Nackt
(Nackt)
Deutschland 2002, 98 Minuten
Regie: Doris Dörrie

Drehbuch: Doris Dörrie
Musik: Liquid Loop
Director of Photography: Frank Griebe
Montage: Inez Regnier
Produktionsdesign: Alison Chitty

Darsteller: Heike Makatsch (Emilia), Benno Fürmann (Felix), Alexandra Maria Lara (Annette), Jürgen Vogel (Boris), Nina Hoss (Charlotte), Mehmet Kurtulus (Dylan)

„Fragen Sie Frau Dörrie.“ Aber was eigentlich?

Der Kinosaal war brechend voll an diesem Donnerstag, voller Erwartung auf die Filmfassung des Bühnenstücks „Happy“ von Doris Dörrie („Männer“, 1985; „Geld“, 1989; „Happy Birthday, Türke!“, 1992). Ihre letzten beiden Filme „¿Bin ich schön?“ (1998), ein Episodenfilm mit einer Überfülle von nicht weiter hinterfragten Binsenwahrheiten über „Beziehungen“, und „Erleuchtung garantiert“ (2000), in dem auf triviale Weise das schwache Geschlecht (= Männer) den Zen-Buddhismus „entdeckt“, hatten mich nicht gerade vom Hocker gerissen. Boulevard ließ grüßen. „Nackt“ handelt einmal mehr vom Biotop zwischenmenschlicher Beziehungen von Mittelklassepflänzchen, die entweder zu Geld gekommen sind oder mal welches hatten. Aber das ist eigentlich egal, denn Geld spielt (k)eine Rolle, oder doch (nicht)? Was in der politischen Szenerie der „Kampf um die Mitte“, in der sich alle drängeln und auf Stimmfang gehen, das ist bei Doris Dörrie der Kampf um die Beziehungsmitte, der „richtige“ Ausgleich, denn für alles, aber auch wirklich alle Probleme gibt es bei Doris eine Lösung. Das ist nicht weiter schwierig, denn die Probleme, die auch in „Nackt“ serviert werden, setzen sich aus einer Mischung von Scheinkonflikten, Halbwahrheiten, („Brigitte“-)Lebensweisheiten und Trivialliteratur zusammen.

Drei Paare. Die einen, die durch Börsenspekulation zu Geld gekommen sind, Dylan (Mehmet Kurtulus) und Charlotte (Nina Hoss), laden die anderen, mit denen sie seit Jahren befreundet sind, in ihre aus Alessi-Objekten, viel Glas und postmoderne Kühle gestylte Wohnung zum Abendessen. Die anderen, das sind Emilia (Heike Makatsch) und Felix (Benno Fürmann), die kein Paar mehr sind. Sie leben schon länger getrennt. Emilia haust in einer nicht sehr einladenden Wohnung, in der sie ein Zwei-Mann- respektive -Frau-Zelt aufgestellt hat, in dem sie die Nächte verbringt. Felix ist ein zynischer, aber nichtsdestotrotz sympathischer (Teil-)Kotzbrocken, der immer die richtige sarkastische Bemerkung zum richtigen oder auch falschen Zeitpunkt parat hat. Irgendwie lieben sich beiden immer noch, auch wenn Emilia, das nicht zugeben würde.

Annette (Alexandra Maria Lara) und Boris (Jürgen Vogel), die sich lieben oder auch nicht so richtig, streiten um die Frage, ob der Zufall das Leben bestimme. Was, wenn Boris damals nur eine Minute später in die Straßenbahn eingestiegen wäre, in der sich beide kennen gelernt hatten? Boris: Dann wärst Du heute in einen anderen verliebt und auch glücklich. Das kann Annette nicht ertragen: Ist sie austauschbar? Die Toilettentür knallt.

Charlotte und Dylan sind inzwischen damit beschäftigt, einen Braten herzurichten. Als Dylan Sahne an die Soße kippt, läuft Charlotte über. Wie kann er nur. Der Braten landet im Mini-Karpfenteich und der Hähnchenservice muss innerhalb von 25 Minuten das Gefieder mundgerecht auf den Tisch liefern.

Als die beiden anderen Paare eintreffen, ist Thema Nr. 1 natürlich, nein nicht Sex, sondern „Beziehung“. Streitfrage: Kennt der andere mich überhaupt wirklich? Felix und Emilia erzählen von wissenschaftlichen Experimenten: Nackte Paare, denen die Augen verbunden werden, müssen versuchen, durch Berührung des Körpers ihre Partner zu erkennen. Felix, der eine Möglichkeit sieht, nicht nur seinem Zynismus freien Lauf zu lassen, sondern auch für seinen meist leeren Geldbeutel, schlägt eine Wette vor: Charlotte, Dylan, Boris und Annette entkleiden sich und do their very best. Alle vier wetten auf Wiedererkennung, Felix hält dagegen. Gesagt, getan. Immerhin setzt Dylan 10.000 Mark (oder Euro?). Die vier erkennen sich natürlich nicht wieder. Und die Beziehungskrise läuft gleich dreifach auf vollen Touren.

Charlotte stürzt in ihre nur selten durchbrochene depressive Phase, Motto: Du (Dylan) kennst mich nicht wirklich, Du hast Speck auf der Seele. Emilia ist sauer auf Felix, weil der es angeblich nur auf das Geld, einen Tiffany-Ring und den Rest des Wetteinsatzes abgesehen habe. Und Boris und Annette fallen auf der Straße in ein mehr als intensives Gespräch über Beziehungen im allgemeinen und im besonderen.

Grässlich ...

... Dabei lässt „Nackt“ in der ersten knappen halben Stunde noch hoffen. Als die Paare Felix und Emilia sowie Annette und Boris in ihrer trauten bzw. nicht mehr so trauten Zweisamkeit vorgestellt werden, da sprühen etliche Funken, da spürt man (Wort-)Witz, Ironie. Man haut sich so einige Wahrheiten oder auch Halbwahrheiten um die Ohren. Der Zynismus von Felix, die Rückzugsgefechte von Emilia und ihre Wut auf Felix in der zeltbestückten Hütte, die Unlust von Boris, zu dem Essen zu gehen – er möchte lieber mit Annette schlafen – all das und mehr deutet auf eine Komödie hin, die endlich mal wieder dem Vorurteil entgegentreten kann, aus hiesigen Breiten kämen keine ansehnlichen Beispiele für dieses Genre.

Doch bereits bei der Vorstellung des dritten Paares Charlotte und Dylan beschlich mich die dunkle Ahnung, dass im Rest des Films all das wieder zerstört wird, was sich so gut angelassen hatte. Wie der Herr, so’s Gscherr, oder: Wie die Wohnung, so das Paar. Charlotte fühlt sich von Dylan nicht „erkannt“ (das mit dem Speck auf seiner Seele). Noch trivialer und fast schon einem Groschenroman gleich schlingern sich Nina Hoss und Mehmet Kurtulus in der Szene nach der „nackten Erkenntnis“ durch Gespräche, die keine sind, durch Probleme, die niemand ernst nehmen kann, und durch Dialoge, die es an allem fehlen lassen, nur an Dämlichkeit nicht. Ich kam mir vor wie in der Lebensberatungsrubrik einer der vielen Exemplare der Regenbogenpresse. Fragen Sie Frau Sommer. Charlotte wälzt sich in ihrer Frustration, als wenn sie es liebt, frustriert zu sein, ohne zu wissen, warum sie frustriert ist und ob es überhaupt Frustration ist. Dylan ergeht sich in Bekenntnissen, Charlotte doch zu lieben. Er sehe sie nicht wirklich. Dylan: Ich weiß noch, was Du gestern an hattest. Charlotte: Du kennst mich nicht. Dylan: Was willst Du eigentlich. Und so weiter und so fort.

Dann Annette und Boris auf der Straße. Sie glaube nicht, dass all die Menschen hinter den Gardinen da oben wirklich glücklich seien. Boris: Woher weißt Du das? Sie glaubt es nicht. Es folgen schier nicht enden wollende Tiraden über das Innenleben von Menschen, die kaum erträglich sind, bis man sich an der Bushaltestelle in die Arme fällt. Da ist nichts ernst, verbindlich, verbindend. Ein belangloser Wortschwall jagt den anderen. RTL dankt seinem Publikum für die Treue zu „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, heißt es in der Werbung vor dem Film. Das klingt im nachhinein wie ein böses Orakel.

Doris Dörrie zeigt auf anschauliche Weise, wie man den Ansatz zu einer Komödie gleich wieder kaputt machen kann. Eine der Anfangsszenen macht das besonders deutlich. Felix und Annette treffen ihre Vorbereitungen für den Abmarsch zum Diner. Felix hat keine Lust, er ist ein bisschen feige, will die anderen nicht sehen, sich nicht mit ihnen auseinander setzen, lieber mit Annette ins Bett. Annette weicht ihm aus, nicht weil sie nicht will, sondern weil sie jetzt nicht will. Er macht sich aus Frust ein Brot, Annette beißt hinein, Felix passt das gar nicht. Annette: Dass er sie in sein Brot beißen ließe, sei wichtiger als Sex. Felix gibt auf. Das ist wirklich gut gespielt und humorvoll inszeniert, hat zumindest Anklänge an gute alte amerikanische Komödien. Völlig konträr dazu dann aber das selbstmitleidige Beziehungsgeschwätz im zweiten Teil von „Nackt“.

Heike Makatsch, Benno Fürmann und auch Alexandra Maria Lara und Jürgen Vogel haben mir in den Eröffnungsszenen gut gefallen. Es ist wirklich mehr als schade, dass ihnen das Drehbuch dann ein Schnippchen schlägt.

Der Schlagersänger Bata Ilic sang in den 70er Jahren die Schnulze „Dich erkenn’ ich mit verbund’nen Augen“. Die Antwort Doris Dörries lautet „Nein“. Darin erschöpft sich „Nackt“. Aus deutschen Landen kommen schon viel zu lange keine guten Dramen und keine guten Komödien mehr. „Nackt“ ändert daran nichts.