Monsieur Klein
(Monsieur Klein)
USA 1976, 123 Minuten
Regie: Joseph Losey

Drehbuch: Fernando Morandi, Franco Solinas, Costa-Gavras
Musik: Egisto Macchi, Pierre Porte
Director of Photography: Gerry Fisher
Montage: Marie Castro-Vasquez, Henri Lanoë, Michèle Neny
Produktionsdesign: Olivier Girard

Darsteller: Alain Delon (Robert Klein), Jeanne Moreau (Florence), Francine Bergé (Nicole), Juliet Berto (Jeanine), Jean Buoise (Verkäufer), Suzanne Flon (Hausmeisterin), Massimo Girotti (Charles), Michael Lonsdale (Pierre, Anwalt), Michel Aumont (Beamter der Präfektur), Roland Bertin (Redakteur einer jüdischen Zeitung), Magali Clément (Lola, Tänzerin), Dany Kogan (Michelle), Francine Racette (Françoise / Cathy), Louis Seigner (Roberts Vater)

Die Verwandlung

Robert Klein (Alain Delon) sieht gut aus. Aber das ist nicht sein Kapital. Monsieur Klein kauft und verkauft, Import-Export sozusagen, allerdings würde Monsieur diese Begriffe nicht gerne hören. Denn Monsieur handelt mit Kunstgegenständen und Antiquitäten aller Art. Monsieur Klein betreibt ein vornehmes Geschäft. Er ist freundlich, aber bestimmt, in Geschäftsdingen klar, deutlich und hat seinen Vorteil im Auge. Was auch sonst? Wozu betreibt sonst jemand Geschäfte? Aus lauter Menschenfreude? Sicherlich nicht. Monsieur Klein ist immer gut angezogen. Er ist unverheiratet, ohne Bindung sozusagen, hat allerdings so etwas wie eine Geliebte. Jeanine (Juliet Berto) heißt sie.

Robert Klein kauft und verkauft also Kunst und Antiquitäten. Aber er hat gegenüber jedem Verkäufer einen enormen Vorteil. Denn Monsieur Klein lebt nicht in unserer Gegenwart. Er ist nicht einer jener millionenschweren Kunsthändler von heute. Nein, Monsieur Klein ist längst tot. Und seine Zeit, das war das Frankreich von 1942. Hier, im von den Deutschen besetzten Paris treffen wir ihn, und zu seinen Kunden zählen seit der Einnahme der französischen Hauptstadt durch die Wehrmacht und die tausendjährigen Herrscher aus Berlin vor allem: Juden. Juden, die schon lange nicht mehr sicher sind, die das Land verlassen wollen. Und die, die etwas zu verkaufen haben, die verkaufen es, schnell, fast zu jedem Preis, sofern ihnen das Geld reicht, um außer Landes zu gehen und ihr Leben und das ihrer Familien zu retten. Monsieur Klein kauft ihnen Antiquitäten und Kunst ab – sofern sie welche besitzen. Er diktiert den Preis. Er diktiert auch, dass diese wertvollen Gegenstände, diese Dinge, die ihren Besitzern etwas bedeuten, keine Bedeutung mehr haben. Sie sind nur noch Geld.

Monsieur Klein lebt von der Not anderer. Er nützt sie aus, skrupellos, ohne Mitgefühl – so, wie viele Menschen seiner Zeit und auch seines Landes dies tun.

Joseph Losey inszenierte mit „Monsieur Klein” jedoch nicht nur einen Film über einen Mit- Verdiener an der Aggression Deutschlands in und gegen Europa. Losey ging es um das Portrait eines Mannes, der plötzlich aus seiner scheinbaren Sicherheit herausgerissen wird und selbst in die Netze der Okkupanten verstrickt wird bzw. sich verstrickt. Monsieur Klein findet eines Morgens vor seiner Haustür eine jüdische Zeitung, ein Informationsblatt, in dem sich die französischen Juden noch letzte Dinge mitteilen dürfen, bevor sie später endgültig deportiert werden. Auf der Zeitung befindet sich sein Name. Doch Klein hatte diese Zeitung nie abonniert. Er befragt einen Redakteur dieser Zeitung, der jedoch den Irrtum nicht aufklären kann. Er erkundigt sich bei der Präfektur nach dem vermeintlichen Doppelgänger mit gleichen Namen. Er befragt die Concierge des Hauses, in dem dieser ominöse Monsieur Klein II gewohnt haben soll, lässt sich ein Foto nachmachen, auf dem Klein II mit seiner Freundin zu sehen sein soll. Aber all das führt ihn nicht zu dem Gesuchten.

Monsieur Klein wird nervös. Nein, äußerlich und vor anderen bleibt er ruhig, fast gelassen, auch seinem Anwalt Pierre (Michael Lonsdale) und dessen Frau Nicole (Francine Bergé) gegenüber, mit der er einst ein Verhältnis hatte. Aber tief in ihm gärt es, steigt langsam Angst herauf. Da erhält er einen Brief von einer gewissen Florence (Jeanne Moreau), aber auch mit diesem Brief ist nicht er gemeint, sondern der andere. Dieser verdammte andere, der sich nicht zu erkennen gibt, den er nicht finden kann, der ihm immer wieder zu entwischen scheint, wenn er wieder an einem Ort auftaucht, an dem der andere gerade noch gewesen sein soll.

In Loseys Film ist kaum etwas zu sehen von den deutschen Besatzern, den Soldaten, nichts von der Gestapo, der SS oder dunklen Gestalten, die Regimegegnern auflauern. Ein paar französische Polizisten interessieren sich, aufgeweckt durch Kleins eigene Ermittlungen, für die Sache. Sonst nichts. Sonst nichts? Doch. Da wird gebaut, an einer Art Stadion. Bretterzäune, Stacheldraht, Maschendraht wird aufgerollt und gezogen. Ein Camp wird errichtet. Ein Sammellager. Doch Monsieur Klein bekommt davon nur wenig mit. Er ist beschäftigt. Der Brief führt ihn zu einem Schloss, in dem Florence, die den Brief schrieb, ihr Mann Charles (Massimo Girotti) und einige andere vornehm gekleidete Personen sich treffen. Doch Florence weiß angeblich fast nichts über den anderen, den Unsichtbaren, den Verschwundenen, Verschollenen. Nur, dass er eine Freundin gehabt haben soll.

Tage später ist die Villa dunkel, die Bewohner sind weg, angeblich außer Landes. Juden? Klein findet eine Tänzerin, Lola (Magali Clément), die ihn informiert, wo des anderen Freundin arbeite. Klein sucht, findet Michelle (Dany Kogan), die abstreitet, dass auf dem Foto neben dem anderen Klein dessen Freundin Françoise (Francine Racette) abgebildet sei.

Es wird immer enger für Monsieur Klein. Die Polizei beschlagnahmt seine Bilder, Kunstgegenstände, alles, was Wert hat. Klein wird praktisch den Juden gleichgestellt. Er forscht nach den Geburtsurkunden seiner Großeltern, will einen „Ariernachweis” liefern. Aber wann werden die Behörden in Marseille ihm die Urkunden schicken?

Wie ein Strick schnürt sich langsam, aber unaufhaltsam das Schicksal um Monsieur Klein. Aber ist es das Schicksal? Wer ist der Unbekannte, der zweite Monsieur Klein? Ein Widerstandskämpfer, der sich eine Deckung zugelegt hat? Ein Rächer der betrogenen und ausgenutzten Juden, die Monsieur Klein ans Messer liefern wollen? Oder gibt es diesen zweiten Klein überhaupt nicht? Am Anfang ist Klein ein Nutznießer, ein erbärmlicher, skrupelloser Ausbeuter der Situation seiner Mitmenschen, die für ihn nichts weiter sind als Mittel zum Zweck. Am Schluss ist Klein ein armes Schwein, einer, der sich nie für andere interessiert hat – und der jetzt die Quittung dafür erhält?

Nein, Loseys Film ist keiner, in dem ein Exempel statuiert wird. Losey beobachtet diesen feinen Herrn, der nur sich sieht, nur seinen Vorteil und dann in eine Situation gerät, die klaustrophobische Züge trägt. Gerade durch die visuelle Nicht-Präsenz der Besatzungstruppen, der Gestapo, der SS einerseits, das Geheimnisvolle des anderen Klein auf der anderen Seite, eben auch dessen Nicht-Präsenz, erreicht die Verwicklung, Verstrickung des Robert Klein in ein immer enger werdendes Netz aus Lüge, Denunziation, Verdacht, Komplott oder was es auch immer sein mag eine erschreckende und einem die Luft nehmende steigende Bedrückung. Man schwankt zwischen der anfänglich starken Abneigung gegen diesen Nutznießer des Nazi-Terrors und der Hoffnung, er möge den Schergen von Auschwitz doch noch entkommen. Er hat doch nichts getan, jedenfalls nicht im Sinne der Nazis, dass ihm derartiges passieren dürfe. Aber er hat doch etwas getan, nämlich die Not anderer gnadenlos ausgenutzt. Täter, Opfer.

Der Identitätsverlust, den Losey am Beispiel des Robert Klein zeigt, ist kein rein äußerlicher. Klein gibt am Schluss auf, daran zu glauben, er sei nicht der andere. Den Hund, der ihm plötzlich zuläuft – der andere Klein hatte einen solchen Hund –, akzeptiert er. Er schlüpft, erst unfreiwillig, aber dann zusehends unter Aufgabe jeglichen Widerstands in den anderen hinein, als hätte es nie zwei Monsieurs Klein gegeben. Klein sucht, sucht, sucht, verzweifelt, und nur äußerlich gefasst, aber er sucht wie bei Kafka ein Mann das Schloss sucht. Der andere scheint immer ein Stückchen weiter, ein bisschen schneller. Seine Motive bleiben unklar, wenn er denn überhaupt welche hat – gegenüber Monsieur Klein. Und noch in seiner vergeblichen Suche nach dem Mann, der ihn ins Unglück stürzen kann, bleibt Klein der Einzelgänger, der Individualist, der Einsame – Eigenschaften, die ihm u.a. überhaupt erst ermöglichten, zum Nutznießer der Not anderer zu werden. Klein, der katholische Klein, wird zum Juden, zum Deportierten, zum Opfer. Und erst, das ist das Paradoxe an dieser Person, erst in der Akzeptanz seiner selbst als Opfer wird Klein zum Menschen.

Ein beeindruckendes und bedrückendes Porträt über einen „Unpolitischen”, dem seine eigene Mentalität zum Verhängnis wird – mit einem Alain Delon in der Titelrolle, wie ich ihn besser kaum gesehen habe.