Warnung vor einer heiligen Nutte
Deutschland 1971, 103 Minuten (DVD: 99 Minuten)
Regie: Rainer Werner Fassbinder

Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder
Musik: Peer Raaben, Leonard Cohen, Teodoro Cottrau, Gaetano Donizetti, Mike Kellie, Gary Wright
Director of Photography: Michael Ballhaus
Montage: Thea Eymèsz, Rainer Werner Fassbinder
Produktionsdesign: Kurt Raab

Darsteller: Lou Castel (Jeff, Regisseur), Eddie Constantine (Eddie Constantine), Marquard Böhm (Ricky, Schauspieler), Hanna Schygulla (Hanna, Schauspielerin), Rainer Werner Fassbinder (Sascha, Herstellungsleiter), Margarethe von Trotta (Produktionssekretärin), Hannes Fuchs (David), Marcella Michelangeli (Margret), Karl Scheydt (Manfred), Ulli Lommel (Korbinian, Aufnahmeleiter), Kurt Raab (Fred), Monica Teuber (Billi, Maskenbildnerin), Rudolf Waldemar Brem (Marc, Oberbeleuchter), Thomas Schieder (Jesus, Beleuchter)

Ohne innere Entwicklung

„Ich sage ihnen, dass ich es
oft sterbensmüde bin, das
Menschliche darzustellen,
ohne am Menschlichen
teilzuhaben.”
(Thomas Mann; aus dem
Abspann des Films)

„Hochmut kommt vor dem Fall.“
(aus dem Vorspann des Films)

Irgendwo in Spanien. Eine Villa. Menschen in der Villa. Ein paar Bedienstete, die in rauen Mengen Cubra Libre ausschenken an die in kleinen Gruppen oder allein dort befindlichen Leute. Keine Gäste, nein Schauspieler, Aufnahmeleiter, Produzent und andere an einem geplanten Film Mitwirkende.

Es herrscht eine gespannte Atmosphäre. Alles wartet. Der Regisseur Jeff (Lou Castel) ist noch nicht da. Es herrscht Geldnot. Ein Scheck war nicht gedeckt. Ohne Geld kein Film. Und Filmmaterial fehlt auch noch, auch als Jeff endlich eintrifft. Wir treffen auf die Darsteller, die schöne Hanna (Hanna Schygulla), ihre Kollegen, den eher stillen Ricky (Marquard Böhm), den Star des Films Eddie (Eddie Constantine), der meist allein herumsitzt und trinkt und beobachtet, was sich in der Villa, die einem spanischen Minister gehört, abspielt. Auf Sascha (Rainer Werner Fassbinder), den leicht aufbrausenden Herstellungsleiter, seine Produktionssekretärin Babs (Margarete von Trotta), den Aufnahmeleiter Korbinian (Ulli Lommel), einen devoten Mann, der auch noch stolz erzählt, dass er alles macht, was seine Frau von ihm verlangt, und der sich von allen, vor allem Sascha herumkommandieren lässt. Auch Babs wird von Sascha gescheucht und beschimpft. Auf Billi (Monica Teuber), die Maskenbildnerin, den Oberbeleuchter Marc (Rudolf Waldemar Brem), seinen Gehilfen Jesus (Thomas Schieder) und etliche andere Leute, die hinter der Kamera arbeiten.

Die gespannte Stimmung hat ihren Grund nicht nur darin, dass man auf den Regisseur wartet, auf das Geld und den Beginn der Dreharbeiten. Einige der Beteiligten kennen sich, arbeiten mehr oder weniger fest in einer Gruppe, während die anderen eher daneben stehen, nicht so richtig dazu gehören, wie der Italiener Marc es formuliert, der sich wie ein „Neger” fühle.

Was Fassbinder nun in den gut eineinhalb Stunden zeigt, sind vor allem die Abhängigkeiten innerhalb der Anwesenden und der Versuch des Regisseurs, vor allem durch Geschrei und mehr oder weniger vorgespielte Autorität eine gewisse Ordnung in die Dinge zu bringen, um endlich mit dem Drehen beginnen zu können. Diese, oft erbärmlichen und auch erniedrigenden Versuche Jeffs jedoch werden überlagert durch die Beziehungen unter den Anwesenden. Es handelt sich zum Teil um schon länger bestehende, teilweise um gerade zu Ende gehende, teilweise um sich neu aufbauende, vor allem sexuelle Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren.

Der Ausstatter Fred (Kurt Raab) zum Beispiel beobachtet neidisch, wie sich zwischen einzelnen Männern Beziehungen anbahnen. Er scheint verzweifelt, einsam. Hanna, die sich als einzige aus den etlichen Auseinandersetzungen weitgehend heraushält, macht sich zunächst über den älteren Schauspieler Eddie lustig, lässt sich dann jedoch auf ein sexuelles Abenteuer mit ihm ein. Andere wie Ricky treiben es mit Männern wie mit Frauen, Ricky z.B. mit Jeff, den er schon länger kennt. Hanna flirtet aber auch mit dem Oberbeleuchter, der unmäßig beginnt zu trinken, als sie sich Eddie zuwendet. Jeff macht allen möglichen Frauen wie Babs oder der Maskenbildnerin Billi Heiratsanträge und will mit ihnen angeblich nach Peru.

Selbst als endlich das Filmmaterial eingetroffen ist, dauert es noch Stunden, bis schließlich gedreht wird. Jeff ist mit nichts richtig einverstanden, und am Schluss meint er, er sei erst zufrieden, wenn der Film ein Flop werde.

„Es gibt Augenblicke, in denen
ich sehr diktatorisch bin. Ich habe
zwar auch Filme gemacht, die
anders gedreht worden sind,
aber wenn der Druck zu groß
wird, dann werde ich zum
Diktator. Wenn die Arbeit
schwierig ist oder wenn das
Ganze schlecht läuft, wenn die
Leute auch noch auf einem
herum trampeln, anstatt einem
zu helfen, dann bleibt halt nur
noch die Diktatur.“
(Rainer Werner Fassbinder)

Es wurde darüber spekuliert, ob „Warnung vor einer heiligen Nutte” zustande gekommen war angesichts der Auseinandersetzungen während der Dreharbeiten zu Fassbinders Film „Whity”, die ebenfalls in Spanien stattfanden. Dies würde auf eine Intention hindeuten, die Innenansicht der mehr oder weniger festen Gruppe der Leute im Fassbinder-Team und die Rolle des Regisseurs als potentiellem Diktator (s. Zitat) in einem Film aufzuzeigen. Das am Schluss des Films eingeblendete, oben angeführte Zitat von Thomas Mann, und die Inszenierung selbst deuten allerdings auch darüber hinaus. Fassbinder versucht, die Abhängigkeiten innerhalb einer relativ großen, heterogenen Gruppe von Menschen, die zu einem bestimmten Zweck (der relativ unwichtig ist) zusammen gekommen sind, aufzudröseln. Diese Gruppe enthält eine Teilgruppe von Menschen, die sich bereits länger kennen (so wie bei der Fassbinder-Truppe auch), andere, die dazu stoßen, wieder andere, die als Stars gelten (Eddie Constantine), mit denen eher vorsichtig umgegangen wird.

Die Relationen sind geprägt von mehr oder weniger starken hierarchischen Strukturen einerseits, von ganz unterschiedlichen Charakteren andererseits. Das Verhältnis zwischen Sascha und Babs etwa ist fast sadomasochistisch geprägt. Obwohl Sascha sie oft erniedrigend behandelt, will sie bei ihm bleiben und erklärt dies auch Jeff, der mit ihr nach Peru will. Eifersucht und Neid sind weitere Momente, die das Verhältnis zwischen den Akteuren kennzeichnen, etwa wenn Jeff verlangt, Babs solle das Team umgehend verlassen, weil sie nämlich seinen Heiratsantrag zurückgewiesen hat mit der Bemerkung, sie könne Sascha nicht verlassen. Schließlich will Fassbinder die Nähe zwischen Opfer- und Tätermentalität deutlich machen, etwa bei Korbinian, der alle Demütigungen „einfach” erträgt und daraus sogar noch etwas Positives konstruiert.

Gerade an den sexuellen Beziehungen zwischen den Akteuren wird aber noch etwas anderes deutlich: Sie sind von einer gnadenlosen Beliebigkeit gekennzeichnet, einer Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit, die darauf hindeuten, dass sich die Akteure über ihre Bedürfnisse, Gefühle und ihre eigene Stellung im Gespinst der Gruppe in keiner Weise bewusst sind.

Trotz alldem gehört „Warnung vor einer heiligen Nutte” (mit Nutte ist offenbar das Filmgeschäft gemeint, im übertragenen Sinn vielleicht überhaupt eine hierarchische Struktur, die von Geld- und Machtbeziehungen geprägt ist) zu jenen ganz wenigen Fassbinder-Filmen, die mir überhaupt nicht nahe kamen. Ich kann mit diesem Film nicht warm werden. Das hat seinen Grund sehr wahrscheinlich vor allem darin, dass Fassbinder das, was er in der ersten Viertelstunde des Films schon deutlich aufgezeigt hat, über die gesamte Länge des Films hinzieht. Außer dem von Thomas Mann entliehenen „Schlussakkord” (das anfangs Zitierte) wiederholt sich dies in unterschiedlichen Personenkonstellationen immer wieder und immer wieder und wird mit der Zeit nicht nur langweilig, sondern auch nervig. Durch diese Art der Inszenierung des ewig Gleichen geraten etliche Szenen und das Spiel der Akteure in den Bereich des Plakativen, vergleichbar mit einer immer wieder gezeigten Werbung, die man bald nicht mehr ertragen kann.

Damit fehlt diesem Film – ganz im Gegensatz zu fast allen anderen Filmen des Regisseurs – etwas ganz Entscheidendes: das Entwicklungsmoment. Die Idee zum Film entwickelt sich nicht, und damit wird letztendlich keine Geschichte erzählt, sondern lediglich eine Art Standbild erzeugt, etwas Statisches also, ein zur Bewegung unfähiges Ungetüm. Und das alles trotz der teilweise durchaus glänzenden Schauspieler (insbesondere Hanna Schygulla). An einem Schauspieler wird die fehlende Dynamik des Films allerdings besonders deutlich, an Lou Castel, der den Regisseur spielt. Dessen Ausbrüche wirken mit der Zeit nur noch aufgesetzt und unglaubwürdig. Und ähnliches gilt für Marquard Bohm.

Es mag sein, dass der Film im Kontext des Fassbinderschen Oeuvres und in der Entwicklung Fassbinders als Regisseur selbst seinen Platz und seine Bedeutung hat. Fassbinder selbst äußerte sich dementsprechend, und für ihn war der Film der Abschluss einer bestimmten Periode. Für mich erscheint er – sozusagen von außerhalb betrachtet, von der Warte des Publizisten oder auch in Bezug auf das Gesamtwerk – eher als überflüssig. Das Statische, Unbewegliche des Films hat mich eher abgeschreckt, und beileibe nicht überwältigt.

So unterscheiden sich die Geister.

© Bilder: Arthaus und Kinowelt.
Screenshots von der DVD.