Shandurai und der Klavierspieler
(Besieged)
Italien, Großbritannien 1998, 93 Minuten
Regie: Bernardo Bertolucci

Drehbuch: James Lasdun, Bernardo Bertolucci, Clare Peploe
Musik: Alessio Vlad, Johann Sebastian Bach
Director of Photography: Fabio Cianchetti
Montage: Jacopo Quadri
Produktionsdesign: Gianni Silvestri

Darsteller: Thandie Newton (Shandurai), David Thewlis (Jason Kinsky), Claudio Santamaria (Agostino), John C. Ojwang (Sänger)

Tief gefallen ...

Da sind sie in der Erinnerung – die großen Filme Bernardo Bertoluccis, etwa „Der letzte Tango in Paris” (1972) oder „Der Konformist” (1970), und auch „Der letzte Kaiser” (1987). Aber da sind auch einige Enttäuschungen – etwa das langatmige episch angelegte und ideologiegetränkte „1900” (1976) und sein 1998 gedrehter Film „Besieged”.

Die Geschichte, die der italienische Regisseur hier erzählt, ist in ihrer Struktur einfach, ja fast simpel. Der Film kommt mit sparsam gesetzten Dialogen aus. Ebenso sparsam ist die Besetzung. Denn im Grunde spielen nur zwei Akteure eine Rolle. All das deutet für sich allein weder auf einen guten, noch auf einen schlechten Film hin. In „Der letzte Tango in Paris” bewies Bertolucci, wie mit minimalem Aufwand ein begeisternder Film inszeniert werden kann. In „Besieged” allerdings geht all das zum Teufel, was ihn durch den „Tango” auszeichnete.

Der Film öffnet mit Szenen aus einem afrikanischen Staat, in denen der Mann der jungen, schönen Shandurai (Thandie Newton) von den Schergen des dortigen Diktators verhaftet wird, weil er ein Gegner des Regimes ist. Shandurai beschließt, in Rom Medizin zu studieren. Um ihr Studium zu finanzieren, nimmt sie die Stellung einer Haushälterin bei dem Pianisten und Klavierlehrer Jason Kinsky (David Thewlis) an, der in der von einer Tante geerbten Villa lebt und arbeitet.

Kinsky findet zunehmend Gefallen an Shandurai. Er beobachtet sie – beim Bügeln, beim Saubermachen oder wenn sie das Haus verlässt, um ihre Kurse an der Universität zu belegen. Er macht ihr Geschenke, etwa einen Ring, der seiner Tante gehört hatte. Shandurai ist dies alles unangenehm. Und sie bringt Kinsky den Ring zurück. Der erklärt, er liebe sie über alles, habe noch nie eine Frau so begehrt wie sie. Er würde alles für sie tun, wenn sie ihn auch liebe. In ihrer Verzweiflung schreit Shandurai: „Dann holen Sie meinen Ehemann aus dem Gefängnis!”

Kinsky wusste nicht, dass die junge Frau verheiratet ist. In der Folgezeit lässt er sie in Ruhe, bedrängt sie nicht mehr, während Shandurai weiterhin die Villa sauber hält und ihre erste Prüfung mit der Höchstpunktzahl besteht.

Eines Tages entdeckt sie im Papierkorb Kinskys einen Briefumschlag aus ihrer Heimat, adressiert an Kinsky. Und wenig später bemerkt sie, dass der Pianist sämtliche Bilder, einen Wandteppich und schließlich auch seinen Flügel verkauft. Und sie erfährt, dass ihr Mann zunächst aus dem Militärgefängnis in ein normales Gefängnis verlegt wurde, dann, dass er frei gekommen ist und sich auf dem Weg nach Rom befindet.

Diese Geschichte – untermalt einmal mit afrikanischer Musik, dann wieder mit dem Klavierspiel Kinskys – zieht sich im wahrsten Sinn des Wortes über eine Spanne von gut neunzig Minuten hin, angelegt als eine Art gegenseitiges „Umeinander-Herum-Schleichen” zwischen den beiden Hauptakteuren. So unerfindlich es bleibt, warum Bertolucci diesem Duo noch einen schwulen Kommilitonen für Shandurai namens Agostino (Claudio Santamaria) beistellt, der überhaupt keine Funktion in der Handlung hat – außer vielleicht Pausen-Füllsel zu sein –, so unerfindlich ist die Geschichte selbst. Das beginnt schon damit, dass die Entscheidung der jungen Frau, nach der Verhaftung ihres Mannes, von dem sie erklärt, dass sie ihn über alles liebe, nach Rom zu gehen, ohne nachvollziehbare Erklärung bleibt. Das setzt sich fort in der minimalistischen Art, wie David Thewlis den Pianisten spielt, wortkarg, die meiste Zeit ohne Emotionen und in der Szene, in der er Shandurai seine Liebe erklärt, so wenig überzeugend und gekünstelt, dass man die Hand vor Augen halten möchte, um dieses Trauerspiel nicht mit ansehen zu müssen.

Dieses „Umeinander-Herum-Schleichen” ist zudem von einer gähnenden Langeweile geprägt. Man sieht ihn Klavierspielen, sie studieren und putzen, ab und zu werden heimliche oder direkte Blicke getauscht – das war’s. Nein, halt, das wird immer wieder wiederholt!

Wenig überraschend ist auch, dass Kinsky – als Shandurai ihm verkündet hat, ihr Mann sitze im Gefängnis – „aus Liebe” alles daran setzt, um ihren Mann frei zu bekommen. Die entsprechenden Bemühungen drückt Bertolucci seinem Publikum derart dick „auf’s Auge”, dass man daran zweifeln muss, ob aus dieser Geschichte überhaupt ein überzeugender Film hätte gemacht werden können. Der Verkauf sogar seines Flügels setzt dem ganzen deshalb die Krone auf, weil es aus dem Kontext einer oberflächlichen und langweiligen Handlung kaum verständlich ist.

Man könnte das natürlich auch unter den Satz subsumieren: „Wer liebt, tut alles für den / die Geliebte(n).” Dieser Satz hätte allerdings nur in einer überzeugenden, fundierten Geschichte einen wirklichen Sinn. Hier verkommt er zum Teil, sagen wir, der „Brigitte”-Küchenpsychologie.

Der Schluss des Films setzt dem ganzen dann noch eine Krone auf: Derart nicht nur überrascht, sondern tief emotional beeindruckt vom Handeln ihres Pianisten und Brötchengebers legt sich Shandurai abends vor der Ankunft ihres frei gelassenen Mannes neben den bereits schlafenden Kinsky, um am Morgen nackt neben ihm aufzuwachen. Ob beide Sex hatten, spielt eigentlich keine Rolle. Entscheidend ist, dass – als ihr Mann an der Haustür klingelt – Shandurai lange liegen bleibt und die Tür erst öffnet, als sich der angeblich so geliebte Ehemann, von dem man nur den Finger auf der Klingel sieht, höchstwahrscheinlich enttäuscht wieder abgezogen ist.

Das erkläre mir einer. Und man erkläre mir bloß nicht, die Gedanken und Gefühle einer Frau seien unergründbar. Vergesst es!! Ich würde eher sagen: Die Gedanken eines Regisseurs sind hier unergründlich – nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen guten Film. Statt dem geliebten Mann, der sich für die Freiheit in seinem Land eingesetzt hatte und deshalb verhaftet worden war, zu öffnen, fällt sie in die Arme eines Mannes, dessen Charakter im Film noch dazu extrem schwach und schemenhaft skizziert wird. Anders formuliert: Sie bleibt bei dem Europäer, der sein Klavier verkauft hat, und nicht bei dem Afrikaner, der sein Leben aufs Spiel gesetzt hat – auch und gerade ihretwegen und wegen eines gemeinsamen Lebens in Freiheit – und von dem Bertolucci nur zeigt, wie er verhaftet wurde und wie er am Schluss an der Tür klingelt. Da kommen einem schon gewisse Gedanken in Richtung kultureller Arroganz.

Selten hat mich ein Film so ratlos und schulterzuckend, gelangweilt und unbefriedigt zurückgelassen. Aber vielleicht gibt es ja eine tiefere Wahrheit in dieser Inszenierung, die ich in meiner Bescheidenheit nur nicht erkennen kann.

Sicher, Thandie Newton ist eine Augenweide und die Musik des Films beeindruckend. Allein, daraus entsteht noch nichts.

© Alamode Film.
Screenshots von einer Ausstrahlung auf 3Sat.