Mephisto
(Mephisto)
Deutschland, Ungarn, Österreich 1981, 144 Minuten
Regie: István Szabó

Drehbuch: Péter Dobai, nach dem Roman von Klaus Mann
Musik: Zdenkó Tamássy
Director of Photography: Lajos Koltai
Montage: Zsuzsa Csákány
Produktionsdesign: János P. Nagy, József Romvári

Darsteller: Klaus Maria Brandauer (Hendrik Höfgen), Krystyna Janda (Barbara Bruckner), Ildikó Bánsági (Nicoletta von Niebuhr), Rolf Hoppe (Ministerpräsident); György Cserhalmi (Hans Miklas), Péter Andorai (Otto Ulrichs), Karin Boyd (Juliette Martens), Christine Harbort (Lotte Lindenthal), Tamás Major (Oskar Kroge), Ildikó Kishonti (Dora Martin), Mária Bisztrai (Motzné), Sándor Lukács (Rolf Bonetti),

Ein Egomane und die Macht

„Alle Damen und die meisten Herren
fanden, dass Hendrik Höfgen nicht
nur ein bedeutender und höchst geschickter,
sondern auch ein bemerkenswert schöner
Mann sei. Seine zusammengenommene,
vor bewusster und berechneter Anmut
fast steife Haltung und sein kostbarer
Frack ließen es übersehen, dass er
entschieden zu fett war, vor allem in
der Hüftengegend und am Hinterteil.“ (1)

„Die Allgemeinheit ist nicht daran
interessiert, ein falsches Bild über
die Theaterverhältnisse nach 1933
aus der Sicht eines Emigranten zu
erhalten.“ (2)

Bis zum Bundesverfassungsgericht gingen Gustav Gründgens Erben, um die Veröffentlichung von Klaus Manns Roman „Mephisto. Roman einer Karriere“ (1936) zu untersagen – und erzielten dort 1971 den gewünschten Erfolg. Erst 1981/82 erschien der Roman bei Rowohlt wieder in der Bundesrepublik Deutschland, der zwar äußere Daten der Lebensgeschichte Gründgens aufnahm, aber dennoch eher – wie Klaus Mann selbst sich ausdrückte – einen bestimmten Typus von egozentrischem, im Film egomanischen Mitläufer vorstellte, der die Machtübernahme der Nationalsozialisten erst möglich gemacht habe. (3)

Er scheint sympathisch, aufgeschlossen, voller Tatendrang, dieser Mann, der im Hamburg der 20er Jahre am Theater von einer großen Karriere träumt. Er hat zu kämpfen, mit seiner eigenen Vergangenheit, weil er beispielsweise einmal als Junge in einem Knabenchor zu hoch gesungen hatte und daraufhin vom Lehrer gemaßregelt wurde, er solle doch still sein. Die Scham sei ihm in den Kopf gestiegen. Diese Ambivalenz kennzeichnet sein Leben. Hendrik Höfgen (Klaus Maria Brandauer) hält sich für den (von anderen noch unerkannten) größten zeitgenössischen Schauspieler, aber in seinem menschlichen Größenwahn schwingt doch auch immer der Zweifel mit, die Angst, es könne vielleicht nicht so sein, die Sehnsucht nach Bestätigung durch andere, die Hoffnung, dass ihm die Massen zujubeln und er seine Ängste vergessen könnte.

Hendrik Höfgen tut alles, um diese Bestätigung zu bekommen. Zusammen mit seinem Freund Otto Ulrichs (Péter Andorai), einem Kommunisten, will er das Theater umkrempeln, zu einer Bühne für die Interessen der Arbeiter werden lassen – und sich zum Star dieser Bühne. Nur seine Geliebte, die Tochter eines Hamburger Ingenieurs und einer Schwarzen, Juliette Martens (Karin Boyd), hat Hendrik in seinem Innersten wirklich erkannt. Sie nennt ihn bei seinem richtigen Vornamen, Heinz, was ihn wütend macht. Sie gibt ihm Ballettunterricht, und wenn Brandauers Höfgen vor dem Spiegel tanzt, dann strömt dies Lächerlichkeit, Abscheu und Schrecken zugleich aus. Da ist einer, der sich selbst zum Hampelmann machen würde, wenn „er es nur schafft“.

„Einen aus der Million von kleinsten
Mitschuldigen, die nicht die großen
Verbrechen begehen, aber vom Brot
der Mörder essen, nicht Schuldige sind,
aber schuldig werden; nicht töten, aber
zum Totschlag schweigen, über ihre
Verdienste hinaus verdienen wollen
und die Füße der Mächtigen lecken,
auch wenn diese Füße im Blute der
Unschuldigen waten. Diese Millionen
von Mitschuldigen haben 'Blut' geleckt.
Darum bilden sie die Stütze der Machthaber.“
(Hermann Kesten)

Noch schimpft Höfgen auf den „österreichischen Kabarettisten“ Hitler, noch macht er seiner Frau Barbara (Krystyna Janda), einer aus großbürgerlichem Elternhaus stammenden Frau, Vorwürfe, weil sie mit dem der NSDAP angehörenden Schauspieler Hans Miklas (György Cserhalmi) einen Abend verbracht hat, weil sie Mitleid mit Miklas hat, noch stellt er den Hamburger Intendanten Kroge (Tamás Major) vor die Wahl: Miklas geht oder er geht. Noch scheint Hendrik Höfgen einer, der dem Kommenden zu widerstehen scheint.

Doch schon bei einem Auftritt der Primadonna Dora Martin (Ildikó Kishonti) wird sichtbar, was Hendrik wirklich bewegt: Während die Diva mit Applaus überhäuft wird, sitzt Höfgen in seiner Garderobe und hält sich die Ohren zu, weil er es nicht ertragen kann.

Höfgen lässt sich protegieren, erst von genau jener Dora Martin, vor der er sich nach der Vorstellung verneigt, ihr Komplimente macht und damit erreicht, dass sie sich für ihn in Berlin stark macht. Es folgt eine beispiellose Karriere in der Kulturhauptstadt Deutschlands – und Höfgen bleibt auch in Deutschland, als 1933 Hitler die Macht übernimmt. Höfgen lässt sich weiter protegieren, u.a. von der Schauspielerin Lotte Lindenthal (Christine Harbort), der Freundin des nationalsozialistischen preußischen Ministerpräsidenten (Rolf Hoppe), die ihm eine Wunschrolle als Mephisto verschafft.

„Man hätte Hendrik Höfgen für einen
Mann von etwa fünfzig Jahren gehalten;
er war aber erst neununddreißig – ungeheuer
jung für seinen hohen Posten.
Seine fahle Miene mit der Hornbrille
zeigte jene steinerne Ruhe, zu der sich
sehr nervöse und sehr eitle Menschen
zwingen können, wenn sie sich von
vielen Leuten beobachtet wissen. Sein
kahler Schädel hatte edle Form. Im
aufgeschwemmten, grau-weißen Gesicht
fiel der überanstrengte, empfindliche und
leidende Zug auf, der von den hochgezogenen
blonden Brauen zu den vertieften Schläfen lief;
außerdem die markante Bildung des
starken Kinns, das er auf stolze Art
hochgereckt trug, so dass die vornehm
schöne Linie zwischen Ohr und Kinn kühn
und herrisch betont ward.“ (1)

István Szabós Inszenierung, die sich relativ streng an Manns Roman anlehnt, präsentiert uns einen Menschen, der eigentlich nur sich selbst kennt. Für Klaus Maria Brandauer war die Rolle Höfgens eine Herausforderung, und es gelang ihm meisterhaft, diesen Egomanen in all seinen Zügen zu zeigen. Brandauer überzeugt in einer Rolle, in der er Höfgen in all seinen Beziehungen – sei es zu Schauspielern, zu Intendanten, zu Kollegen, zu Frauen oder dann später zu den Machthabern – als einen Menschen präsentiert, für den nichts anderes zählt als die eigene Zurschaustellung, man könnte auch sagen, die eigene Prostitution vor dem Publikum, nicht nur im, sondern auch außerhalb der Theater. Die Ehe mit Barbara Bruckner, die Beziehung zu Juliette Martins, die Verbeugung vor Dora Martin, mit der er ebenfalls eine Liaison gehabt haben soll, die Bekanntschaft mit Lotte Lindenthal – sind für ihn nur Mittel zum Zweck. Nur sein schlechtes Gewissen bringt ihn dazu, den Ministerpräsidenten dazu zu bringen, Barbara nach Paris ausreisen zu lassen. Im gleichen Atemzug unterwirft er sich der Forderung Görings, der hier zweifellos gemeint ist, sich von Barbara, die gegen das Regime ist, scheiden zu lassen.

Wenn Brandauer den Mephisto spielt, kann man den Eindruck kaum los werden, dass er auf der Bühne sich selbst spielt: Das Schmierige, Hinterhältige, auch Boshafte in seiner Rolle wie in seinem eigenen Verhalten. „Freiheit? Wozu? Ich brauche nur Erfolg!“ entgegnet er Juliette bei einem letzten, heimlichen Treffen in Paris. Als er sich für seinen verhafteten Freund Otto Ulrichs bei Göring einsetzt, schmeißt der ihn mit den Worten wütend hinaus: „Achten Sie darauf, dass Sie nicht wie ein Käfer zertreten werden.“ Hier deutet sich an, wohin Höfgen es gebracht hat.

„Auf seinen breiten Lippen lag ein erfrorenes,
vieldeutiges, zugleich höhnisches und um
Mitleid werbendes Lächeln. Hinter den großen,
spiegelnden Brillengläsern wurden seine
Augen nur zuweilen sichtbar und wirksam:
dann erkannte man nicht ohne Schrecken,
dass sie, bei aller Weichheit, eiskalt, bei aller
Melancholie sehr grausam waren. Diese
grün-grau schillernden Augen ließen an
Edelsteine denken, die kostbar sind, aber
Unglück bringen; gleichzeitig an die gierigen
Augen eines bösen und gefährlichen Fisches.“ (1)

Brandauer spielt Höfgen, sicherlich im Sinne Klaus Manns, als einen Egomanen, der nicht bemerkt, wie er später selbst zum Spielball, zum Instrument anderer gemacht wird. „Was wollen die von mir? Ich bin doch nur ein Schauspieler?“ denkt Höfgen in der Schlussszene des Films. Höfgen kann nicht verstehen, dass es aus seiner Situation, in die er sich selbst gebracht hat, kein Entrinnen mehr gibt. Er begreift nicht, dass seine eigene Mentalität nicht mächtig genug ist, um ganz ähnlichen, aber politischen und machtbesessenen Egomanen zu widerstehen. Seine krankhafte Selbstsucht und Selbstbezogenheit machen ihn zum unpolitischen Mitläufer, unpolitisch, weil Höfgens eigene innere „Politik“ andere und anderes nicht mit bedacht hat.

In dieser Hinsicht ist Szabós „Mephisto“ auch ein Musterbeispiel dafür, wieso nicht nur prominente Mitläufer des Nationalsozialismus sich stets für unpolitisch hielten (etwa Frau Leni Riefenstahl). Sie glauben dies wirklich, weil sie eben nur an sich glauben und daran, auch sich ändernde Verhältnisse für ihre eigene Selbstbezogenheit instrumentalisieren zu können. Der Fall kommt danach. Der Schock über den eigenen Irrtum führt schnurstracks in die Verleugnung. Die eigene verblendete Sicht muss noch irgendwie aufrechterhalten werden, in dem sie noch mehr eingeschränkt wird auf das eigene Ego. „Was wollen die von mir?“ Als ob „die“ irgendwelche Fremden wären, die Höfgen nicht verstehen kann, als ob er nicht begreifen könne, was sie denn nun wollen, als ob er nicht sehen könne, dass sie schon erreicht haben, was sie wollen, als ob er nicht spüren wolle, dass der Ministerpräsident ihm seine Macht, auch die über Höfgen, demonstrieren will. Höfgen muss bei Strafe seines eigenen Zusammenbruchs (ver-)leugnen, in seiner Welt bleiben und alles andere in einen inneren Käfig weg sperren.

Vielleicht ist es die überzeugende Präsentation und Aufdeckung dieses inneren Gefängnisses eines Mitläufers durch Szabó und Brandauer, das auch Gustav Gründgens in Kenntnis des Romans Klaus Manns schon nicht ertragen konnte.

„Mephisto“ ist eine jener gelungenen „Literatur“-Filme, von denen man doch etwas öfter verwöhnt werden möchte.

(1) aus: Klaus Mann, Mephisto
(2) Aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg, März 1966, durch das die weitere Verbreitung des Romans untersagt wurde.
(3) Schon kurz vor seinem Freitod hatte Klaus Manns Verleger die Veröffentlichung abgelehnt. Mann hatte daraufhin folgenden Brief an ihn geschrieben:

„Sehr geehrter Herr Jacobi,
Ihr Brief vom 5. Mai ist unbezahlbar! Einen Roman drucken – das heißt bei euch jetzt also ‘eine Aktion starten’. Diese Aktion, so meinen Sie – dürfte im Fall des ‘Mephisto’, keinesfalls einfach sein und muss ergo zunächst unterbleiben. Warum? Weil Herr Gründgens ..., hier eine bereits bedeutende Rolle spielt. Das heiße ich mir Logik! Und Zivilcourage! Und Vertragstreue! – Ich weiß nicht, was mich mehr frappiert: die Niedrigkeit Ihrer Gesinnung oder die Naivität, mit der Sie diese zugeben. Gründgens hat Erfolg: warum sollten Sie da ein Buch herausbringen, da gegen ihn gerichtet scheinen könnte? Nur nichts riskieren! Immer mit der Macht! Mit dem Strom schwimmen! Man weiß ja, wohin es führt: zu eben jenen Konzentrationslagern, von denen man nachher nichts gewusst haben will. ... Ich darf Sie um die Gefälligkeit bitten, mir das Ihnen anvertraute Exemplar des ‘Mephisto’ (eine Seltenheit) umgehend an obige Adresse schicken zu wollen. Bitte schreiben Sie mir nicht mehr.
Hochachtungsvoll Klaus Mann“


 

Mephisto-Plakat
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