Rosen für den Staatsanwalt
Deutschland 1959, 97 Minuten
Regie: Wolfgang Staudte

Drehbuch: George Hurdalek
Musik: Raimund Rosenberger
Director of Photography: Erich Claunigk
Montage: Klaus Eckstein
Produktionsdesign: Walter Haag, Hans Kutzner

Darsteller: Walter Giller (Rudi Kleinschmidt), Martin Held (Dr. Wilhelm Schramm), Ingrid van Bergen (Lissy), Camilla Spira (Hildegard Schramm), Werner Peters (Otto Kugler), Wolfgang Wahl (Verteidiger), Werner Finck (Haase), Ralf Wolter (Hessel), Roland Kaiser (Werner Schramm)

Verleugnung vs. Wahrhaftigkeit

„Wissen Sie, wie ich mir die
Gerechtigkeit jetzt vorstelle?
Wie ein appetitliches, junges,
besonders sauberes Mädchen.“
„Wieso das?“
„Weil sie so oft baden geht.“
(Kleinschmidt zu seinem
Verteidiger)

Die Auseinandersetzung mit der jüngsten NS-Vergangenheit nach 1945 im kulturellen Bereich war bis in die späten 60er Jahre nicht gerade einfach. Der deutsche Nachkriegsfilm war beherrscht von sog. Heimatfilmen, in denen es praktisch keine Vergangenheit und keine Zukunft gab, in denen die bis zum Exzess gesteigerte Idylle einer unwirklichen Welt ausgebreitet wurde; zum anderen von Wirtschaftswunder-Filmen, so eine Art Mutmacher-Streifen, in denen die Jahre 1933-45 ebenfalls ausgeblendet waren. Nur wenige Regisseure wagten sich an das, was man gemeinhin als Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit nannte. Zu ihnen gehörte v.a. Wolfgang Staudte. Seine bekanntesten Filme in dieser Hinsicht waren „Die Mörder sind unter uns“ (1946), ein Film, der allerdings noch in der SBZ bei der DEFA gedreht wurde (mit Hildegard Knef in der Hauptrolle), „Der Untertan“ (1951), ebenfalls ein DEFA-Film, in dem Staudte nach dem Roman von Heinrich Mann sozusagen die Vorgeschichte des NS verarbeitete (mit Werner Peters in der exzellent gespielten Rolle des Diederich Hessling), und eben „Rosen für den Staatsanwalt“ (1959).

Während des Krieges setzt sich Kriegsgerichtsrat Schramm (Martin Held) vehement dafür ein, den Soldaten Rudi Kleinschmidt (Walter Giller) wegen eines vermeintlichen Diebstahls von Schokolade (in Wirklichkeit hatte Rudi die Schokolade von niederländischen Schwarzhändlern gekauft) zum Tode zu verurteilen. Schramm bietet alle seine Fähigkeiten, die NS-Ideologie in den letzten Monaten des Krieges verbal zur höchsten Blüte zu entfalten, auf, um das Militärgericht zu zwingen, entsprechend zu urteilen. Wehrkraftzersetzung, Diebstahl als Ausdruck des Komplotts mit dem Feind und Verhinderung des Endsieges usw. Nur durch den glücklichen Umstand eines alliierten Fliegerangriffs kann Rudi kurz vor der geplanten Hinrichtung entfliehen – mit dem Todesurteil, das ihm nach der Detonation von Bomben entgegen flattert.

Knapp 15 Jahre später. Schramm, der seine Vergangenheit als NS-Kriegsgerichtsrat vor den Alliierten und seinen Vorgesetzten verschweigen und sich als Gegner des NS darstellen konnte, ist nun Oberstaatsanwalt und angesehener Bürger seiner Stadt, verheiratet mit Hildegard (Camilla Spira), zwei Söhne, Werner (Roland Kaiser) aus Hildegards früherer Ehe und Manfred (Burkhard Obrigies). Doch in Wirklichkeit hat sich an seiner Gesinnung nicht viel geändert. Als ein Oberstudienrat einen Möbelhändler beleidigt und Schramm eigentlich Anklage erheben müsste, lässt er die Anklageschrift für einige Tage verschwinden und verhilft dem Beschuldigten so zur Flucht. Auch gegenüber seiner Familie kehrt Schramm immer wieder heraus, was im Leben wichtig sei: Vaterland, Ehre, Disziplin.

Rudi Kleinschmidt schlägt sich als Straßenverkäufer durch. Er verkauft Spielkarten, Krawatten und was ihm so unter die Finger kommt. Eines Tages nehmen ihn zwei Fernfahrer (der Kabarettist Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller) mit in die Stadt, in der Schramm lebt. Und es kommt, wie es kommen muss: Schramm sieht Kleinschmidt auf der Straße als Verkäufer. Er glaubt ihn zu kennen, weiß aber nicht mehr woher. Rudi hingegen erkennt Schramm sofort – behält sein Wissen aber für sich, auch gegenüber der Pensionswirtin Lissy (Ingrid van Bergen), die er nach Jahren wieder aufsucht, die er liebt, die jedoch von ihm nichts wissen will, weil sie ihn für einen Versager hält.

Schramm hingegen ist nervös. Er ahnt, dass mit Kleinschmidt jemand in die Stadt gekommen ist, der ihm schaden könnte. Und schließlich erinnert er sich, wer dieser Mann ist und versucht über die Polizei, Kleinschmidt aus der Stadt zu jagen. Man nimmt unter einem Vorwand Rudi die Karten weg, entzieht ihm den Gewerbeschein. Doch das alles nützt nichts. Obwohl Rudi zunächst die ganze Sache mit dem Todesurteil auf sich beruhen lassen wollte, wehrt er sich nun, als man ihm das bisschen Existenzgrundlage wegnehmen will, das er hat. Er schlägt eine Schaufensterscheibe ein und nimmt Schokolade von der Marke mit, wegen der er damals verurteilt wurde. Es kommt zum Prozess gegen Rudi ...

Staudtes Film ist ein unverzerrtes Spiegelbild der deutschen Nachkriegsgesellschaft – nicht nur in Bezug auf das Hauptthema des Films. Aber was ist eigentlich dieses Hauptthema? Das Verschweigen, der Opportunismus, die Verleugnung der jüngsten Vergangenheit, Korruption, Intrige? Nun, von allem etwas. Und in diesem Etwas steckt viel an Realität jener Zeit.

Wir treffen auf einen jener – von Martin Held, einem der wohl besten Charakterdarsteller nicht nur der 50er Jahre, in allen Facetten der Person des Oberstaatsanwalts glänzend gespielten – „Überlebenden” der NS-Machtstrukturen, die es schafften, auch in der neuen Republik an geeigneter Stelle unterzukommen – wahrlich kein Einzelfall, denkt man an Globke, den Staatssekretär unter Adenauer, mit entsprechender Vergangenheit, Theodor Maunz, einen der bekanntesten Grundgesetz-Kommentatoren, oder den Staatsrechtler Carl Schmitt, der auch nach dem Krieg in höchsten Kreisen und bis heute Ansehen genießt – trotz seiner Schriften wie u.a. „Der Führer spricht Recht”, in dem er den Röhm-Putsch gerechtfertigt und die politischen Morde als „höchste Form administrativer Justiz” bezeichnet hatte.

Schramm – und das zeigt die Darstellung durch Martin Held großartig – ist einer jener machtbesessenen, arroganten und elitär denkenden Egozentriker, die Begriffe wie „Vaterland, Ehre, Disziplin” immer dann im Munde führen, wenn es um das eigene Fortkommen, den eigenen Vorteil geht. Sie verklausulieren in solchen Begriffen das, was sie für sich persönlich wollen. Und es bereitet ihnen nicht nur Freude, über andere Macht auszuüben; sie sind in dieser Hinsicht geradezu sadistisch. Doch Schramm besitzt noch eine andere wichtige Eigenschaft: den Standesdünkel. Er und seinesgleichen wissen, dass all ihr Streben nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn sie es im elitären Kreis einer streng hierarchischen Ordnung „pflegen”, d.h. wenn jene „Gemeinschaft” von ihresgleichen bewahrt und geschützt wird, die einzig und allein ihren Allmachtsphantasien Aussicht auf Realisierung bietet.

Gleichzeitig wird durch Helds Darstellung Schramms aber auch deutlich, wie klein, ja mickrig, ordinär, feige und kleinbürgerlich solche Menschen sind, betrachtet man sie aus nächster Nähe. Ohne den geringsten Einfluss, ohne Macht und Geld wäre Schramm ein elender Wicht.

Staudte stellt Schramm einen Mann gegenüber, der als dessen genaues Gegenteil erscheint. Kleinschmidt gilt vielen als Versager, als einer, der es zu nichts gebracht hat. Auch seine frühere Geliebte Lissy denkt so über ihn – jedenfalls anfänglich. Rudi ist ein Ruheloser, einer ohne festen Wohnsitz und ohne Heimat. Er ist nirgendwo und überall zu Hause, nur laut, wenn er seine Krawatten anpreist, sonst aber ein stiller, fast in sich gekehrter Mann ohne Ehrgeiz, ohne Ambitionen. Er will nicht einmal das Unrecht, das ihm Schramm zugefügt hat, offenbaren. Das Urteil, das er ständig bei sich trägt, ist nur eine Erinnerung – eine Erinnerung für ihn, für einen wichtigen Teil seines Lebens. Rudi kennt keine Rachsucht. Er will nichts weiter, als sein Zeug verkaufen – und er will Lissy. Doch auch das nicht um jeden Preis. Er ist bereit zu gehen, als Lissy ihm deutlich macht, das sie ihn zwar gern wiedergesehen habe, seine Mentalität aber verachte.

Und Lissy? Sie gehört zu jenen Millionen, die an das Wirtschaftswunder so fest glauben wie an die Notwendigkeit, die Vergangenheit zu verleugnen, zu vergessen oder zu verdrängen. Sie akzeptiert das „Oben” und „Unten”, das System von „besseren” und „schlechteren” Leuten. Sie will nur ein bisschen vom Kuchen ab haben – ihre Pension und Wirtschaft sollen laufen. Erst sehr spät erkennt sie, was in Rudi wirklich steckt. Erst spät erkennt Rudi, dass Leute wie Schramm und alle, die hinter ihm stehen, bereit und willens sind, ihm das bisschen Existenzgrundlage auch noch zu nehmen, das er hat. Erst jetzt ist er dazu entschlossen, das aufzudecken, was nicht nur ihn persönlich betrifft, sondern Millionen anderer auch.

Staudte beschränkt sich jedoch nicht hierauf. Als Rudi den Stammtischbrüdern Kugler (Werner Peters), Bauunternehmer, Haase (Werner Finck) und Hessel (Ralf Wolter), einem Lebensmittelhändler, von dem Todesurteil erzählt, wird der ganze Opportunismus jener Jahre ruchbar. Während Hessel Frau Schramm weiter in devoter Haltung bedient, als wäre nichts geschehen, versucht Kugler Schramm mit seinem Wissen zu erpressen, um an Bauaufträge zu kommen. Und Haase? Der verfasst einen fünf Seiten langen Protestbrief, in dem er Schramm angreift – um ihn dann, statt in den Briefkasten zu werfen, zu zerreißen mit der Bemerkung:

„Also man müsste sich überlegen,
ob man nicht dem Getriebe der
Welt mit philosophischer Gelassenheit
und Verachtung gegenüberstehen
sollte. ... Ich weiß nicht, ob man
nicht lieber zu der großen Zahl der
Stillen im Lande gehören sollte.“

Kleinschmidt, der angebliche Versager, aber lässt es zum Prozess gegen sich kommen. Und es ist Schramm, der in seiner ganzen Nervosität und Angst vor dem gesellschaftlichen Fall in diesem Prozess den entscheidenden Fehler macht, der die Wahrheit ans Licht bringt. Kleinschmidt aber bewahrt etwas, was Schramm nie kannte und nie kennen wird: Wahrhaftigkeit und Treue zu sich selbst.

Im übrigen sehen wir keinen etwa todernsten Film. Nein! Staudte gelingt es, besonders in der Darstellung Schramms durch Martin Held, aber auch in der Figur des Rudi Kleinschmidt durch Walter Giller immer wieder einen Sarkasmus zu zelebrieren, der dem Film insgesamt sehr gut tut. Dabei ist das Komische in der Figur des Oberstaatsanwalts zugleich das Tragische und Erbärmliche. Man kann über einen solchen Mann „eigentlich“ nur lachen – obwohl man weiß, dass auch nur ein bisschen Macht solche Menschen zu Raubtieren werden lässt.

Ein wichtiger Film, der neben anderem sicherlich auch einen Beitrag dazu leistete, in den 60er Jahren endlich die Vergangenheit nicht Vergangenheit sein zu lassen, sondern sich ihr zu stellen. Darüber hinaus hat der Film in wichtigen  Punkten kaum an Aktualität verloren.

© Bilder: Kinowelt.
Screenshots von der DVD.