Reise in Italien
(Viaggio in Italia)
Italien 1954, 79 Minuten
Regie: Roberto Rossellini

Drehbuch: Roberto Rossellini, Vitaliano Brancati
Musik: Renzo Rossellini
Director of Photography: Enzo Serafin
Montage: Jolanda Benvenuti
Produktionsdesign: Piero Filippone

Darsteller: Ingrid Bergman (Katherine Joyce), George Sanders (Alexander Joyce), Leslie Daniels (Tony Burton), Natalie Ray (Natalie Burton), Maria Mauban (Marie), Anna Proclemer (Prostituierte), Jackie Frost (Betty), Paul Muller (Paul Dupont)

Szenen einer Ehe

Neapel. Leben. Vitalität. Eine Villa außerhalb bietet den Blick in die Weite, auf den Vesuv, nach Sorrent und auf die Insel Capri. Das Meer öffnet sich, strahlt Ruhe und Frieden aus. Und es sind diese Bilder, es ist diese Lebensfreude des Südens, die so drastisch konterkariert werden von einer Ehekrise. Ein Auto fährt Richtung Neapel. Das englische Ehepaar Katherine und Alex Joyce (Ingrid Bergman, George Sanders) hat die Villa geerbt, von einem verstorbenen Onkel, der Jahrzehnte in Italien gelebt hatte. Doch die beiden wollen das Haus nicht etwa beziehen, sondern verkaufen. Acht Jahre sind die beiden verheiratet.

Alex ist Anwalt, vor allem aber so etwas wie ein Workaholic. Er redet fast nur von seiner Arbeit, dass er den Verkauf der Villa schnell hinter sich bringen will, um rasch wieder nach Hause zurückzukehren. Anders Katherine. Sie will am liebsten länger hier bleiben. Sie lebten wie zwei Fremde nebeneinander her, sagt sie zu Alex. Und hier, in der Fremde, im Ungewohnten, abseits des ehelichen Alltags, wird immer deutlicher spürbar, wie weit sich beide auseinander gelebt haben.

Rossellini inszenierte diese Geschichte, diese Szenen einer Ehe, nicht als ein ausgereiftes Melodrama, obwohl der Schluss des Films melodramatisch ist. Fast nüchtern wirkt sein Blick und der Blick der Kamera auf das Paar, das sich darin ergeht, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Alex ist ein Zyniker, ein arroganter Kerl. Als Katherine an einen verstorbenen Dichter denkt, den sie kannte, und eines seiner Gedichte zitiert, quittiert er dies mit der Bemerkung, Dichter und Dummköpfe seien dasselbe. Katherine hingegen geht ihre eigenen Wege. Mehrfach fährt sie nach Neapel, um sich ein Museum anzuschauen, Statuen von Nero, Tiberius und Herkules. Oder die Ausgrabungen in Pompeji. Oder den Apollo-Tempel. Alex empfängt mit den beiden Verwalten der Villa, den Burtons, die Interessenten, und als es wieder einmal zum Krach kommt, entschließt er sich, ohne Katherine nach Capri zu fahren, um sich dort zu amüsieren. Katherine weicht ihm aus, greift ihn an, ist wütend, weil er sich nach einer Party, bei der sie sich amüsiert hatte, wieder einmal über sie lustig macht, ihr „romantische Versponnenheit” vorwirft und sie darauf kontert: „Du und Deine Arbeit.”

Die Kälte der Gefühle hier scheint auf die Hitze der Gefühle dort zu treffen. Der Panzer, den sich Alex zugelegt hat, um ja nicht Gefühle zeigen zu müssen, ist durchlässig. Das Zynische, Verletzende, Erniedrigende kommt – als ob es zeitlich abgestimmt wäre – zum Vorschein. Die Speerspitzen treffen. Katherine, die Verletzte, lebt in ihrer Verletzung. Sie kostet sie aus. Sie schießt zurück, ebenso gezielt, aber mit der Mentalität des Opfers, das seine Rolle angenommen hat. Man beißt sich fest. „Du und deine Arbeit” hier, „Du und deine romantische Versponnenheit” dort. Man könnte auch sagen „Du und dein kalter Verstand” hier, „Du und Deine Gefühlsduselei” dort.

Während sich Katherine – in der zeitweiligen Flucht vor Alex – dem Antiken, dem Toten, dem Vergangenen, dem Erstarrten in Museen und in Pompeji zuwendet, scheint sich Alex dem Leben, der Freude zu widmen, als er nach Capri fährt, Klavier spielt und anschließend eine Prostituierte in Neapel mitnimmt. Doch diese Ferne zwischen den beiden ist zugleich ihre Nähe, eine Nähe, die verletzend ist, eine Nähe, die sich als eine Art Machtkampf entpuppt, als ein regelrechter Krieg. Eine Nähe, in der sich beide reiben, ein Wechselbad von Anziehung und Abstoßung.

„Ich werde nicht nachgeben. Er wird schon sehen, was er davon hat”, sagt Katherine im Auto. Und Rossellini zeigt Ingrid Bergman in Großaufnahme, auf uns zufahren. Und dann zeigt er uns – als Alex aus Capri und Neapel in die Villa zurückkehrt –, wie aufmerksam Katherine horcht, was er jetzt macht, wohin er geht, ob er zu ihr kommt. Aber Alex reagiert wiederum kalt, abweisend. Man wolle sich scheiden lassen, sagen beide.

Und wirklich scheinen der kühle Verstand und die eiskalte Vernunft zu kämpfen gegen den beißenden Vorwurf und die stechende Emotion. Der Täter und sein Opfer. Das Opfer und sein Täter. Beides verschwimmt uns in seiner Klarheit vor den Augen. Und wir spüren, vor allem bei Katherine, aber auf andere Weise eben auch bei Alex, was sich hinter diesem neurotischen Kampf an Gefühl, an Wunsch, an Sehnsucht verbirgt. Der Wunsch nach Zuneigung. Man könnte auch sagen: Während Alex unfähig ist, seine Gefühle zu offenbaren, seine Wünsche zu artikulieren und statt dessen alles durch seinen Verstand abwehrt, was ihm an Emotion entgegen flutet, ist Katherine nicht in der Lage, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Beide entkommen der Realität, reagieren neurotisch. Katherine hält es nicht aus, als die Archäologen in Pompeji die Skelette eines Paares ausgraben, das durch die Lava getötet wurde. Sie sieht sich und Alex, zwei Tote, zwei Lebende, deren Beziehung tot zu sein scheint.

Dass Rossellini diese Ehekrise am Schluss durch einen Akt der Besinnung beendet, mag überraschen. Es hätte auch anders ausgehen können. Als beide mit dem Auto in einer Prozession zum Halten gezwungen sind und aussteigen, beeindruckt davon, dass die Neapolitaner dies nicht nur als eine rituelle, religiöse Handlung begreifen, sondern selbst eine solche Prozession als Teil ihrer Lebensfreude genießen, wird Katherine plötzlich durch die dichte Menschenmenge mitgerissen. Sie ruft um Hilfe, nach Alex. In diesem Moment des Weggerissenwerdens wird den beiden offenbar etwas bewusst. Eine fremde Kraft reißt sie auseinander. Ihre eigene Kraft bringt sie wieder zusammen.

Das destruktive Fremde und die neurotische Nähe zwischen den beiden wird plötzlich als etwas Wesensfremdes deutlich und beiden bewusst. Der Schrei um Hilfe hier, die Angst um Verlust dort ist wechselseitig. Der sehnliche Wunsch am anderen überwiegt plötzlich die Angst, das unstillbare Bedürfnis am anderen zerstört den Krieg zwischen beiden. Sie fallen sich in die Arme. Erlösung. Wie weggeblasen scheint das Fremde, das Ferne zwischen beiden. Dieser romantische Schluss aber vermittelt eine andere Romantik als jene blinde Romantik, die den Verstand auszuhebeln weiß. Es ist eine Art aufgeklärte Romantik. Auch wenn längst nicht alles zwischen den beiden geklärt scheint, so sind sie sozusagen auf dem besten Weg zueinander.

Alles scheint seine Wertigkeit verloren zu haben, was bisher galt: der Krieg, der Kampf um Macht, der Zynismus, die Opfermentalität, die Herrschaft des Verstandes ebenso wie die Herrschaft der Gefühle. Dass Rossellini dies alles in einer fast nüchternen, sachlichen Inszenierung zeigt und in die wunderbare Szenerie aus Neapel und Umgebung einbettet, macht „Viaggio in Italia” zu einem Vorläufer der nouvelle vague in Frankreich, deren Protagonisten auf diesen Film und „Stromboli” rekurrierten, während die Verfechter eines „reinen” Neorealismus nicht erkannten, wie Rossellini gerade diesen Neorealismus mit beiden Filme fortentwickelte. Ich vermute sogar einmal, dass auch ein Regisseur wie Ingmar Bergman stark durch Rossellini beeinflusst wurde.

Roberto Rossellini wäre am 8. Mai 2006 100 Jahre alt geworden. Anlässlich dieses Tages erschien jetzt die DVD „Roberto Rossellini Anniversary Edition“ mit den vier Filmen „Reise in Italien“, „Stromboli“, „Deutschland im Jahre Null“ und „Paisà“, die bei jpc € 25,99 kostet. Die DVD-Edition enthält ein ausführliches Booklet zum Regisseur und seinen Filmen.