Sin City
(Sin City)
USA 2005, 124 Minuten
Regie: Robert Rodriguez, Frank Miller, Quentin Tarantino

Drehbuch: Frank Miller, nach seinen Comics „The Hard Goodbye“, „The Big Fat Kill“ und That Yellow Bastard“
Musik: John Debney, Graeme Revell, Robert Rodriguez
Director of Photography: Robert Rodriguez
Montage: Robert Rodriguez
Produktionsdesign: Jeanette Scott, David Hack,

Darsteller: Clive Owen (Dwight), Mickey Rourke (Marv), Bruce Willis (Hartigan), Nick Stahl (Roark Jr. / Yellow Bastard), Benicio del Toro (Jackie Boy), Jaime King (Goldie / Wendy), Michael Madsen (Bob), Brittany Murphy (Shellie), Jessica Alba (Nancy Callahan), Devon Aoki (Miho), Elijah Wood (Kevin), Alexis Bledel (Becky), Powers Boothe (Senator Roark), Rutger Hauer (Kardinal Roark), Rosario Dawson (Gail), Michael Clarke Duncan (Manute), Carla Gugino (Lucille), Josh Hartnett (Der Mann), Makenzie Vega (Nancy Callahan, 11 Jahre alt)

Ein Fest für die Sinne

„An old man dies.
A young girl lives.
A fair trade.
I love you, Nancy.“
(Bruce Willis als Hartigan)

Wer Filme wie „The Maltese Falcon“ (1941, Regie: John Huston, mit Humphrey Bogart und Peter Lorre), „Chinatown“ (1974, Regie: Roman Polanski, mit Jack Nicholson und Faye Dunaway) oder schon Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931) kennt und möglicherweise lieben gelernt hat, weiß zum einen ungefähr, was film noir bedeutet. Zum anderen müsste er / sie auch Robert Rodriguez „Sin City“ lieben. Denn Rodriguez ist – nicht zuletzt auch mit Hilfe digitaler Technik – mit diesem Film etwas gelungen, was alle bisherigen Comic-Adaptionen für das Kino nicht leisten konnten: „Sin City“ IST ein Comic, sozusagen ein Comic noir, nicht „einfach“ nur eine Comic-Adaption, auch wenn Frank Millers düstere Comic-Bücher Pate für „Sin City“ standen. „Sin City“ IST der in bewegte Bilder mit dem entsprechenden Flair des dunklen Comic umgesetzte Film-Comic – etwas, was man vielleicht nicht für möglich gehalten hätte. Als wenn sich die kleinen, aneinander gereihten Comic Strips in Leben verwandelt hätten.

Während „Spider Man“, „Hulk“ oder „Superman“ noch mehr als deutlich den Unterschied zwischen Comic und Film offenbarten, sprengte Rodriguez die Grenzen zwischen Kino, Film noir und Comic. Ich will noch nicht davon sprechen, dass „Sin City“ ein neues Genre begründet. Das zu behaupten, wäre vielleicht zu verfrüht. Aber sein Film ist auf dem besten Weg dahin. Der amerikanische Filmkritiker Robert Sklar definierte film noir einmal so:

„Das Kennzeichen des Film noir ist
sein Sinn für in einer Falle sitzende
Menschen – gefangen in einem Netz
von Paranoia und Angst, unfähig,
Schuld von Unschuld zu unterscheiden,
echte Identität von falscher. Die Bösen
sind anziehend und sympathisch (...) .
Seine Helden und Heldinnen sind schwach,
verstört. Die Umwelt ist düster und
verschlossen, die Schauplätze andeutungsweise
bedrückend. Am Ende wird das Böse
aufgedeckt, aber das Überleben der
Guten bleibt unklar und zwiespältig.“ (1)

Fast alle Faktoren dieses Definitionsversuchs treffen auf „Sin City“ zu. Die drei „Helden“ dieses Films – Clive Owens Dwight, Bruce Willis Hartigan und Mickey Rourkes Marv, so unterschiedlich sie auch sein mögen – sind in ein Netz von Kriminalität, Bosheit, Skrupellosigkeit, in eine düstere, die Gesellschaft insgesamt negativ charakterisierende Umwelt verstrickt und bedienen sich – der eine mehr, der andere weniger – der Methoden dieser Umgebung, um zum Ziel zu gelangen.

Rodriguez unterteilte seinen Film in drei in sich abgeschlossene Geschichten, deren Zusammenhang nur über Kadie’s Bar in Old Town hergestellt wird. Sin City, eigentlich Basin City, ist ein Ort der Kriminalität, der Korruption, der Gewalt. Alle, vom einfachen Cop bis zum Kardinal, von der Prostituierten bis zum korrupten Senator bilden in dieser düsteren Welt ein kriminelles, soziales Geflecht. Fast erscheint es wie die Projektion aller negativen Strukturelemente heutiger Gesellschaften in eine künstlich inszenierten Welt.

In der ersten Geschichte will der anständige Cop Hartigan (Bruce Willis) einen Tag vor seiner Pensionierung die elfjährige Nancy (Makenzie Vega) dem psychopathischen Kinderschänder Roark Jr. (Nick Stahl), dem Sohn des Senators Roark (Powers Boothe), im letzten Moment entreißen. Was er nicht ahnt, ist, dass sein langjähriger Kollege Bob (Michael Madsen) sich hat von Roark kaufen lassen. Im entscheidenden Moment fällt Bob Hartigan in den Rücken ...

Abrupt wechselt Rodriguez die Szenerie und erzählt von Marv (Mickey Rourke), einem Bullen von einem Mann, hässlich, gefährlich, ein Einzelgänger, aber irgendwie auch mit Herz. Als er zu seiner eigenen Überraschung von der Prostituierten Goldie (Jamie King) verführt wird, nach dieser Liebesnacht jedoch Goldie ermordet neben sich findet, schwört er der Toten Rache. Der bereits informierten Polizei kann er entkommen. Die Spur führt ihn zu einer Farm, auf der der kein Wort sprechende Kevin (Elijah Wood) sein Unwesen treibt: An einer Wand hängen die abgeschlagenen Köpfe mehrerer Frauen. Ihre Körper soll Kevin verspeist haben ...

Ebenso abrupt wechselt Rodriguez zur dritten Geschichte, in der der edle Dwight (Clive Owen) die Kellnerin Shellie (Brittany Murphy) aus Kadie’s Bar vor dem brutalen Cop Jack (Benicio del Toro) rettet. Jack, wütend, versucht im Rotlichtviertel von Sin City die Prostituierte Becky (Alexis Bledel) in sein Auto zu bringen. Doch die bewaffneten Prostituierten von Old Town unter Führung von Gail (Rosario Dawson) nehmen bitter Rache an Jack. Er stirbt durch die Schwertkämpferin Miho (Devon Aoki) – wobei dieser Mord an einem Cop schwerwiegende Folgen für die in Old Town herrschenden Frauen haben könnte: Denn ihr Abkommen mit Mafia und Polizei, sich gegenseitig in Ruhe zu lassen, wurde durch den Polizistenmord gebrochen. Der Kopf Jacks muss schleunigst verschwinden. Schon tritt der Mafiosi Manute (Michael Clarke Duncan) auf den Plan, um der Herrschaft der Prostituierten ein Ende zu setzen. Dwight will den Frauen helfen ...

Am Ende greift Rodriguez die Geschichte von Hartigan nochmals auf: Acht Jahre nach seiner Verhaftung für Taten, die er nicht begangen hat, trifft er auf die inzwischen 19jährige Nancy (Jessica Alba) wieder, die ihm jahrelang Briefe ins Gefängnis geschrieben hatte ...

Wesentlich wichtiger als diese Geschichten selbst aber ist ihre Darbietung. Der im wesentlichen in Schwarz-Weiß gehaltene Film, in den nur ab und an Farbe kommt – rotes Blut, aber, wie bei Hartigan, auch Blut in Weiß, blaue Augen, ein in Gelb gehaltenes Scheusal, der Yellow Bastard –, besticht durch seine durchweg düstere Atmosphäre, wobei Rodriguez gerade auf (auch digital sicherlich mögliche) Überzeichnungen des Schauplatzes verzichtet. Das in Schwarz-Weiß gehaltene „Outfit“, die ganz überwiegend in der Nacht spielende Handlung und Regen sind neben den Farbtupfern eigentlich die einzigen Merkmale der äußeren Szenerie. Da hinein „taucht“ Rodriguez seine Comic-Figuren, die wirklich und überzeugend als solche erscheinen. Dazu bei tragen vor allem die im Stil des amerikanischen film noir – etwa auch der Philip-Marlowe-Geschichten – gehaltenen Dialoge, die z.B. sehr viel Ähnlichkeit mit den Dialogen in „Chinatown“ oder „The Maltese Falcon“ haben. Die drei männlichen Hauptfiguren – Willis, Rourke und Owen – erfüllen in diesem Kontext voll und ganz ihren Zweck: Willis braucht nur sich selbst, d.h. seine diversen Action-Film-Rollen, spielen. Rourke, ein Koloss mit „verunstaltetem“ Gesicht, bleibt ein Sympathieträger als Rächer von Goldie. Und Owen spielt den eigentlichen, man kann schon fast sagen, Superman-ähnlichen Helden ohne Furcht und Tadel.

Daneben treffen wir auf einen Elijah Wood als Psychopathen, der – auch dies sicherlich bewusst so inszeniert – ganz als das Gegenteil von Frodo, dem Helden aus „Der Herr der Ringe“, daher kommt: ein stummer, aber umso skrupelloserer Bösewicht, der selbst dann noch stumm bleibt, als ihn sein eigener Hund das Fleisch wegfrisst.

Ebenso überzeugend die Frauen aus Old Town, leicht und noch leichter bekleidet, aber umso entschiedener, wenn es um die ihren geht.

„Sin City“ zeigt Gewalt. Aber diese Gewalt wird derart oft in Komik und Zynismus aufgelöst, dass der Film – wie entsprechende Comics auch – in keiner Weise „gewalttätig“ oder gar Gewalt verherrlichend erscheint. „Sin City“ ist – wie Tarantinos (der eine Szene des Films als Regisseur verantwortete) Filme auch – Pulp, ein Pop-Film mit Pop-Archetypen, vollgepumpt mit Stereotypen und Klischees und in gewisser Weise auch eine Reminiszenz an die Pulp-Literatur und vor allem die „billigen“ Kriminalromane der 50er Jahre.

Und „Sin City“ ist extrem komisch, etwa wenn Dwights Stimme mit den Worten zu hören ist, Miho würde Jack nicht einfach den Kopf abschlagen, sondern aus ihm einen Pez-Spender machen. Oder wenn der abgeschlagene Kopf von Jack trotzdem noch spricht. Oder wenn Willis Hartigan, den man – mehr als mehrfach angeschossen – schon tot glaubte, im Krankenhaus aufwacht und sich beschwert, er würde ja immer noch leben. Oder wenn Marv – geprügelt bis zum Geht-nicht-mehr – immer wieder aufsteht und seine teils zynischen Kommentare ablässt.

Diese Auflösung von Gewalt in Komik ähnelt Tarantinos Filmen, und so ist „Sin City“ zugleich auch ein Schlag ins Gesicht des Hollywood-Kinos, in das Kino des Friede-Freude-Eierkuchens, ein Schlag gegen ein unehrliches, betrügerisches Kino, ein comic-noir-Kommentar, manchmal komisch, manchmal zynisch, zum Mainstream, der die sozialen Verhältnisse beschönigt und / oder in Happyends aller Sorten auflöst. Vor allem aber ist „Sin City“ ein unglaublicher Spaß und ein Fest für die Sinne all derjenigen, die den film noir ebenso schätzen wie „böse“ Comics, die blonde Engel, die nicht nur engelhaft sind, und starke Helden, die nicht nur edel sind, genauso mögen wie die düstere Atmosphäre des Sündenpfuhls (auf der Leinwand!). „Sin City“ ist Pop-Lyrik at it’s best, ein Pulp-Abenteuer zwischen Liebe und Tod, Heldenmut und Korruption bis in die obersten Ränge der Stadt. Einfach grandios!

(1) Robert Sklar: Movie-Made America: A Cultural History of American Movies, (Vintage Books: Revised Edition 1994)

Bilder: © http://www.movie.de/
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