Das Messer im Wasser (1962)
Ekel (1965)
Rosemaries Baby (1968)
Chinatown (1974)
Die neun Pforten (1999)
Der Pianist (2002)





Das Messer im Wasser
(Nóz w wodzie)
Polen 1962, 94 Minuten
Regie: Roman Polanski

Drehbuch: Jakub Goldberg, Roman Polanski, Jerzy Skolimowski
Musik: Krzysztof Komeda
Director of Photography: Jerzy Lipman
Montage: Halina Prugar-Ketling
Produktionsdesign: Boleslaw Kamykowski

Darsteller: Leon Niemczyk (Andrzej), Jolanta Umecka (Krystyna), Zygmunt Malanowicz (junger Mann)

Gelungene (politische) Parabel

Eine Landstraße in Polen. Ein Paar fährt, die meiste Zeit schweigend, durch die karge Landschaft. Andrzej (Leon Niemczyk) ist ein herrschsüchtiger Beifahrer. Sie, Krystyna (Jolanta Umecka), solle nicht so weit links fahren. Krystyna hält an. Ohne ein Wort zu sagen, wechseln sie die Plätze und Andrzej fährt weiter. Plötzlich steht ein junger Mann (Zygmunt Malanowicz) auf der Straße und versucht, das Auto anzuhalten. Im letzten Moment bremst Andrzej und schimpft mit dem jungen Mann. Trotzdem fordert er ihn – unter zynischen Bemerkungen – auf, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen.

Nach einigen Kurzfilmen war „Das Messer im Wasser“ Roman Polanskis erster längerer Kinofilm, der den Regisseur auch über die Grenzen Polens hinaus bekannt machte. „Nóz w wodzie“ ist eine Charakterstudie, eine Art Kammerspiel über drei Personen, minimalistisch inszeniert, an wenigen Schauplätzen (vor allem auf einem Segelboot) und begrenzt auf diese drei Personen. Vor allem aber ist der Film eine harsche, beißende Kritik an der nachkriegspolnischen Gesellschaft des realen Sozialismus.

Andrzej und Krystyna sind unterwegs zu einer Segelpartie am Wochenende. Aus zunächst unersichtlichen Gründen lädt Andrzej den jungen Mann – dessen Namen wir nicht erfahren – zu der Fahrt auf dem Segelboot ein. Der junge, gut aussehende Kerl ist ein Rumtreiber, ein Taugenichts, so sieht es jedenfalls Andrzej, ein rebellischer, teilweise zorniger, aufbegehrender Typ, der sich von niemandem etwas sagen lassen will. Andrzej hingegen weiß alles, kann alles und kommandiert alles. Andrzej, wesentlich älter als seine junge Frau, ist der Herr im Hause und auf dem Boot. Der junge Mann versteht nichts vom Segeln, aber er behauptet, das sei doch Kinderkram, ein solches Boot zu lenken. Kein Kinderkram. Die Segel rotieren über seinem Kopf, als er das Steuer von Andrzej in die Hand bekommt.

Krystyna bleibt ruhig, greift nur ein, wenn Andrzej oder auch der Junge sich über die Maßen in die Haare geraten. Der junge Kerl allerdings lernt – was soll er auch machen? –, was auf dem Boot alles zu beachten ist. Als das Paar ins Wasser springt, bleibt er allein zurück, weil er angeblich nicht schwimmen kann. Da kommt Wind auf, und durch Andrzejs Hilfe hat er nun Macht über das Boot. Er lenkt es Richtung der beiden Schwimmenden. Andrzej und Krystyna kehren an Bord zurück.

Man isst, trinkt, streitet, sonnt sich, schläft.

Am nächsten Morgen jedoch eskaliert die Situation zwischen Andrzej und dem jungen Kerl. Andrzej hat dessen Klappmesser und will es nicht hergeben. Er provoziert den jungen Mann, bis das Messer ins Wasser fällt, dann er untertaucht und plötzlich verschwunden ist. Ist er ertrunken?

Obwohl das Boot als Synonym für eine ganze Gesellschaft steht, Andrzej den Prototyp des machtbesessenen sozialistischen, aber nichtsdestotrotz oder gerade deshalb spießigen Kleinbürgers verkörpert, Krystyna eine Frau darstellt, die für ausgleichende Gerechtigkeit steht, jedoch letztlich keine Chance hat, der Macht etwas entgegenzusetzen, und der junge Mann die wilde, rebellische, lebensgierige (polnische) Jugend repräsentiert, wirkt die Dramaturgie in „Nóz w wodzie“ nie im Sinne eines Lehrstücks aufgesetzt – und das vor allem auch deshalb, weil diese kammerspielartige Parabel durchaus auch für andere Gesellschaften gelten könnte. Polanski lehrt nicht, sondern lässt die Konflikte aus dem Spiel der Personen, ihrer Mentalität heraus entstehen.

Andrzej wird zwar nicht als völlige Negativgestalt präsentiert. Polanski gesteht ihm zu, dass man von ihm lernen kann. Und der junge Mann lernt von ihm. Andererseits überkommt Andrzej Eifersucht und Neid auf einen wesentlich jüngeren Mann, der so ist, wie er selbst einmal war. Hinzu kommt, dass Krystyna den jungen Mann mag, nicht nur weil sie sich erinnert, dass Andrzej auch einmal so war. Letztlich bleibt dem jungen Mann nur ein Mittel, um von Andrzej los zu kommen: Finesse und Flucht. Er versteckt sich hinter einer Boje, taucht, schwimmt zum Boot, erobert Krystyna und rächt sich damit an Andrzej, der zwischenzeitlich auf der Suche nach ihm an Land geschwommen ist.

Krystyna sagt dem jungen Kerl, dass sie die Nase voll hat von der Arroganz der Macht und dem Spießertum Andrzejs, aber auch, dass sie Angst hat, dass der junge Mann einmal genauso werden könnte. Andrzej, der glaubt, der junge Mann sei ertrunken, bekommt es mit der Angst, die er wiederum mit Arroganz und Machtdemonstration zu überspielen versucht. Insbesondere die Schlussszene verdeutlicht, in welchen Verstrickungen Polanski sein Heimatland zu dieser Zeit sah: Das Auto des Paares steht an einer Wegkreuzung. Rechts geht es zur Polizei, links nach Hause. Andrzej glaubt noch immer, der junge Mann sei ertrunken. Er hat ihn nicht verstanden, und er sieht sich trotz seines eigenen Machtanspruchs als hilflosen, jämmerlichen Kerl, der etwas erlebt hat, was nicht in seinem Weltbild vorkommen darf. Er sieht sich vor der Entscheidung: Blamage und Offenbarung bei der Polizei oder Verheimlichung, Vertuschung.

„Nóz w wodzie“ erreicht teilweise – obwohl in ruhigem Tempo erzählt – eine klaustrophobische Atmosphäre, besonders in den Schlussminuten. Polanski benennt – ohne darauf direkt einzugehen – sämtliche Probleme, die er in der damaligen polnischen Gesellschaft sah: eine sehenswerte Parabel, die von ihrer Bissigkeit und Treffsicherheit kaum etwas verloren hat.



Ekel
(Repulsion)
Großbritannien 1965, 104 Minuten
Regie: Roman Polanski

Drehbuch: Roman Polanski, Gérard Brach
Musik: Chico Hamilton
Director of Photography: Gilbert Taylor
Montage: Alastair McIntyre
Produktionsdesign: Seamus Flannery

Darsteller: Catherine Deneuve (Carole Ledoux), Ian Hendry (Michael), John Fraser (Colin), Yvonne Furneaux (Hélène Ledoux), Patrick Wymark (Vermieter), Renee Houston (Miss Balch), Valerie Taylor (Madame Denise), James Villiers (John), Helen Fraser (Bridget), Hugh Futcher (Reggie)

Abgründe

Wir schauen in diese verzweifelten, ängstlichen Augen einer Frau, während der Vorspann des Films abläuft. Was in Kopf und Herz dieser jungen Frau namens Carole Ledoux (Catherine Deneuve) vorgeht, die aus Belgien stammt und mit ihrer Schwester Hélène (Yvonne Furneaux) in London lebt, werden wir bis zum Schluss des Films nicht erfahren. Am Schluss sehen wir Carole wieder, auf einem Foto als junges Mädchen innerhalb des Familienkreises. Auf diesem Bild schaut sie fast abwesend und nur flüchtig zu ihrem Vater.

Polanskis erster im Westen gedrehter Film – bekannt wurde der Regisseur durch den noch in Polen gedrehten Streifen „Das Messer im Wasser“ (1962) – führt sein Publikum in die inneren Abgründe einer äußerlich schüchtern, verschlossen wirkenden Frau, die offenbar nur in ihrer Schwester Halt findet. Carole arbeitet in einem Kosmetiksalon, deren Besitzerin Madame Denise (Valerie Taylor) zunächst viel Verständnis für Carole zeigt. In der Anfangsszene schwenkt die Kamera Gilbert Taylors, der u.a. auch Polanskis „Wenn Katelbach kommt“ (1966) und „Macbeth“ (1971), „Omen I und II“ (1976 und 1978) sowie George Lucas „Star Wars“ (1977) fotografierte, von den Augen Caroles zur Großaufnahme der jungen Frau. Eine Kundin liegt mit Gesichtsmaske vor ihr auf einer Liege. Carole ist völlig in Gedanken versunken, die Kundin liegt bewegungslos da wie eine Leiche.

Schon hier deutet Polanski die Abgeschlossenheit und den Schrecken an, der in Carole Platz gegriffen hat, wie lange schon, wissen wir nicht. Nur wenn sich Carole zwischen Wohnung und Kosmetikstudio bewegt, scheint Leben in ihr Leben zu kommen, aber dieser Schein trügt. Denn Carole bekommt kaum etwas von dem mit, was sich in den lebhaften Straßen der Metropole abspielt, sich in ihrem Innern aber nicht spiegeln kann.

Niemand darf Carole zu nahe treten, auch Colin (John Fraser) nicht, ein junger Mann, der gerne ihr Liebhaber wäre und der sich von Bekannten im Pub, John (James Villiers) und Reggie (Hugh Futcher), anhören muss, was er doch für ein Dummkopf sei, von dieser schwierigen Frau her nicht abzulassen. Carole hasst offensichtlich Männer. Ihr Hass manifestiert sich zunächst nicht in Aggressionen oder Wutausbrüchen. Sie distanziert sich körperlich, durch Blicke, durch Schweigen. Sie hasst auch Michael (Ian Hendry), den verheirateten Freund ihrer Schwester, der sich bei Hélène immer öfter einquartiert, sein Rasiermesser und seine Zahnbürste in Caroles Glas im Badezimmer stellt. Und sie hasst es, nachts zuhören zu müssen, wie ihre Schwester vor Lust stöhnt. Sie putzt sich die Zähne, nachdem Colin sie im Auto geküsst hat, angeekelt.

Als Hélène Carole ankündigt, sie und Michael würden für zehn Tage in Italien Urlaub machen, ergreift Carole innere Panik. Hélène versteht Carole nicht; sie erkennt, dass ihre jüngere Schwester anders ist als andere Frauen in ihrem Alter. Aber sie begreift nicht, dass hinter Caroles Verschlossenheit und Schüchternheit sich Abgründe auftun, die zu einer Katastrophe führen können.

Carole verbarrikadiert sich in der Wohnung, nachdem Hélène und Michael weggefahren sind, geht nur selten ans Telefon, bringt dem Vermieter nicht das Geld für die Miete, wie es Hélène ihr aufgetragen hat, geht nicht mehr zur Arbeit, lässt Colin nicht herein, als der vor ihrer Haustür steht und Klarheit verlangt.

Immer mehr zieht Polanski den Zuschauer in die inneren Abgründe Caroles hinein, die zwischen Wirklichkeit und Wahn nicht mehr unterscheiden kann. Nachts phantasiert sie immer wieder die Vergewaltigung durch einen schemenhaft zu sehenden Mann. In den Wänden zeigen sich Risse, aus den Wänden greifen Hände nach Carole, die Badewanne läuft über, im Spiegel sieht sie einen Mann. Die Wohnung, in die kaum noch Licht fällt, verändert sich immer deutlicher zu einem Raum, der sich dem inneren Zustand Caroles anpasst. Der Seelenzustand der jungen Frau greift Platz, dehnt sich aus, und dieser Raum wird zugleich zum Ort der Bedrohung wie der Existenzangst. Alles was von außen kommt, das Phantasierte wie das Reale, wird zur Bedrohung.

Nur ab und an, fast unmerklich, dringt ein Blick Caroles nach außen. Da spielen Kinder irgendwo gegenüber auf einem Hof. Ein Lichtblick sozusagen, ein Hauch von Erinnerung vielleicht, möglicherweise auch ein tief sitzender Wunsch und eine quälende Enttäuschung im Hinblick auf die eigene Kindheit, die sich ansonsten nur sporadisch und rätselhaft in alten Fotografien manifestiert.

Ein Kaninchen, das Carole aus dem Kühlschrank nimmt und irgendwo in der Wohnung abstellt, deutet den Verfall an, der sich breit macht. Fliegen machen sich an dem toten Tier zu schaffen. Die Wohnung wird zum Raum des Ungeordneten und des Wahns.

Erst Colin, dann der Vermieter (Patrick Wymark) verschaffen sich gewaltsam Zutritt zur Wohnung. Colin tritt die Tür ein, die Carole später mit einem Brett aus einem Regal wieder notdürftig verschließt. Der eine will Zuneigung, der andere Geld, der eine will verstehen, der andere, nachdem Carole ihm den Briefumschlag mit der Miete gegeben hat, sich ihrer bemächtigen.

Das Auge verwandelt sich in dieser Geschichte zu einer Art Waffe, zum Mittel der Verteidigung gegen die vermeintlichen oder tatsächlichen, realen oder fiktiven Bedrohungen einer Außenwelt, die Carole hasst, aber nicht verlassen will und kann. Das Tote andererseits gerät zum Zentrum in ihrem Leben, das tote, verwesende Kaninchen ebenso wie ihre Opfer oder die nur noch auf Fotos zu sehenden Familienmitglieder, in Zelluloid erstarrte Personen einer Vergangenheit, über die wir nichts wissen. Das als ekelhaft Ausgemachte zieht sie an und stößt sie zugleich ab. Das Gegenwärtige ist zugleich das Widerwärtige und Anziehende. Eine Kollegin findet in Caroles Handtasche ein Stück von dem verwesenden Kaninchen. Carole riecht an einem Unterhemd ihrer Schwester und schmeißt es dann angewidert auf den Boden.

Polanski und Taylor ziehen uns in diesen Strudel, einen Strudel der Angst, des Widerwillens, des Widerwärtigen und einer schier unfassbaren Attraktion des Todes, ausgelöst durch etwas, das wir nicht kennen, von dem wir nur wissen, das es länger zurückliegen muss, wahrscheinlich in der Kindheit. „Ekel“ bemächtigt sich unser, in Bildern, die konzentriert wirken und immer am Thema verhaftet bleiben, für den Betrachter keinen Ausweg erkennen lassen oder gar anbieten. Damit aber wird diese Geschichte zu einer, die Carole nicht als Außenseiterin oder Fremde erscheinen lässt, zumal gerade die Unklarheit, in der uns Polanski über die Ursachen der Psychose belässt, uns zwingt, über diesen Wahn, Carole, ihre Umgebung und über Carole als Mörderin nachzudenken.

Für Catherine Deneuve war „Ekel“ der Film, der sie aus dem von den Medien lancierten Bild der nur schönen Blonden entließ, sie als Charakterschauspielerin von Format bekannt machte. Geradezu minimalistisch verkörpert sie Carole in ihrem Wahn, ihrer Angst und inneren Unruhe.



Rosemaries Baby
(Rosemary’s Baby)
USA 1968, 136 Minuten
Regie: Roman Polanski


Drehbuch: Roman Polanski, nach einem Roman von Ira Levin
Musik: Christopher Komeda, Ludwig van Beethoven
Director of Photography: William A. Fraker
Montage: Sam O’Steen, Bob Wyman
Produktionsdesign: Richard Sylbert

Darsteller: Mia Farrow (Rosemary Woodhouse), John Cassavetes (Guy Woodhouse), Ruth Gordon (Minnie Castevet), Sidney Blackmer (Roman Castevet), Maurice Evans (Edward „Hutch“ Hutchins), Ralph Bellamy (Dr. Sapirstein), Victoria Vetri (Terry), Patsy Kelly (Laura-Louise), Elisha Cook Jr. (Mr. Nicklas), Emmaline Henry (Elise Dunstan), Charles Grodin (Dr. Hill), Hanna Landy (Grace Cardiff), Phil Leeds (Doctor Shand), D’Urville Martin (Diego), Hope Summers (Mrs. Gilmore)

Die Geburt des Bösen


„Wen ich eine Botschaft hätte,
würde ich sie mit der Post verschicken.“
(Roman Polanski)

Was M. Night Shyamalan in „The Sixth Sense“ (1999) oder Alejandro Amenábar in „The Others“ (2001) versuchten, hat seine unausgesprochenen Vorbilder. Zu ihnen zählen sicherlich „Ekel“ (1965) und „Rosemary’s Baby“ (1968) von Roman Polanski. All diese Filme beschäftigen sich mit dem, was man gemeinhin das „Mysteriöse“ nennt, einer geheimnisvollen, angsterfüllten und angsterfüllenden Welt in der von Rationalität scheinbar beherrschten Welt. Tatsächlich enthalten Polanskis Filme (nicht einmal oder erst recht nicht sein letzter „Der Pianist“ (2001)) keinerlei Botschaften im üblichen Sinn des Wortes. Eher zeugen sie von einer Welt, in der sich das Phantastische und das Realistische zu einem nicht auftrennbaren Konglomerat vermischt haben, die handelnden Personen, die an der Rationalität festhalten wollen, in das Irrationale hinabgestürzt werden und / oder sich mit ihm abfinden müssen. Viele seiner Filme entziehen sich dem Begriffpaar optimistisch / pessimistisch ebenso wie eindeutigen Lösungen oder Auflösungen.

„Rosemary’s Baby“ beginnt mit einer fast schon unheimlich anmutenden Wiedergabe eines monoton vorgetragenen wiegenliedartigen „La la la“, gesungen im Anblick der Skyline von New York. Bereits diese im Vorspann gezeigten Bilder kontrastieren in sich die Einheit von freudiger Erwartung des Lebendigen, der Geburt eines Kindes, und der unterschwellig schon vorhandenen, aber (noch) nicht ausmachbaren, lokalisierbaren Angst, einer schleichenden Angst, die stets präsent zu sein scheint, aber nicht greifbar. In der Schlussszene wird dieses „La la la“ wieder gesungen, nur dass jetzt das Teuflische aufgedeckt, gegenwärtig, bekannt ist, dessen Konsequenzen für das weitere Leben der Rosemary Woodhouse allerdings nicht. Ein im höchsten Maße „unbefriedigendes“, unaufklärerisches Ende, das der Herrschaft der Rationalität, des Verstandes, der Vernunft, des Fortschritts zugleich seine allerdings undefinierbaren Grenzen setzt.

Das, was als optimistisch, lebensbejahend beginnt, der Einzug des Paares Rosemary und Guy Woodhouse (Mia Farrow, John Cassavetes) in ein geräumiges, gemütliches Appartement in einem älteren mehrstöckigen Haus in New York, endet in einer Lebenssituation mit neuer Dimension. Die beiden packen aus, Kisten stehen herum, Rosemary richtet ein, Guy – ein Schauspieler – versucht, Rollen zu ergattern, die jedoch immer andere bekommen, und muss sich, um Geld zu verdienen, mit der Mitwirkung in Werbespots begnügen. Sehr bald machen sie die Bekanntschaft mit einem älteren Ehepaar, Minnie und Roman Castevet (Ruth Gordon und Sidney Blackmer), die sich als sehr freundlich und zuvorkommend, aber auch mäßig bis übermäßig aufdringlich erweisen, besonders Minnie.

Der Freund der Woodhouses, Hutch (Maurice Evans), hatte ihnen erzählt, dass sich um die Jahrhundertwende und auch später in dem Haus merkwürdige und schreckliche Dinge ereignet hätten, u.a. Kannibalismus; später habe ein gewisser Adrian Marcato, der sich der Hexerei verschrieben habe, einen Mord begangen. Rosemary und Guy beeindruckt das nicht sonderlich. Doch nachdem sich eine junge Frau, die Rosemary in der Waschküche kennen gelernt hatte und die von den Castevets aufgenommen worden war, aus dem Fenster gestürzt hat, kommt es zu weiteren mysteriösen Ereignissen.

Rosemary und Guy wünschen sich ein Kind. An dem Abend, an dem beide miteinander schlafen wollen, essen sie ein von Minnie gemachtes Schokoladenmousse. Das bekommt Rosemary überhaupt nicht und sie fällt in einen fiebrigen Schlaf. Sie hat einen furchtbaren Alptraum, in deren Verlauf sie der Teufel schwängert, während die Castevets und andere, auch Guy, dabei zusehen. Am nächsten Morgen erzählt ihr Guy, er habe „sie im Schlaf ein bisschen geschändet“, er habe die Chance, ein Baby zu zeugen, nicht verpassen wollen.

Tatsächlich ist Rosemary schwanger. Minnie schenkt ihr ein Amulett, eine Kugel, in der sich Teile einer übelriechenden (Tanis-)Wurzel (Hexenpfeffer) befinden. Das soll ihr Glück für die Schwangerschaft bringen. Sie ist es auch, die Rosemary und Guy dazu überredet, sich Dr. Sapirstein (Ralph Bellamy) anzuvertrauen, statt bei dem von einer Freundin Rosemarys empfohlenen Dr. Hill (Charles Grodin) als Geburtshelfer zu bleiben. Sapirstein verordnet ihr ein Kräutergetränk, das Minnie herstellt, statt irgendwelche Pillen oder Tabletten einzunehmen; er verbietet ihr, Bücher über die Schwangerschaft zu lesen.

Inzwischen hat Guy überraschenderweise die Rolle in einem Stück bekommen. Der ursprünglich dafür vorgesehene Schauspieler war aus unerklärbaren Gründen plötzlich erblindet.

Rosemarys Schwangerschaft ist von ständigen Schmerzen begleitet. Sie nimmt ab. Hutch macht sich Sorgen um sie. Er will sich nach der Bedeutung der Tanis-Wurzel erkundigen, weil er nichts Gutes vermutet, und tatsächlich findet er ein Buch über Hexerei, das er Rosemary zukommen lässt. Eigentlich wollte er sich mit ihr treffen. Doch Rosemary muss erfahren, dass er im Krankenhaus liegt, im Koma, und wenige Zeit später stirbt Hutch. In dem Buch erfährt Rosemary von einer Sekte, die dem Satan huldigt und seine Wiedergeburt erwartet und vorbereitet. Rosemary ist sich nun sicher, dass die Castevets zu einer solchen Sekte gehören. Sie gerät in Panik. Guy glaubt ihr kein Wort, hält das alles für Hirngespinste. Und auch ihr ehemaliger Arzt Dr. Hill, dem sie sich anvertraut, liefert sie Guy und Dr. Sapirstein aus.

Nach der Geburt des Kindes erwacht Rosemary. Man erzählt ihr, das Kind sei leider gestorben. Aber Rosemary glaubt kein Wort davon ...

„So weit ich zurückdenken kann,
ist in meinem Leben die Grenze
zwischen Phantasie und Wirklichkeit
hoffnungslos verwischt gewesen.
Ich habe lange gebraucht, um zu erkennen,
dass gerade dies der Schlüssel zu
meinem Dasein ist. Er hat mir mehr
als genug Enttäuschungen , Konflikte,
Leiden und Katastrophen gebracht.
Er hat mir aber auch Türen geöffnet,
die sonst für immer verschlossen
geblieben wären.“ (Roman Polanski)

„Rosemary’s Baby“ ist kein Film, der auf special effects, Tricks, Monster-Figuren oder ähnliches setzt. Lediglich in der Traumsequenz und ganz am Schluss des Films erscheint kurz eine satanische Gestalt. Das Grauen ergibt sich aus einer fast alltäglich, banal wirkenden Situation eines ebenso normalen, durchschnittlichen Paares in einer gleichermaßen normal wirkenden Umgebung. Auch die Dinge, die anfangs geschehen, liegen nicht außerhalb des Bereichs des Möglichen. Ein Selbstmord, die Erblindung eines Schauspielers, der plötzliche Tod eines älteren Freundes, Komplikationen in der Schwangerschaft, ein Arzt, der offenbar auf Naturheilmethoden setzt – all das liegt im Bereich unser aller Realität. Selbst die anfänglichen Kombinationen Rosemarys aus diesen Ereignissen, hier geschehe etwas Mysteriöses, erscheinen zunächst eher als psychische Auswirkungen einer schwierigen Schwangerschaft.

Doch Polanski lässt in gewissem Sinn nicht locker, dieses Mysteriöse in eventuelle Schlussfolgerungen miteinzubeziehen. Die Verschwörung einer satanischen Sekte von Menschen bleibt von Beginn an als eine Möglichkeit bestehen, die den weiteren Verlauf der Dinge bestimmt. Polanski erzählt die Geschichte ausschließlich aus der Perspektive von Rosemary. Es gibt kaum eine Szene, in der Mia Farrow nicht zu sehen ist. Der Zuschauer wird in ihre Situation, in ihre Sicht der Dinge verwickelt. Guy, die Castevets, Dr. Sapirstein, praktisch alle anderen Personen, außer vielleicht Hutch, stehen in dieser Perspektive als fast Fremde, andere Rosemary und dem Zuschauer gegenüber. Sie verhalten sich nicht extrem außergewöhnlich. Die Castevets mögen etwas schrullig sein, Sapirstein ist und benimmt sich wie der Arzt, dem man nachsagt, einer der besten Geburthelfer zu sein. Und trotzdem scheinen sie alle etwas zu verbergen, Rosemary nicht die ganze Wahrheit zu erzählen.

In diese Situation wird auch der Zuschauer versetzt; es besteht fast eine Einheit zwischen Publikum und Rosemary. Besonders deutlich wird dies in bezug auf Guy, der, wie sich sehr schnell erweist, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat. Über diesen Pakt wird kein Sterbenswörtchen geredet; keine Szene, kein Blick deuten auf diesen Pakt hin. Aber die Gesamtumstände lassen diese Vermutung zu. So arbeitet Polanski mit allem in diesem Film.

So entsteht eine Welt aus der Sicht eines Individuums, das mit einer Umwelt konfrontiert ist, die offenbar nach einem Plan handelt, der uns verborgen ist, jedenfalls lange Zeit. Das Individuum ist dieser Welt auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Rosemary wehrt sich gegen die Vorstellung, ihr Baby solle Satanisten zum Opfer fallen. Sie glaubt, ihr Baby vor ihnen schützen zu müssen. Als Dr. Hill, der ihr in keiner Weise glaubt, sie auch noch an Guy und Sapirstein ausliefert, weiß sie sich keinen anderen Rat mehr, als gegen diese „Verschwörung“ mit Gewalt vorzugehen. Sie greift zum langen Küchenmesser, schaut hinter einen Schrank durch ein Schlüsselloch in die Wohnung der Castevets.

Dieses Schlüsselloch symbolisiert aber nicht Erkenntnis, Aufklärung, Lösung im Sinne einer rationalen Erklärung für das Mysteriöse. Was sie sieht, scheint völlig normal, eine illustre Gesellschaft ihr bekannter unbekannter Personen, die aussehen, als feierten sie eine Party, ihr Mann, die Castevets, später auch Sapirstein, ein Japaner mit einem Fotoapparat. Aber eben auch eine Wiege, eine pechschwarze Wiege, in der ihr Kind liegt, das diese „Monster“ an sich gerissen haben, das schreit. Was wird ihr in diesem Moment durch den Kopf gehen? Sie muss ihr Kind aus den Klauen der Satanisten befreien. Sie geht mit dem Messer in den Raum. Alle bleiben ruhig, gelassen, weil sie eben mehr wissen als Rosemary, weil sie keine Gefahr ist für das, was sie planten und erfolgreich durchführten. Und noch immer weiß Rosemary nicht, dass sie sich im Irrtum befindet – bis sie in die Wiege schaut.

Rosemary und wir befinden uns in einer Situation des Unkontrollierbaren, der Unsicherheit, einer Situation, die nicht vollständig erklärbar ist. Von einem aufgeklärten Standpunkt aus gibt es keinen Teufel und auch keine Teufelsgeburt. Mit einem solchen Argument könnte man den Film mit dem Bann der Illusion, des Magischen und Unrealistischen belegen. Aber darum geht es überhaupt nicht. Der Teufel und die Teufelsgeburt stehen für eine Situation des Pessimistischen wie Optimistischen zugleich. Rosemary hat den Teufel geboren. Sie findet sich mit dieser Situation in letzter Sekunde ab. Das Böse hat eine Gestalt bekommen, die Satanisten schreiben das Jahr 1. Sie findet sich ab mit der Existenz des Bösen. Was sie daraus macht, wissen wir nicht, sie weiß es sicherlich in diesem Moment selbst nicht. Sie schaut diese schreckliche Gestalt in der Wiege an, das Wiegenlied erklingt. Es ist ihr Kind. Sie hat es geboren. Das Gute und das Böse sind Mutter und Vater dieses Kindes.

Die Konfrontation zwischen Individuum und Umwelt fordert heraus – zu immer neuen Versuchen, sich dem zu stellen und das zu erklären, was geschieht. Für die Protagonisten der Aufklärung, des Rationalismus und der Vernunft sind Mängel im Verhalten von Menschen, Verbrechen, überhaupt als negativ Empfundenes nur Reste, Relikte einer vor-aufklärerischen Zeit, einer Zeit der Dunkelheit, des Aberglaubens, der Unmenschlichkeit, Relikte, die man in der Lage ist, nach und nach zu beseitigen. Nicht nur die christlichen Religionen, auch die Aufklärung enthält eine teleologische Komponente, eine Art Endzweck-Paradies(-Stimmung), in der sich das Böse zunehmend minimiert, das man vorher als etwas Nicht-Zugehöriges zur Gemeinschaft der aufgeklärten Menschheit erkannt zu haben glaubte.

Diesem Trugschluss entgegnet Polanski mit einem Film, dessen Ende gerade in einer Zeit beunruhigend und unbefriedigend erscheinen musste, in der ein sozialer Umbruch die Gesellschaften des Westens durchzog, der sehr viel von einer zweiten Revolution der Aufklärung hatte.

„Rosemary’s Baby“ mag heute angesichts der Horror-Trips in Filmen der drei Jahrzehnte nach 1968 manchem kaum mehr als beängstigend erscheinen. Welchen Einfluss dieser Film auf die eher psychologisch arbeitenden Horrorfilme à la „The Others“ , „The Sixth Sense“, „Open Your Eyes“ (1997) oder dessen Remake „Vanilla Sky“ (2001) hatte, ist jedoch offensichtlich. Mia Farrow und Ruth Gordon sind die schauspielerischen Glanzpunkte dieses Klassikers von Roman Polanski.



Chinatown
(Chinatown)
USA 1974, 131 Minuten
Regie: Roman Polanski


Drehbuch: Robert Towne
Musik: Jerry Goldsmith
Director of Photography: John A. Alonzo
Montage: Sam O’Steen
Produktionsdesign: Richard Sylbert, W. Stewart Campbell, Ruby R. Levitt

Darsteller: Jack Nicholson (J. J. Jake Gittes), Faye Dunaway (Evelyn Cross Mulwray), John Huston (Noah Cross), Perry Lopez (Lt. Lou Escobar), John Hillerman (Russ Yelburton), Darrell Zwerling (Hollis I. Mulwray), Diane Ladd (Ida Sessions), Roy Jenson (Claude Mulvihill), Roman Polanski (Mann mit Messer), Richard Bakalyan (Detective Loach), Joe Mantell (Lawrence Walsh), Bruce Glover (Duffy), Nandu Hinds (Sophie), James O’Rear (Anwalt), James Hong (Kahn)

Everybody’s alone

„Chinatown“ gehört zu den Klassikern des film noir. Polanski schloss mit seinem 1974 gedrehten Film fast nahtlos an die großen Beispiele der 50er Jahre an, und nicht zuletzt John Hustons zentrale Rolle in „Chinatown“ nimmt direkt Bezug auf diese Tradition. Man denke an „Der Schatz der Sierra Madre“, „Der Malteser Falke“ oder „Key Largo“. Für Jack Nicholson war „Chinatown“ der Sprung vom good actor zum Spitzenschauspieler.

Ähnlich wie in „Einer flog über’s Kuckucksnest“ spielt Nicholson eine schillernde Figur, den Privatdetektiv Jake Gittes, der mit dunklen Gestalten zu tun hat, mit obskuren Ermittlungen und geheimnisvollen Auftraggebern irgendwo in der Nähe von Los Angeles in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Nicholson spielt Gittes als nach außen hart gesottenen, mit (fast) allen Wasser gewaschenen Mann, dem das Leben nichts mehr vormachen kann, den nichts mehr zu überraschen scheint. Doch dieser Jake Gittes ist ein sehr sensibler Mensch, einer, der – ohne laufend davon zu reden – nach ethischen Maßstäben lebt, die es ihm verbieten, andere übers Ohr zu hauen oder ungerecht zu behandeln. Jake liebt das Leben und kennt das Leben. Nicholson ist – das würde ich aus heutiger Sicht sagen – ein geborener Nachfolger von Humphrey Bogart, keine Kopie, kein Bogart Nr. 2, sondern einer, der spielt, als habe er Bogart vor dessen Tod die Hand gereicht und gesagt: Bye, I’ll try to continue in my own style.

Jake erhält einen Auftrag. Die vermeintliche Ehefrau des bei den L.A.-Wasserwerken arbeitenden Ingenieurs Hollis Mulwray (Darrell Zwerling), Evelyn (Diane Ladd), beauftragt Jake, ihrem Mann nachzuspüren, weil sie vermutet, er habe ein Verhältnis mit einer anderen Frau. Als Jake Mulwray heimlich folgt, beobachtet er zunächst anderes: Mulwray hält sich in Flussbetten und in der Nähe von Abflussrohren auf, untersucht den Boden, spricht mit einem vorbeireitenden Jungen. Für Jake ist das unverständlich. Als er Mulwray schließlich tatsächlich mit einer jungen Frau sieht und wenig später ein von ihm geschossenes Foto der beiden in der Presse erscheint, obwohl Jake das Foto nicht weitergegeben hat, bekommt er Besuch von der richtigen Evelyn Mulwray (Faye Dunaway), die gegen Jake gerichtlich vorgehen will, weil sie ihn nicht beauftragt hat, ihrem Mann nachzuschnüffeln.

Wenig später findet man die Leiche Mulwrays. Der Ingenieur ist ertrunken. Jake ist bewusst, dass er von irgend jemand missbraucht wurde. Aber wozu? Um Mulwray zu ermorden? Tatsächlich findet sich in Mulwrays Lungen Salzwasser. Er ist nicht dort gestorben, wo man seine Leiche fand. Und Evelyn Mulwray scheint ein Geheimnis, wenn nicht mehrere, zu hüten. Evelyn scheint nicht sehr bestürzt über den Tod ihres Mannes, von dem bekannt ist, dass er sich öffentlich in einer Anhörung gegen den Bau eines Staudamms ausgesprochen hatte. Jake findet heraus, dass Mulwray und Evelyns Vater, der reiche Noah Cross (John Huston), einmal gemeinsame Besitzer der Wasserwerke waren, bis Mulwray darauf gedrängt hatte, die Wasserversorgung an die öffentliche Verwaltung abzugeben. Jake entdeckt auf dem Katasteramt aber noch mehr: Etliche Grundstücke in einem Gebiet, das unter Wassermangel leidet, wurden innerhalb kürzester Zeit verkauft. Und Mulwrays Nachfolger Yelburton (John Hillerman) muss gegenüber Jake zugeben, dass nachts heimlich wertvolles Wasser zweckentfremdet wird.

Eine Wand des Schweigens, der Lügen, der Korruption tut sich vor Jake auf. Welche Rolle spielt Cross, welche Evelyn, und wer ist die geheimnisvolle junge Frau, mit der sich Mulwray getroffen hatte und die spurlos verschwunden ist?

Alles, was zu einem guten film noir gehört, steckt in „Chinatown“: Die geheimnisvollen Figuren, die spurlos verschwinden, die falsche Mrs. Mulwray, die später ermordet aufgefunden wird, die mysteriöse junge Frau, die Jake plötzlich mit Evelyn sieht, der Mann, der alle Fäden in der Hand zu haben scheint, Cross, der Lieutenant (Perry Lopez), der mit seinen Ermittlungen im Mordfall Mulwray völlig falsch zu liegen scheint – vor allem aber die femme fatale Evelyn, der Faye Dunaway derart viel abgewinnen kann, dass es eine wahre Freude ist, und natürlich Nicholsons Jake, der in jeder Szene zu sehen ist, immer präsent, sozusagen die personifizierte Dokumentation des Geschehens. Jake ist einer, der keine Geheimnisse mag, die zu Mord, Korruption, Ungerechtigkeit führen. Jake will Wahrheit, und er bekommt sie. Jake ist ein Mann, der sich durch nichts daran hindern lässt, das Dunkel aufzuklären, auch nicht, als ihm bei seinen Ermittlungen am Zaun des Wasserwerksgeländes ein Mann in weißem Anzug (Polanski) die Nase aufschlitzt.

Auch Cross Reichtum und Macht, die Fäden, die er zu ziehen scheint, können Jake nicht aufhalten. Im Gegenteil. Jake, der irgendwann über Cross Bescheid weiß, fragt den Millionär, der wiederum weiß, dass Jake über ihn Bescheid weiß, warum er noch reicher werden wolle, ob es möglich sei, dass er dann noch besser essen könne als schon jetzt, was er dann kaufen könne, was er nun nicht schon kaufen könne, und Cross antwortet: „Die Zukunft, Mr. Gittes, die Zukunft.“

Das steht in „Chinatown“ vor allem gegeneinander, diese beiden unterschiedlichen Charaktere, der skrupellose, auf Macht um der Macht, auf Geld um des Geldes willen fixierte Noah Cross, der nicht mehr wirklich lebt, sondern toten Dingen nachjagt, und dieser Jake, dieser Inbegriff des Vitalen, dessen, was sich nicht einsperren, einzwängen lässt. Dazwischen, scheinbar dazwischen steht Evelyn, die femme fatale. Jake verdächtigt sie, wäscht sie wieder rein, verdächtigt sie erneut, schläft mit ihr, spürt etwas in ihr, was sie über jeden Verdacht erhaben zu machen scheint, verdächtigt sie wieder, und wird mit einem Geheimnis konfrontiert, mit dem selbst er nicht gerechnet hat.

„Chinatown“ ist hell und dunkel zugleich. Die Sonne strahlt über die Orangenplantagen im nordwestlichen Tal, über das karge Flussbett, in dem Mulwray tot aufgefunden wird. Dann das Dunkel, wenn Evelyn einen Telefonanruf erhält, wegfährt, wenn Jake des nachts seine Ermittlungen auf dem abgesperrten Gebiet des Wasserwerks durchführt, wenn der Mann mit dem Messer, dieser kleine, brutale Mann erscheint und ihm die Nase aufschlitzt. Und wenn das Helle und das Dunkle am Schluss alle nach Chinatown führt, in diese mysteriöse Welt, in der eine Katastrophe einigen deutlich werden lässt, dass ihre Pläne gescheitert sind, dass der Tod nicht überlistet werden kann und dass die auf der Strecke bleiben, die von der Wahrheit nicht lassen und ihrem Gefühl nicht entgegenarbeiten wollen.

John Huston spielt den „Wasserträger“ in einem doppelten Sinn: als reichen Mann, der mit Wasser skrupellose Geschäfte macht, und als Botschafter des film noir, seiner eigenen Filme, die in „Chinatown“ eine so grandiose Fortsetzung gefunden haben, unterstützt von der der Atmosphäre des Films glänzend angepassten Musik von Jerry Goldsmith.

Für Polanski war „Chinatown“ eine Überwindung. Nach dem Mord an seiner Frau Sharon Tate durch Mitglieder der Manson-Bande war er einige Jahre zuvor nach Europa gegangen, wollte nicht zurück in die Staaten. Umso erstaunlicher ist, wie eng Polanski mit der Inszenierung der Geschichte den Betrachter kontinuierlich fesselt, in den Film einbezieht. Die Filme sind äußerst rar, in denen – positive wie negative – Identifikationen mit Figuren derart exzellent funktionieren wie in „Chinatown“. Jake, Evelyn, aber eben auch Cross sind einem wirklich nahe, man spürt förmlich ihre Nähe, ihre Wärme oder ihre Kälte. Die gesamte Komposition des Films ist stimmig. Das ist es eben, was man einen Klassiker nennt.



Die neun Pforten
(The Ninth Gate)
USA, Frankreich, Spanien 1999, 133 Minuten
Regie: Roman Polanski


Drehbuch: Enrique Urbizu, John Brownjohn, Roman Polanski, nach dem Roman von Arturo Pérez-Reverte „Der Club Dumas“
Musik: Wojciech Lilar
Director of Photography: Darius Khondji
Montage: Hervé de Luze
Produktionsdesign: Dean Tavoularis, Gerard Viard

Darsteller: Johnny Depp (Dean Corso), Frank Langella (Boris Balkan), Lena Olin (Liana Telfer), Emmanuelle Seigner (Das Mädchen), Barbara Jefford (Baronin Kessler), Jack Taylor (Victor Fargas), José Lopéz Rodero (Pablo Ceniza / Pedro Ceniza), James Russo (Bernie), Ton Amioni (Lianas Leibwächter), Willy Holt (Andrew Telfer), Allen Garfield (Witkin)

Ladehemmung

Ganz ehrlich gesagt, weiß ich nicht so richtig, was ich mit Polanskis filmischer Adaption des Romans von Pérez-Reverte anfangen soll.

Im Zentrum der Handlung steht der Teufel, zumindest sein Beitrag zu einem Buch mit dem Titel „Die neun Pforten des Königreichs der Schatten“ von einem gewissen Aristide Torchia aus dem Jahre 1666, dessen Verfasser später von der spanischen Inquisition festgesetzt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Der Teufel höchstpersönlich soll Zeichnungen in diesem Buch entworfen haben. Der Millionär und Büchersammler Boris Balkan (Frank Langella) besitzt eine von drei noch vorhandenen Kopien des Werkes. Er will die beiden anderen Exemplare mit seinem vergleichen lassen und beauftragt dazu den renommierten, wenn’s ums Geschäft geht, skrupellosen Bücherhändler und -experten Dean Corso (Johnny Depp), der die Besitzer, Victor Fargas (Jack Taylor) in Portugal und die an den Rollstuhl gefesselte Baroness Kessler (Barbara Jefford) in Paris, aufsucht.

Alles läuft demnach – das wird am Anfang schnell deutlich – auf den Satan hinaus. Wie und was das Buch in dieser Hinsicht für eine Bedeutung hat, bleibt lange Zeit verborgen. Ich will darüber nur so viel sagen, dass es um den Zugang zu Satans Reich geht. Auch das ist relativ rasch klar.

Corso aber scheint nicht allein auf seinem Weg nach Europa. Schon nach seinem Besuch bei den Zwillingsbrüdern Ceniza (José Lopéz Rodero), von denen er sich Informationen über die beiden Exemplare des Teufelsbuchs erhofft, entgeht er nur knapp dem Tod: Unfalloder Mordanschlag?

Auch Liana Telfer (Lena Olin), die Witwe Andrew Telfers (Willy Holt), der sich in seinem Arbeitszimmer erhängt hatte und von dem Balkan kurz zuvor das Buch gekauft hatte, zeigt nicht nur reges Interesse daran, das Buch zurückzubekommen; ihr scheint jedes Mittel recht, um seiner habhaft zu werden. Und schließlich taucht auf der Reise Corsos durch Europa immer wieder eine schöne junge Frau auf (Emmanuelle Seigner), die Corso zunächst für eine Spionin Balkans hält, die ihm dann jedoch mehrfach das Leben rettet und außergewöhnliche Fähigkeiten zu besitzen scheint.

Während Corso bei Vargas wenig Mühe hat, einen Vergleich der beiden Exemplare anzustellen und sehr schnell überraschende Unterschiede feststellt, ist die Baroness Kessler wenig angetan von Corsos Besuch. Sie scheint dessen Auftraggeber Balkan zu hassen und wirft Corso zunächst hinaus. Als sie ihm dann doch einen Vergleich der Bücher erlaubt, wird Corso niedergeschlagen. Wenig später ist die Baroness tot, wie zuvor schon Fargas im Teich vor seinem Haus angeblich ertrunken ist. Das Buch der Baroness verbrennt fast ganz im Kamin. Vorher allerdings wurden die Zeichnungen herausgerissen.

Schließlich versuchen Leibwächter Lianas, in den Besitz von Balkans Exemplar zu gelangen und verfolgen Corso. Wieder muss die unbekannte Frau eingreifen. Was ist so wichtig an den Zeichnungen? Corso will nicht aufgeben ...

An Polanskis Inszenierung wurde gelobt, sie sei subtil, komme ohne Knalleffekte aus und setze auf den Schrecken, der unauffällig daher komme. Der Film spielt in unserer Welt – doch die scheint nur eine fahle, kalte Fassade für eine andere Welt, in der Okkultismus, Horror, Gewalt und Mysteriöses die Oberhand gewonnen zu haben scheinen. Johnny Depp bewegt sich durch diese Zweitwelt in einer Gelassenheit, die mit seiner Skrupellosigkeit als Buchhändler zu korrespondieren scheint. Er gerät in die Mühle der um den Teufel konkurrierenden „Bösewichter“ Balkan und Liana Telfer, die in ihrer Bosheit wiederum eher Vampiren gleichen denn okkultlüsternen Menschen, muss allerlei über sich ergehen lassen, und bleibt doch letztlich in einer Art und Weise gelassen, als ob es um marginale ökonomische Interessen oder sonstige Belanglosigkeiten gehe.

Polanski verzichtet auf alles, was irgendwie nur den Geruch von üblichen Horroreffekten haben könnte. Das allerdings ist auch das Problem dieses Films. Letztlich plätschert der Film – analog zur Reise Corsos durch Europa – still vor sich hin, nur ab und an unterbrochen von einer kurzen Verfolgungsjagd, einem satanischen Feuer oder einem teuflischen Meeting.

Daneben entwickelt sich so etwas wie eine Detektivgeschichte bei der Enträtselung der Bilder des Buches durch Vergleich mit den anderen zwei Exemplaren. Wie ein in die teuflischen Untiefen verbannter Seriendetektiv bewegt sich Corso unweigerlich voran zur Lösung des Falls, der eigentlich aber gar keiner ist.

In „The Ninth Gate“ zaubert Polanski zwar eine düstere Atmosphäre – das beginnt schon mit der Eingangssequenz, als sich Andrew Telfer das Leben nimmt – und endet nicht zuletzt mit einer Liebesszene zwischen Corso und der unbekannten Frau vor einem brennenden Schloss. Ich fragte mich am Schluss: Was soll's? Irgendwie ist „The Ninth Gate“ ein bisschen Horrorfilm, ein wenig, was die Atmosphäre betrifft, „The Others, ein bisschen Kriminalgeschichte, ein bisschen Drama, ein wenig Road Movie und last but not least a little bit of occultism. Was die Sehnsucht mancher Figuren nach dem Teufel für einen Sinn haben soll, bleibt unbeantwortet. Telfers Witwe veranstaltet entsprechende Treffen, Balkan vertreibt die seiner Meinung nach primitiven Teufelsanbeter und organisiert dann selbst eine mehr oder weniger triviale, geradezu kindische Teufelszeremonie, die zudem noch von seiner Dummheit kund tut, die im Widerspruch zu seinem ansonsten gerissenen Vorgehen steht.

What the hell! Mir fehlen dabei keine Erklärungen, Rückgriffe in die Trickkiste oder ein realistischer Touch, um den irrationalen Spuk zu verstehen. Ein wenig mehr inhaltliche Substanz hätte der merkwürdigen Geschichte allerdings nicht geschadet. So bleibt der Eindruck eines nicht zu Ende gedachten, manchmal undurchdachten Flickwerks, das – innerhalb der Logik und der Regeln des Horrorfilms – merkwürdig kalt und unentschlossen bleibt und vieles im Dunkeln des Verständnisses belässt, was inszenatorisch ins Helle hätte gezerrt werden müssen.



Der Pianist
(The Pianist)
Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Polen 2002, 148 Minuten
Regie: Roman Polanski


Drehbuch: Ronald Harwood, nach dem Buch von Wladyslaw Szpilman „Das wunderbare Überleben“
Musik: Wojciech Kilar
Director of Photography: Pawel Edelman
Montage: Hervé de Luze
Produktionsdesign: Allan Starski

Darsteller: Adrien Brody (Wladyslaw Szpilman), Daniel Caltagirone (Majorek), Thomas Kretschmann (Wilm Hosenfeld), Frank Finlay (Vater), Maureen Lipman (Mutter), Emilia Fox (Dorota), Ed Stoppard (Henryk), Julia Rayner (Regina), Jessica Kate Meyer (Halina), Ruth Platt (Janina), Katarzyna Figura (Kittie), Nina Franoszek (polnische Frau), Valentine Pelka (Michal), Popeck (Rubinstein), Ronan Vibert (Bogucki), Zbigniew Zamachowski, Michal Zebrowski

Die Tränen kommen später ...

Es gibt keinen endgültigen Film über die „Endlösung der Judenfrage“. Weder „Schindlers Liste“ noch Roman Polanskis neuer Film über das Schicksal des polnischen Pianisten Wladyslaw Szpilman (1911-2000), noch Benignis „Das Leben ist schön“ ändern daran etwas. Das Endgültige, was in uns ist, ist die Hoffnung, der Wunsch, die Erwartung. Kein Buch, kein Film, kein Aufsatz, kein Gedicht können diese dunkle Distanz, dieses schwarze Loch überwinden, das zwischen der Erfahrung und uns besteht. Filme über den Holocaust – welchen Pfaden und welcher Dramaturgie sie auch immer folgen mögen – sind der schrecklichste Beweis für diese Ferne des Grauens, eine zeitliche, eine räumliche, vor allem existenzielle Ferne und Unnahbarkeit, die weder im Dokumentarischen, noch im Fiktiven überwunden werden kann. Der Verstand versagt im Angesicht des vernichtenden Verstandes der Barbarei.

Der Pianist Wladyslaw Szpilman (Adrien Brody) lebt mit seiner Familie, Vater, Mutter, Brüdern, Schwestern im Warschau der 30er Jahre, als die deutschen Truppen, die SS, die Schlächter in die polnische Hauptstadt 1939 einmarschieren. Szpilman spielt im Radio Chopins Nocturne in cis-Moll, als heftige Gefechte in der Stadt ihn unterbrochen. Der Sender wird ebenfalls beschossen. Wie alle anderen Juden wird auch die Familie Szpilman in das Ghetto gezwungen. Eine hohe Mauer trennt das Ghetto vom Rest der Stadt. Nur Wladyslaws Bruder Henryk (Ed Stoppard) ahnt, was auf sie und alle anderen zukommt, während die Schwester Halina (Jessica Kate Meyer) noch daran glaubt, es mache Sinn, den Teil des Geldes der Familie, der den von den Deutschen verordneten zulässigen Betrag übersteigt, in einem Blumentopf und in der Geige des Vaters zu verstecken. Es gibt für die 360.000 jüdischen Einwohner – von denen 20 die Vernichtungslager überleben werden – keine Chance, dem ihnen von den Nazis gewiesenen Weg zu entkommen.

Die Nazis spielen mit den auserkorenen Feinden. Was für sie vorübergehende Vernutzung von Arbeitskraft, erscheint ihren Opfern als Schimmer der Hoffnung. Doch der Besitz von Arbeitspapieren im Ghetto ist nur ein vorübergehender Aufschub für den bald folgenden Abtransport in Güterwaggons nach Treblinka oder Auschwitz. Wladyslaw wird durch einen ihm bekannten jüdischen Aufseher von seiner Familie getrennt und kann dem Transport in die Vernichtung entkommen. Mit Hilfe einer polnischen Freundin und ihres Mannes kann er in einer leer stehenden Wohnung unterkommen. Für ihn beginnt eine Zeit der Einsamkeit, des Versteckens, der Flucht – bis er kurz vor Ende des Krieges in der zerbombten Stadt von dem deutschen Offizier Wilm Hosenfeld (Thomas Kretschmann) in den Trümmern eines Hauses entdeckt, aber nicht ermordet wird. Hosenfeld bringt ihm Essen und als er und die anderen Wehrmachtsangehörigen die Stadt verlassen müssen, weil die sowjetischen Truppen sich nähern, seinen Soldatenmantel ...

Roman Polanski, der selbst mit seinem Vater dem Krakauer Ghetto entkam, aber seine Mutter in Auschwitz verlor, hat einen Film gedreht, der sich weitab von einer ansonsten fast surrealen Dramaturgie in seinen bisherigen Filmen eines scheinbar dramatisch-dokumentarischen Stils bedient. „Der Pianist“ folgt den klassischen Regeln des Dramas. Ein „Held“ bewegt sich durch die Wirren und Risiken, Gefahren und existenziellen Bedrohungen seiner Zeit. Aber damit erfasst man Polanskis Inszenierung nur unzureichend. Pawel Edelman (Kamera) und Allan Starski (Bauten) gestalteten vor allem einen Raum für dieses Drama, der bis in die Details eine Raumerfahrung ermöglicht, die überwältigend „schön“, zugleich kalt und unnahbar wirkt. Diese Art der Inszenierung ist eine ganz andere als etwa Benignis Verbindung von Komik und Schrecken. Sie rührt während des Sehens auf eine erschreckende Weise nicht an. Auch ich (1) vergoss während der über 148 Minuten erst Tränen, als Szpilman nach 1945 in der Schlussszene wiederum Chopins Nocturne in einem Konzertsaal spielte – eine Situation der existenziellen Sicherheit und der befreienden Musik, eine ganz andere Raumerfahrung, ein Raum der Verbundenheit über Musik und damit über eine Möglichkeit dessen, was Zuneigung bedeutet.

Es ist diese Diskrepanz im Pathetischen, die Polanskis Film auszeichnet, die Dopplung des Pathetischen in die Kälte der Bilder des Grauens und in die Situation „danach“. Polanski zeigt den Schrecken in einer oberflächlich unpathetischen Inszenierung. Der Raum ist zunehmend erfüllt von der Brutalität der SS einerseits und der Hilflosigkeit, der Angst der Eingepferchten andererseits. Polanski zeigt dies mit einer Nüchternheit, geradezu Selbstverständlichkeit, die einem die Sprache verschlägt. Er setzt nicht auf das Mitgefühl, die Emotion überhaupt, oder auf Vitalität. Man hört kaum ein Schreien, Geräusche spielen eine untergeordnete Rolle, ebenso die Musik, außer zu Anfang und Schluss des Films.

Die Menschen durchwandern die Hölle, sie werden auf dem Boden liegend von einem SS-Mann mit der Pistole erschossen. Eine Frau, die es wagt, eine Frage zu stellen, erhält einen Kopfschuss. Niemand weint, zeigt Rührung, alles ist von Angst erfüllt, und doch ruhig, fast gelassen.

Der Kälte der Bilder entspricht nur die Wut, die Wut über das, was dort vor sich geht. Als die wenigen überlebenden Juden und etliche Polen einen Aufstand wagen, steht Szpilman am Fenster seines Verstecks, einer Wohnung, die direkt neben dem Ghetto liegt, beobachtet still, und doch innerlich aufgewühlt, was dort vor sich geht. Man hofft, obwohl man weiß, dass der Aufstand gescheitert ist. Man freut sich über jeden toten deutschen Soldaten. Ebenso als kurz vor Einmarsch der sowjetischen Truppen polnische Widerstandskämpfer in die Straße kommen, in der Szpilman nun – direkt gegenüber einem Lazarett der Wehrmacht – versteckt ist. Etliche deutsche Soldaten sterben – und es hat mich gefreut. Ich empfand Genugtuung.

Genugtuung z.B. auch für einen anderen Vorgang, als Szpilman aus der Ghettomauer einen kleinen Jungen herauszuzerren versucht und auf der anderen Seite, unsichtbar für uns dessen Verfolger auf ihn einprügeln, bis er tot ist. Szpilman zieht die Leiche zu sich herüber.

Wladyslaw Szpilman wirkt wie einer, der sich seinem Schicksal hingibt, nicht indem er sein Leben aufgibt, sondern sich auf die sich ständig verändernden Bedingungen der Verfolgung einstellt. Ebenso seine Helfer, die Sängerin und ihr Mann, der polnische Mann, der ihn versteckt. Alle scheinen sich eingestellt zu haben, unter diesen Bedingungen ihr Leben weiterführen zu müssen. Was Polanski hier inszeniert, hat etwas von einer erschreckend anderen Normalität, der Normalität der Illegalität, Verfolgung, existenziellen Bedrohung, einer Normalität, auf die sich die Verfolgten einlassen (müssen), aber eben ohne die pathetische Anklage, die den Zuschauer des Films in den Bann ziehen würde. Was hier in den Bann zieht, störend, verstörend, auf Dauer, nach dem Film, fast irrsinnig, das ist dieses Leben in einer Situation der chronischen Lebensgefahr. Immer deutlicher geht es in „Der Pianist“ nur noch um Szpilman, sein Durch-Kämpfen, seine Flucht, sein Leben. Immer weniger sieht man andere, außer hier und da seine Verfolger. Am Schluss steht er in einer (technisch betrachtet: digital überarbeiteten) Trümmerlandschaft, allein, als wenn er der einzige Überlebende eines Atombombenangriffs wäre. Schutt, Asche, Trümmer; es ist alles zerfallen, nur noch Szpilman, der letzte Überlebende einer Menschheit, die sich selbst vernichtet hat?

Polanski reißt den Betrachter des Jahres 2002 sehr schnell wieder aus dieser Fiktion. Szpilman hört Stimmen. Und wenn er Stimmen hört, reagiert er wie automatisch – flüchten, verstecken, er hat Hunger, er sucht, er versteckt sich wieder, er schaut durch die Schlitze und zwischen den eingerissenen Häusern hindurch, er findet eine Konserve, hat aber kein Werkzeug, um sie zu öffnen. Er klemmt sie sich unter den Arm, beschützt sie wie den letzten Rest dessen, was ihn am Leben halten kann. Szpilman ist jetzt nicht nur Wladyslaw Szpilman, er steht jetzt für den Rest an Hoffnung, an Menschsein, an Leben, an lebenswertem Leben in dem zerstörten Warschau. Er hat Glück, als ihn der deutsche Offizier (2) am Leben lässt, ihm zu Essen gibt, ihn nicht verrät. Das Glück ebnet ihm den Weg. Es ist ebenso willkürlich, dass Szpilman auf Hosenfeld trifft wie alles andere, was die Jahre zuvor seit 1939 geschehen ist. Diese Welt ist unberechenbar, der Erzählstil, den Polanski benutzt, dem angepasst. Es ist diese merkwürdige Erzählung im Sinne von Aufzählung, die ihm wohl nötig erschien, weil das Unberechenbare, das Willkürliche nicht mehr als aufgezählt werden kann. Es entbehrt einer inneren Logik und alle Versuche, etwas Ursächliches, eine Kausalkette in es hineinzubringen, scheitern, bleiben äußerlich, wirken aufgesetzt.

„Der Pianist“ ist nicht konsumierbar im Sinne einer maßgeschneiderten Produktion à la Hollywood. Polanski lehnt derartiges ab. Und seine Worte mögen das verständlich machen: „So weit ich zurückdenken kann, ist in meinem Leben die Grenze zwischen Phantasie und Wirklichkeit hoffnungslos verwischt gewesen.“ Jetzt, mit fast 70, widmet er sich dem Anfang dieser Verwischung – in einer Fiktion, einem filmischen Alptraum, der u.a. das hinterlässt, was ich gerade beim Schreiben noch immer empfinde: die Eiseskälte, die Wut und eine Art existenzielle Hoffnung, am Schluss des Films überwältigend durch die Musik Wladyslaw Szpilmans dargetan.

Er hat fast alle seiner Peiniger, die Schinder und Mörder seiner Eltern und der Millionen anderen überlebt. 2000 ist er gestorben.

Adrien Brody kommt diesem Mann, der sich durchschlägt, der leidet, aber ohne das falsche (?) Pathos, das „nur“ auf das Publikum abstellt, sehr nahe, so nahe, dass er gegen den Raum des Schreckens steht und doch zugleich in ihm ist. Er steht für den letzten „Rettungsanker“ einer Menschheit, die das auch alles irgendwie zugelassen hat.

Es gibt scheinbar kein „Dazwischen“ der Emotionen in Polanskis Film. Man steht mit Szpilman in diesem unerträglichen und doch unvermeidlichen Raum einer absonderlichen, skrupellosen Normalität. Das „Dazwischen“ ist andererseits trotzdem vorhanden: die Diskrepanz zwischen dem, was Wladyslaw Szpilman erlebt hat und wir nicht. Auch „Der Pianist“ ist der (wiederholte und immer wiederholte notwendige) Versuch, die Geschichte des Holocaust „in unsere Kultur einzuschreiben“ (Georg Seeßlen), ein Versuch, der immer wieder scheitert und immer wieder scheitern muss, weil er das Menschliche gegen die Zeichen des Terrors, des Willkürlichen, des Unfassbaren, Ungreifbaren setzt und setzen muss. Trotzdem gibt es ein Verbindungsglied zwischen „ihm“ (Szpilman) und uns: sein unbändiger Wille zum Leben, nicht nur zum Überleben. Filme über den Holocaust lehren uns, wenn wir es wollen, und wir sollten es unbedingt wollen, von den Grenzen des Kinos, der Bilder, die wir uns auch außerhalb der Welt des Films machen. (3). Filme sind in der Lage, Mythen zu kreieren, Mythen auch über den Holocaust, die sich tief in unser Verständnis historischer Prozesse einnisten und Bilder produzieren können, die sich für bare Münze nehmen (lassen). „Der Pianist“ steht jedenfalls nicht in einer solchen Tradition, weil er das missing link zwischen dem Unerfahrenen und uns für eine kurze Zeit aufleuchten lässt, lassen kann.

(1) Vgl. Simone Mahrenholz über den Film im Tagesspiegel „Flucht in die Hölle“ vom 23.10.2002.
(2) Zur Person von Wilhelm Adalbert Hosenfeld, der 1952 in einem sowjetischen Lager ums Leben kam, vgl. „Die Welt“: „Spielen Sie was“ vom 24.10.2002.
(3) In dieser Hinsicht empfehle ich die Lektüre der Besprechung des Films durch Georg Seeßlen in der „Zeit“ sowie seinen Aufsatz „Echt ist uns nicht echt genug“ in der „taz“ vom 24.10.2002.


Weitere Polanski-Filme:
“Der Mieter” (1976)

Das Messer im Wasser-Cover DVD
Das Messer im Wasser-Gefahr
Das Messer im Wasser-Verlockung
Ekel-Cover DVD
Ekel-Carole verrückt
Ekel-Familie
Rosemaries Baby-Filmplakat
Rosemaries Baby-1
Rosemaries Baby-2
Chinatown-Filmplakat
Chinatown-1
Chinatown-2
die neun pforten-filmplakat
Die neun Pforten-1
Die neun Pforten-2
Der Pianist-Filmplakat
DerPianist-Ghetto
Der Pianist-Szpilman