TV-Komödiant, etwa in seiner eigenen Fernsehshow. Dieses Experiment ist auf jeden Fall gelungen. Cruise wie Foxx spielen ihre Rollen nicht nur überzeugend; auch die Chemie zwischen beiden stimmt.

Foxx spielt den Taxifahrer Max, der seit zwölf Jahren diesen Job erledigt, jedoch davon träumt, sich irgendwann einmal eine Limousine anzuschaffen, um Prominente durch L.A. zu kutschieren. Sein Taxi gehört zu den saubersten des Fuhrparks. Max ist freundlich, sympathisch, ein netter Kumpel von nebenan. Cruise spielt einen smarten Typen mit graumeliertem Haar, der seit etlichen Jahren als Auftragskiller erfolgreich arbeitet, sprich: nie erwischt worden ist und seinen Job „stets zur vollsten Zufriedenheit” – wie in seinem Arbeitszeugnis stehen könnte – seiner Auftraggeber erledigt hat.

Jada Pinkett Smith als Staatsanwältin Annie ist die Dritte im Bunde. Max soll sie nach Hause fahren, und beide streiten sich über den schnellsten Weg. Kein richtiger Streit. Max fährt seine Strecke und wettet um den Fahrpreis, das dieser Weg Annie am schnellsten nach Hause führt. Beide sind sich sympathisch, und Annie gibt Max ihre Visitenkarte.

Noch in Gedanken an die bezaubernde Annie steigt Vincent in Max Taxi und erklärt ihm, er müsse zu fünf verschiedenen Kunden. Vincent bietet Max 600 Dollar, wenn er auf ihn wartet. Max erklärt, es sei für Taxifahrer verboten, sich von einem Fahrgast mieten zu lassen. Doch das Geld kann er gut gebrauchen, und er stimmt zu. Schon der erste Besuch endet mit einer Überraschung. Ein Mann stürzt aus dem Fenster und fällt direkt auf Max Taxi. Als kurz darauf Vincent zurückkehrt, ist klar, wen er da fährt: einen Killer. „Sie haben ihn aus dem Fenster geworfen und getötet”. „Nein,” antwortet Vincent, „die Kugeln haben ihn getötet und dann ist er aus dem Fenster gefallen.” Vincent zwingt Max, ihn auch weiterhin zu seinen Opfern zu kutschieren. Die Leiche wird im Kofferraum verstaut. Max sieht keine Möglichkeit, dem eiskalten Killer zu entkommen, der sich vordergründig als ruhig, überlegt und äußerst freundlich erweist.

Inzwischen sind L.A.P.D. und FBI auf der Fährte von Vincent, ohne zunächst zu wissen, um was es geht.

Michael Mann „hüllt” die Geschichte, die sich nun um die beiden Männer spinnt, in einen durchaus spannenden und mit einigen Überraschungen gespickten Thriller. Hauptinhalt des Films ist jedoch der fast zweistündige Disput zwischen Max und Vincent, der beide fast zu Freunden werden lässt, aber eben nur fast. Es ist erstaunlich, wie viel Mann in dieser Hinsicht aus den beiden Schauspielern herausholt. Vincent ist letztlich ein arroganter Egozentriker, dem Menschenleben nichts bedeuten. Er erzählt Max über seine Jugend, und Max glaubt, was Vincent ihm erzählt. Doch Vincent ist ein Mensch, der – je nach Lust und Laune, je nach den Umständen – um sich herum eine Geschichte aufbaut und eine Aura erzeugt, wie er sie gerade braucht, um ans Ziel zu kommen. Vincent hat diejenigen, die von ihm gerade abhängig sind, im Griff. Er wirft Max vor, dessen Traum von einem Limousinen-Unternehmen für Prominente könne ja wohl kaum ernst genommen werden, wenn er schon zwölf Jahre Taxi fahre, um sich das Geld dafür zu beschaffen. Und Max sei feige, weil er Annie nicht längst angerufen habe; er, Vincent, hätte dies schon längst getan. So eine Chance ließe er sich nicht entgehen.

Max und Vincent kommen sich sehr nahe; aber diese Nähe erzeugt keine Freundschaft. Sie steht für den ungleichen Kampf zweier Lebensprinzipien, zwischen denen es letztlich keine Kompromisse geben kann.

Mann taucht den Film in bunte, teilweise grelle, teils knallige Farben der Großstadt. Der Film spielt ausschließlich in einer Nacht. Das Klaustrophobische der Situation für Max rührt weniger aus seiner Gefangenschaft im Taxi. Mann zeigt eine Großstadt in einer völlig anderen Weise als gewohnt. Man erlebt sozusagen Los Angeles ganz neu, u.a. auch durch Luftaufnahmen, die die Stadt frontal von oben zeigen. L.A. wird eingegrenzt, abgesteckt, neu „erfunden” durch die Handlung, die von Vincent bestimmt wird, dann allerdings zunehmend von Max, der sich ab einem bestimmten Punkt zu wehren beginnt. Dieser Kampf zwischen beiden produziert die Räume, die die Großstadt definieren.

Man könnte auch sagen: In Max und Vincent spiegelt sich insgesamt die Großstadt, die Millionenstadt wider. In „Heat” zeigte Mann den Cop als Spiegelbild des Verbrechers und die Jagd als Abgesang auf den Glauben an eine Legalität, die mit den gleichen Mitteln operiert wie die Illegalität. In „Collateral” zeigt Mann, dass in der Stadt noch anderes wirkt. Max ist einer jener Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen, auch wenn er bezüglich seines Traumes und bezüglich Annie nicht den nötigen Mut aufbringt, der ihn weiterbringen könnte. Vincent ist für ihn der – unerwünschte und riskante – Katalysator, um seinen Wünschen näher zu kommen. Man mag den Showdown für konventionell in bezug auf das Genre halten. Doch gleichzeitig liegt er durchaus in der Logik einer Geschichte, in der zwei Lebensprinzipien miteinander streiten.

„Collateral” ist sicherlich nicht Manns bester Film. Aber er gehört zu den besseren Filmen aus dem Hause Hollywood.


 

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