The Green Mile
(The Green Mile)
USA 1999, 188 Minuten
Regie: Frank Darabont

Drehbuch: Frank Darabont, nach dem Roman von Stephen King
Musik: Thomas Newman, Jeff Coopwood
Director of Photography: David Tattersall
Montage: Richard Francis-Bruce
Produktionsdesign: Terence Marsh

Darsteller: Tom Hanks (Paul Edgecomb), David Morse (Brutus Howell), Bonnie Hunt (Janice Edgecomb), Michael Clarke Duncan (John Coffey), James Cromwell (Warden Hal Moores), Michael Jeter (Eduard „Del“ Delacroix), Grahame Greene (Arlen Bitterbuck), Doug Hutchison (Percy Wetmore), Sam Rockwell (William „Wild Bill“ Wharton), Barry Pepper (Dean Stanton), Jeffrey DeMunn (Harry Terwilliger), Patricia Clarkson (Melinda Moores), Harry Dean Stanton (Toot-Toot), Dabbs Greer (der alte Paul Edgecomb), Eve Brent (Elaine Connelly)

Leben und Überleben im Todestrakt

Frank Darabont, der 1994 den phantastischen Film „Die Verurteilten“ („The Shawshank Redemption“) mit Tim Robbins und Morgan Freeman inszeniert hatte, beschäftigt sich auch in „The Green Mile“ mit Gefangenen – allerdings auf doch andere Weise als in seinem früheren Meisterwerk, das sich bereits heute zu den Klassikern der Filmgeschichte zählen kann. Der Todestrakt eines Gefängnisses in Louisiana, dem Coal Mountain State Penitentiary, zur Zeit der Depression ist Schauplatz eines Geschehens, in dem es weniger um das Erzählte, um eine Geschichte geht als um die Atmosphäre, in der die insgesamt charakterlich fein gezeichneten Figuren handeln.

Beide Filme beruhen auf Geschichten von Stephen King. In „The Green Mile“ – der Filmtitel bezeichnet den grün gestrichenen Gang im Todestrakt zwischen den Zellen der Verurteilten – allerdings geht es (auch) um das, was man als übernatürlich bezeichnet. Und dieses Nicht-Erklärbare, das Zauber-Hafte, ja fast Märchenhafte, gelangt in den Film über einen neuen Gefangenen, den Schwarzen John Coffey (Michael Clarke Duncan), einen großen, kräftigen, scheinbar nicht besonders intelligenten, freundlichen, ja sympathischen, aber sehr zurückhaltenden Mann, der wegen Mordes an zwei weißen Mädchen zum Tode verurteilt wurde. Der Sheriff hatte die beiden toten Mädchen in den Armen des weinenden Coffey gefunden – und das allein reichte offenbar aus, um Coffey zum Mörder zu stempeln.

Der leitende Wärter des Todestraktes ist Paul Edgecomb (Tom Hanks), der Jahrzehnte später als alter Mann (Dabbs Greer) im Rückblick die Ereignisse der 30-er Jahre erzählt. Wir treffen zudem auf Pauls Kollegen und besten Freund Brutus Howell (David Morse) und die beiden Wärter Stanton (Barry Pepper) und Terwilliger (Jeffrey DeMunn). Mit beiden versucht Paul – und das gelingt ihm auch –, den Gefangenen gegenüber gerecht zu handeln. Misshandlungen, Erniedrigungen, Gewalt gegen die Todeskandidaten, das gibt es nicht für Paul. Auch der Leiter des Gefängnisses, Hal Moores (James Cromwell), duldet keine Unmenschlichkeit gegenüber den Verurteilten.

Allerdings gehört seit kurzem auch der junge Wärter Percy Wetmore (Doug Hutchinson) zu Pauls Truppe, ein Sadist, der sich daran ergötzen will, die Verurteilten zu malträtieren, und daran, sie auf dem elektrischen Stuhl schmoren zu sehen. Sein größter Wunsch: Er selbst will eine dieser Hinrichtungen leiten. Paul und die anderen haben Schwierigkeiten, Percy im Zaun zu halten: „Der Mann ist gemein, unachtsam und dumm – schlechte Voraussetzungen an einem Ort wie diesem.“ Allerdings ist Percy der Neffe einer Frau, die mit dem Gouverneur des Staates verheiratet ist – und auf dieser Klaviatur spielt Wetmore, um seine sadistischen Absichten zu realisieren.

Hinter Gittern treffen wir neben John Coffey auf Eduard Delacroix (Michael Jeter), der seine Freude an einer Maus, an etwas Lebendigem findet, den Todeskandidaten Arlen Bitterbuck (Graham Greene), den mehrfachen Mörder William Wharton (Sam Rockwell) und schließlich Toot-Toot (Harry Dean Stanton).

Im Zentrum des Films aber steht die Beziehung zwischen Paul Edgecomb und John Coffey. Das hat zwei Gründe: Zum einen vermutet Paul im Laufe der Zeit, Coffey sei fälschlicherweise für den Doppelmord an den beiden Mädchen verurteilt worden. Er sucht deshalb dessen Anwalt auf. Zum anderen scheint Coffey übersinnliche Fähigkeiten zu haben, die u.a. später im Film auch von Paul eingesetzt werden, um Moores schwer kranker Frau Melinda (Patricia Clarkson) zu helfen. Beide Schauspieler, Hanks und Duncan, tragen durch ihre subtile Spielweise zum Gelingen der Story bei. Auch die anderen Mimen lassen hier kaum etwas zu wünschen übrig.

Darabont und sein exzellenter Mann hinter der Kamera, David Tattersall, zeigen minutiös einen Alltag, dem weder die Gefangenen, noch die Wärter entkommen können. Die Endgültigkeit und Allgegenwart des Todes wird nur durchbrochen durch die seltsame Fähigkeit Coffeys, Menschen Leiden zu nehmen, zum Beispiel auch Edgecomb von seiner chronischen Blasenentzündung zu heilen. Dabei beherrscht diese Fähigkeit nicht die Geschichte des Films, sondern wird in die Schilderung des Gefängnisalltags als etwas Neues, aber durchaus nicht besonders Außergewöhnliches eingebunden. Niemand in diesem Film nimmt Stellung gegen die Todesstrafe oder auch nur gegen die Art und Weise der Tötung der Verurteilten auf dem elektrischen Stuhl. Auch die mehrfache ausführliche Darstellung von Hinrichtungen, darunter eine besonders entsetzliche, Szenen, die dem Betrachter sehr viel abverlangen, sind für sich nicht geeignet, den Film zu einem Plädoyer gegen staatlichen Mord zu erklären.

Es ist eher die fast schon schicksalhafte Verbindung zwischen den Handelnden, die eine zum Bersten angespannte Situation schafft, über die Edgecomb als alter Mann erzählt. Paul und seinen Kollegen steht immer deutlicher der Zweifel im Gesicht angesichts dessen, was sie im Todestrakt tun müssen. Nur die übersinnliche Fähigkeit John Coffeys scheint – wie er selbst – nicht von dieser Welt. Diese Fähigkeit symbolisiert all das, was im Todestrakt – wenn überhaupt – nur unter restriktiven Bedingungen möglich ist: Menschlichkeit, Gnade, Mitgefühl, Heilung, Verzeihen, Liebe, Zuneigung – alles nicht von dieser Welt? Coffey ist nicht in der Lage, an dieser Situation im Trakt prinzipiell etwas zu ändern. Seine Heilungen sind die eines – so könnte man sagen – menschlichen Erlösers, der nur „dokumentieren“ kann, was Gnade, Menschlichkeit usw. sein können. Er kann andere und ihr Verhalten dadurch nicht ändern. Pauls Leben allerdings ändert Coffey in fast jeder Hinsicht, weil Paul zu erkennen scheint, dass er sein bisheriges Leben so nicht weiterführen kann.

„The Green Mile“ kommt sicherlich nicht an Darabonts „Die Verurteilten“ heran. Aber das hat seinen Grund vielleicht auch darin, dass Kings Geschichte in gewisser Weise die Hilflosigkeit einer Situation dokumentiert, in der der staatlich verordnete, legalisierte Mord zum beherrschenden Moment einer Gesellschaft geworden ist, die sich einem Teil ihrer Peiniger durch deren Vernichtung entledigt. Sprachlosigkeit ist ein primäres Element dieser Situation. An einer Stelle sagt Paul: „Wir erinnern uns an diesen Ort so ähnlich wie an eine Intensivpflege im Krankenhaus.“ Aber im Unterschied zum Krankenhaus, in dem Menschen auf ihren natürlichen Tod aufgrund einer nicht heilbaren Krankheit warten und gepflegt werden, stellt sich die Situation im Todestrakt anders dar.

Zum anderen folgt Darabont eben doch oft zu deutlich den Mechanismen des Hollywood-Kinos, und insbesondere die Heilung von Melinda Moores durch Coffey repräsentiert in ihrer ganzen Inszenierung zu stark die falsche Sentimentalität, ja die über allen Realitätsgehalt hinwegsehende und hinweggehende, täuschende Rührseligkeit der Traumfabrik, was dem Film insgesamt Stärke und Überzeugungskraft nimmt.