True Romance (1993)
From Dusk Till Dawn (1996)





True Romance
(True Romance)
USA 1993, 120 Minuten
Regie: Tony Scott

Drehbuch: Quentin Tarantino, Roger Avery
Musik: Hans Zimmer
Director of Photography: Jeffrey L. Kimball
Montage: Michael Tronick, Christian Wagner
Produktionsdesign: Benjamin Fernández, James J. Murakami, Thomas L. Roysden

Darsteller: Christian Slater (Clarence Worley), Patricia Arquette (Alabama Whitman), Dennis Hopper (Clifford Worley), Val Kilmer („Elvis“), Gary Oldman (Drexl Spivey), Brad Pitt (Floyd), Christopher Walken (Vincenzo Coccotti), Bronson Pinchot (Elliot Blitzer), Samuel L. Jackson (Big Don), Michael Rapaport (Dick Ritchie), Saul Rubinek (Lee Donowitz), Conchata Ferrell (Mary Louise Ravencroft), James Gandolfini (Virgil), Tom Sizemore (Cody Nicholson), Chris Penn (Nicky Dimes)

„Sie schmeckt wie ein Pfirsich ...“

Zwischen „Reservoir Dogs“ (1992) und „Pulp Fiction“ (1994) legte Quentin Tarantino ein Drehbuch vor, aus dem Tony Scott („Enemy of the State“, 1998; „Spy Game“, 2001) eine wahre Liebesromanze zauberte, so wahr, dass man es kaum glauben kann. Da kämpft sich ein Paar durch die Unbill des Lebens, zwischen Kugelhagel und Kokain, fast schon kindlich naiv – und siegt am Schluss über alle Widrigkeiten und Widerstände, als ob das Leben nichts anderes mit ihm vorgehabt hätte: true romance. Klischees über Klischees begleiten Clarence (Christian Slater) und die Prostituierte Alabama (Patricia Arquette) auf ihrem Weg zur glücklichen Familie, als ob Hollywood die abgestandenen Standards seiner romantischen Komödien und seiner Crime-Storys mit einer seltenen Form von Geschmacksverfeinerung zu einem modernen Märchen gemixt hätte, das sehr wohl mundet, so dass – selten genug der Fall – die hauseigenen Abziehbilder und gängigen Stereotypen zu einem Gala-Diner der feinen Art modifiziert werden. Schmackhaft.

„They try to tell us we're too young
Too young to really be in love
They say that love's a word
A word we've only heard
But can't begin to know the meaning of.“ [1]

Scott geht auf Nummer Sicher und trifft den Publikumsgeschmack, wenn er den Einzelgänger Clarence, der auf Kung-Fu-Filme steht und Comics verkauft, auf die gerade mit ihrer „Karriere“ als Call-Girl beginnende Alabama treffen lässt, als wenn es nichts wäre, nichts als love at first sight. Sie kamen, sie sahen sich, sie siegten – respektive ihre Liebe. Nicht nur das: Sie halten fortan zusammen wie Pech und Schwefel, ohne sich gegenseitig in irgendeine Form von emotionaler oder sonstiger Abhängigkeit gefangen zu halten. Glorious! Nichts kann den beiden im Wege stehen, niemand kann ihnen etwas anhaben. Auch nicht Drexl Spivey (Gary Oldman), Drexl the Pimp, Alabamas Zuhälter, den Oldman in bekannter Manier spielt, mit langen Haaren, einem lila Hemdchen auf der Brust, gewalttätig, eklig, zynisch – einfach genial. Allerdings muss er für seine egozentrische Art, seine Umgebung voll und ganz in moderner Sklaverei zu halten, mit dem Leben bezahlen. Denn Clarence, der Alabamas Sachen bei Drexl abholen will, kennt kein Pardon. Er will Alabama auslösen – mit einem leeren Briefumschlag. Schon jetzt ist Alabama für ihn unbezahlbar, und Drexl bleibt die Luft im Umschlag, aber keine Luft mehr zum Leben. Clarence Worley hat sich Mut gemacht. Sein Alter Ego, Elvis, sein Mentor (Val Kilmer), ein Geist, der ihm des öfteren leibhaftig erscheint, hat ihm Mut gemacht: Töte Drexl, hat er ihm gesagt. Elvis kümmert sich ...

Alabama ist kurz entsetzt, doch dann entzückt, dass ein Mann für sie tötet. Nicht nur das: Der Koffer, in dem Clarence Alabamas Habe vermutete, ist randvoll mit Kokain im Wert von fünf Millionen Dollar. Was tun, sprach Zeus. Spuren verwischen, was sonst. Und da Clarence Vater, ein Wachmann, früher Polizist, noch immer Beziehungen zu seinen Ex-Kollegen hat, macht sich das Paar auf zu Clifford Worley (Dennis Hopper), der seinen Sohn seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Clifford soll herausbekommen, ob die Polizei irgendeinen Verdacht gegen das Paar hegt, was selbstverständlich nicht der Fall ist. Denn die Polizei glaubt an eine Mafia-interne Auseinandersetzung. Was die beiden allerdings nicht wissen: Der Mafiosi Vincenzo Coccotti (Christopher Walken), dem die wertvolle Fracht gehört, hat neben der Leiche des Pimps Drexl Clarence Ausweis gefunden. Schnell haben er und seine Lakaien Clifford gefunden, der ihnen verraten soll, wohin sich Clarence und Alabama aus dem Staub gemacht haben. Die sind unterwegs nach Los Angeles, um über Clarence alten Kumpel Dick Ritchie (Michael Rapaport) das Kokain zu verkaufen. Der kennt nämlich einen Filmproduzenten (Saul Rubinek) samt Angestelltem (Bronson Pinchot), der das Zeug möglicherweise kaufen würde.

Inzwischen allerdings sind auch die Cops Dimes und Nicholson (Chris Penn, Tom Sizemore) dem wertvollen Stoff und seinen Besitzern auf die Spur bekommen. Und Coccottis Leute, allen voran Virgil (James Gandolfini) treffen in Hollywood ein ...

„And yet we're not too young to know
This love will last though years may go
And then some day they may recall
We were not too young at all“ [1]

Je näher sich die Geschichte Hollywood nähert, desto deutlicher werden die Bezüge zum allseits bekannten Schmelztiegel der Filmbranche. Wir treffen auf zwei Klischee-Cops, auf Brad Pitt, den faulen Freund Dicks namens Floyd, der sich praktisch nur auf der Couch herum fläzt, auf Gangster, die den Crime-Storys der 40er Jahre entsprungen zu sein scheinen, auf einen standardisierten Mafiosi, der von Christopher Walken – wenn auch nur in einem kurzen Auftritt, bei dem Clarence Vater mit seinem Leben wegen seines Schweigens bezahlen muss – grandios verkörpert wird, auf einen ebenso stereotypen Filmproduzenten und seinen ängstlichen, leicht naiven Gehilfen. Und natürlich auf einen entschlossenen Clarence, den Christian Slater als das verkörpert, was er ist: als großen Jungen, der seine Träume endlich erfüllt.

„True Romance“ – das sind die visualisierten Träume eines Heranwachsenden über Heldenmut und Opfergeist, über Reichtum und Romantik, über Liebe und Stärke, über Gut und Böse, wie sie eigentlich nur Quentin Tarantino niederschreiben kann. Der Höhepunkt ist eine Szene, in der sich Gangster, Cops, Clarence, Alabama, Donowitz, Blitzer und Dick in einem Hotelzimmer allesamt gegenüberstehen. Die Polizisten schreien die Gangster an: „Waffen runter.“ Die Gangster schreien die Cops an. Alle schreien, alle haben Angst, alle wollen siegen, keiner will sterben. Der Rest steht zwischen den Fronten. Dann kracht es – und man rate, wer sich dem ganzen Spektakel mit heiler Haut entziehen kann – true romance.

„And yet we're not too young to know
This love will last though years may go
And then some day they may recall
We were not too young at all“ [1]

Scott lässt keine Langeweile aufkommen. Spritzig, einfallsreich, agil, mit viel Energie führt uns der Regisseur mit seiner Schauspielerschar zwei Stunden durch eine komische, traurige, mal actionreiche, mal ruhige Geschichte, die – was wir uns (fast) alle erträumen – mit einem Happyend schließt. Christian Slater und Patricia Arquette sind die Helden unserer Träume. Funny.

[1] „Too Young“ (Nat King Cole).



From Dusk Till Dawn
(From Dusk Till Dawn)
USA 1996, 108 Minuten
Regie: Robert Rodriguez

Drehbuch: Quentin Tarantino, nach einer Geschichte von Robert Kurtzman
Musik: Graeme Revell
Director of Photography: Guillermo Navarro
Montage: Robert Rodriguez
Produktionsdesign: Cecilia Montiel

Darsteller: Harvey Keitel (Jacob Fuller), George Clooney (Seth Gecko), Quentin Tarantino (Richard Gecko), Juliette Lewis (Kate Fuller), Ernest Liu (Scott Fuller), Salma Hayek (Santanico Pandemonium), Cheech Marin (Grenzposten / Chet Pussy / Carlos), Danny Trejo (Razor Charlie), Tom Savini (Sex Machine), Fred Williamson (Frost), Michael Parks (Texas Ranger Earl McGraw), Brenda Hillhouse (Gloria, Geisel), John Saxon (FBI-Agent Stanley Chase), Marc Lawrence (Motel-Besitzer), Kelly Preston (Kelly Hogue, Nachrichtensprecherin)

Spiel mit Erwartungen

Ist Rodriguez „From Dusk Till Dawn“ zwar ein Riesenspaß, aber keine große Kunst, wie James Berardinelli in seiner Besprechung des Films behauptete, zu dem Quentin Tarantino das Drehbuch schrieb? Opfern sie als zynische Handwerker die Geschichte Splatter- und Vampir-Effekten? Wird Tarantino gar völlig überschätzt? Toben sich hier zwei erwachsene Kinder aus, deren zerberstende Vampire letztlich nur platzende Gummibärchen darstellen? Nun, Kunst ist, was der Künstler darunter versteht. Eins jedenfalls ist sicher: Rodriguez und Tarantino beschäftigen sich mit den gängigen Erwartungshaltungen des Publikums in bezug auf Vampir-, Kung Fu-, Splatter- und Crime-Filme, die eher der Kategorie der B-Movies zuzuordnen sind, und zaubern – ohne sich zumeist selbst sehr ernst zu nehmen – ein Road-Movie der besonderen Art, dass die Grenzen der Zensur auslotet.

Zwei Bankräuber, Seth Gecko (George Clooney) und sein wortkarger psychotischer Bruder Richard (Quentin Tarantino), betreten auf der Flucht einen Laden, „Bennys World of Liquor“. Als Richard den Eindruck hat, der Verkäufer gebe dem Texas-Ranger (Michael Parks), der sich ebenfalls dort aufhält, ein Zeichen, kommt es zu einem Blutbad, der Laden fliegt in die Luft. Als Richard dann auch noch ihre Geisel, die Bankangestellte Gloria Hill (Brenda Hillhouse) in Abwesenheit seines Bruders vergewaltigt und brutal ermordet, fehlt den Brüdern auf ihrer Flucht nach Mexiko eine Geisel. Seth ist sauer auf Richard, der sich nicht zügeln kann. Ein professioneller Dieb tue so etwas nicht, Leute umbringen und Frauen vergewaltigen. Das Fernsehen berichtet immer öfter über die beiden Brüder. FBI-Agent Chase (John Saxon) verkündet der Reporterin Kelly Hogue (Kelly Preston), er werde die Geckos innerhalb von 48 Stunden verhaften.

Da kreuzt der Ex-Priester Jacob Fuller (Harvey Keitel), der kürzlich seine Frau und dadurch seinen Glauben verloren hat, mit seinen beiden Kindern Kate und Scott (Juliette Lewis, Ernest Liu) samt Wohnmobil den Weg der Geckos – die Geiseln, die die Geckos brauchen. Seth hat alle Mühe, seinen Bruder in Schach zu halten, der sich am liebsten über Kate hermachen würde. Fuller verspricht Seth, er werde seinen Anweisungen Folge leisten, Seth verspricht Fuller, ihn und seine Kinder am nächsten Morgen frei zu lassen. Mühsam ist der Weg über die Grenze nach Mexiko, wo sie sich in einer verruchten Spelunke namens Titty Twister von den Strapazen der Flucht erholen wollen.

Im Titty Twister fließt der Alkohol in Strömen, leicht bekleidete Tänzerinnen bringen die Anwesenden auf Hochtouren, vor allem Santanico Pandemonium (Salma Hayek). Am nächsten Tag soll der Mexikaner Carlos (Cheech Marin) den Geckos Unterschlupf gewähren. Alles scheint in Ordnung, die Geiseln könnten im Morgengrauen frei gelassen werden.

Nur, die Bar in der Wüste entpuppt sich als sweet home blutrünstiger Vampire, die sich bald auch als solche zeigen ...

Wenn man – ohne zu übertreiben – von der konkreten Handlung, die tatsächlich eher einem B-Movie-Plot entspricht, absieht, bleibt von „From Dusk Till Dawn“ eine Art satirische Farce, jenseits aller meuchelnden Moralprediger, die in einem solchen Streifen wieder einmal nur eines zu sehen glauben: Gewaltexzesse, die Jugendliche angeblich dazu animieren, desgleichen zu tun. Eine Farce, weil Rodriguez und Tarantino nicht nur mit eingeschliffenen Erwartungsmustern des Publikums, sondern auch mit Voyeurismus und sadistischem Verlangen ihr Spiel treiben.

Besonders eindrücklich in dieser Hinsicht ist schon die Szene mit der älteren Bankangestellten Gloria. Sie sitzt – während Seth abwesend ist – auf einem Sofa, die Arme auf ihren Schoß gelegt, natürlich voller Angst, während Richard im Nebenzimmer auf dem Bett die Beine ausstreckt und einen lustigen Comic im Fernsehen anschaut. „Willst Du Dich nicht neben mich setzen und mit mir Fernsehen schauen?“ fragt er mit leiser Stimme. So, wie er dies sagt, klingt dies wie eine freundliche Einladung. Angesichts der Umstände ist es für Gloria ein eindeutiger Befehl. Sie steht langsam auf und geht zum Bett. Richard rückt ihr ein Kissen zurecht. Gloria setzt sich neben ihn, zuerst die Beine noch auf dem Boden und mit dem Rücken zu ihm. Dann legt sie ein Bein aufs Bett. Richard isst einen Hamburger. Schnitt. In der nächsten Szene kehrt Seth zurück. Als er seinen Bruder fragt, wo Gloria sei, zeigt der gelassen ins Nebenzimmer. Gloria ist tot. Die Vergewaltigung und den Mord zeigt Rodriguez nicht. Wozu auch?

Die fast schon familiäre Situation und der lustige Comic im Fernsehen kontrastieren fast unerträglich mit dem, was dann passiert. Das, was passiert, läuft beim Zuschauer schon vorher durch den Kopf. Man weiß ab dem Zeitpunkt, als Seth den Raum verlässt, dass Gloria sterben wird. Wir nehmen den Mord und die Vergewaltigung gedanklich und emotional vorweg. Gloria, Mutter von vier Kindern, wie uns Kelly Hogue fast genüsslich über den Bildschirm verkündet, wird unser Opfer. Rodriguez präsentiert, als Seth zurückkehrt, nur das Ergebnis dessen, was wir von der Situation erwarten – nichts weiter. Der Weggang Seths – der seinen Bruder, dessen Gefährlichkeit ja kennt (gerade hat er zwei Männer umgebracht) – ist nichts weiter als ein dramaturgischer Kniff: Rodriguez „stiehlt“ in diesem Moment aus dem Film die einzige Person, die Richard daran hindern könnte, sich an der Geisel zu vergreifen. Wäre Seth da geblieben bzw. hätte er Richard und Gloria einfach mitgenommen, um zu telefonieren, wäre Gloria nichts passiert. Irgendwann hätte Seth sie freigelassen. Und Kelly Hogue? Sie dramatisiert den Horror zur moralischen Attitüde. Dieser dramaturgische Kniff ist das fast schon simple Lockmittel, das im Kopf des Zuschauers eine Lawine auslöst, die seinen eigenen Erwartungen vollauf entspricht.

Die Geckos zerstören Familien. Ihre eigene ist schon zerstört, ein zentraler Aspekt zum Film, auf den Robert Fischer zu Recht hingewiesen hat (1). Auch die Familie Fuller ist eine – jedenfalls teilweise – zerstörte Familie. Fullers Frau ist tot und er fährt mit seinen Kindern ohne konkretes Ziel weg von zu Hause. Fuller glaubt nicht mehr an Gott (und das in Amerika!). Die Zerstörungen, die uns Tarantino und Rodriguez hier präsentieren, sind Teil-Zerstörungen. Die Handelnden sind aber auch Personifizierungen kalkulierter Erwartungen und Vorstellungen des Publikums: Die Geckos mussten keine Verbrecherkarriere beginnen. Seth, ein vernünftig und überlegt handelnder Mensch, hätte seinen psychotischen Bruder in Behandlung geben können. Fuller hätte mit seinen Kindern daheim bleiben können, vielleicht eine neue Frau gefunden, anstatt nach „Nirgendwo“ zu fliehen.

Diese Diskrepanz zwischen dem „Hätte“ und dem „Ist“ und „Wird“ ist ein dramaturgischer Kniff. Wäre Seth nicht gegangen, würde Gloria noch leben usw. Das „Hätte“ steht damit auch für eine Illusion, die Illusion des Betrachters über die Chancen harmonischer Wunschvorstellungen bezüglich des eigenen Lebens. Diese kontrastieren Rodriguez und Tarantino mit dem „Ist“ und vor allem den voyeuristischen Erwartungshaltungen, die natürlich auch für das „Böse“, die dunklen Seiten der Seele stehen, sozusagen die Doppelmoral unserer Seele.

In Seth und Jacob treffen zwei Männer aufeinander, die – so überlegt und vernünftig sie sich auch geben und zum Teil auch handeln – mit der Situation ihrer Restfamilien nicht zurecht kommen – erst recht dann nicht, als diese Restfamilien aufeinander treffen. Jacobs „verlorener“ Glaube z.B. nützt ihm praktisch: nichts. Im Titty Twister wird diese destruktive Situation immer verwickelter. Fuller sagt, er glaube nicht an Vampire, aber an das, was er sehe. In diesem Satz manifestiert sich – in einer zunehmend bedrohlicher werdenden Situation – der Zusammenbruch der harmonischen Wunschvorstellung (es gibt keine Vampire, sprich: keinen Horror, nichts Dunkles in der eigenen Seele) angesichts dessen, was geschieht. Die Blutsauger sind nur diese personifizierte Seite des Dunklen. Und der Zuschauer? Er wird gezwungen, das zu glauben, was er sieht. Ausgerechnet Seth muss in dieser Lage einen Mann, der dem Glauben abgeschworen hat, vom Gegenteil überzeugen:

„Wir brauchen dich. Ein ungläubiger Prediger bringt uns überhaupt nichts. Aber ein Diener Gottes kann ein Kreuz nehmen und es diesen Monstern in den Arsch schieben. Ein Diener Gottes kann Leitungswasser segnen und in eine Waffe verwandeln. Jacob, ich weiß, warum du deinen Glauben verloren hast. Wie sollte Heiligkeit existieren, wenn deine Frau dir und deinen Kindern genommen werden kann? Ich habe immer gesagt, Gott kann mich am Arsch lecken, aber ich habe meine Lebensanschauung vor einer halben Stunde geändert, denn ich weiß, was immer dort draußen ist und versucht hereinzukommen, ist das reine Böse, direkt aus der Hölle. Und wenn es eine Hölle gibt und diese Bastarde dorther kommen, dann muss es auch einen Himmel geben, Jacob, es muss ihn geben! Du kannst also wählen: Bist du ein ungläubiger Prediger – oder bist du ein wütender, verfluchter Diener Gottes?“ Jacob: „Ich bin ein wütender, hmm hmm Diener Gottes.“

Eine grandiose Rede! Konkret die einzige Möglichkeit, den Vampiren zu Leibe zu rücken. So gefällt einem Religion, oder? Seth ist bekehrt. Auch wenn am Schluss nur jeweils einer aus beiden Familien überlebt, ist dieser Sieg über die Vampire doch zugleich die Rückkehr zu einem Realismus, der jeder harmonisierenden Wunschvorstellung einen Strich durch die Rechnung macht. Die Überlebenden sind geläutert, nicht so sehr in einem engen religiösen Sinne, sondern vielmehr in bezug auf ihre Selbsteinschätzung und ihr Leben. Sie können in gewissem Sinn neu anfangen, wenn auch nicht gemeinsam.

Zugleich aber ist die Szenerie, die Tarantino und Rodriguez im Titty Twister zaubern, eine Art (selbst)ironische Bezugnahme auf die zahllosen Splatter-Filme – und zwar gerade dadurch, dass Seth und Jacob der Situation mit rationalen Argumenten und philosophischem Diskurs beikommen wollen.

Das alles macht den Film nicht nur zu einem Vergnügen, sondern auch zu einer der besten filmischen Grotesken. Nicht nur Harvey Keitel, der hier einen völlig anderen Charakter spielt, als man von ihm gewohnt ist, Tarantino, der sehr zurückhaltend einen psychotischen Mann mimt, und George Clooney können in ihren Rollen überzeugen. Mit Juliette Lewis und Ernest Liu sind auch die Rollen der Kinder Fullers gut besetzt worden.

(1) Vgl. Robert Fischer, Peter Körte, Georg Seeßlen: Quentin Tarantino, Berlin 2000, S.190.


 

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